M 01.04 Axel, 17, Neonazi West
Was er werden möchte? Nicht eine Sekunde braucht Axel R. zum Nachdenken."SA-Standarten-Führer", sagt er. Wie zur Bestätigung streicht er langsam seine schwarze Krawatte glatt, richtet die Schulterklappen am beigen Militärhemd. Dann, ungefragt und emotionslos, hebt er an zu einer wirren Version der NS-Vergangenheit Deutschlands. Spricht über die "gesunde Jugend", die ohne "geistige Verunreinigung war", von den "erheblichen Zweifeln bezüglich der Juden-Vergasung", vom Schicksal, das "dem deutschen Volk in schwerer Zeit den Herrn Hitler schenkte".
Seinem Vorbild ähnelt der 17-jährige R. durch den scharf gezogenen Scheitel, die Körpergröße ist vergleichbar. Nur die Sache mit dem Oberlippenbart wird in absehbarer Zeit nicht zu verwirklichen sein. Pickel auf Stirn und Kinn. Und auch mit der Körperhaltung hapert es. "Nach oben, nach oben", ruft der Beleibte, der neben dem schmächtigen Jugendlichen sitzt. R. solle beim Sprechen den Blick nicht ständig zu Boden richten, sondern den Kopf mal anheben: "Und dann so seherisch in die Ferne schauen, wie der Führer es getan hat."
SEIT ZWEI STUNDEN sitzt das Paar in der Bahnhofsgaststätte von Langen bei Frankfurt. Axel R., Chef der "Kölner Kameradschaft", bei Cola-Light. Thomas Brehl, in der Szene "der Dicke" genannt, hat es problemlos auf sechs Hefeweizen und einen Leberkäs mit Spiegelei und Bratkartoffeln gebracht. Stolz zeigt R. auf den runden Button, den er sich ans Hemd gesteckt hat. Die Mitte des Stickers ziert ein schwarzer Adler. "Michael Kühnen - und Du siegst doch", steht rot unterlegt am Rand. Überreicht wurde "die wunderbare Auszeichnung" von Brehl, dem ehemaligen Stellvertreter des bekanntesten Neonazis der Bundesrepublik, der 1991 an Aids gestorben ist. Es war still geworden um Brehl. Im hessischen Langen gab er pathetische Schriften heraus und verfasste schwülstige Gedichte. Nun mischt er wieder mit, überzeugt, einen Jungen mit "Führer-Qualitäten" und Zukunft zu beraten.
Dessen Nazi-Karriere beginnt, als er zwölf Jahre alt ist. In der Familie, auf der Straße, im Supermarkt, "überall hörte ich, wie die Leute sich beschwerten. Zu hohe Steuern, wieder eine alte Frau ausgeraubt und, und, und". Da müsse man doch was gegen tun, denkt der Junge. Vielleicht sucht er auch nur eine Beschäftigung. Rumtoben auf der Straße oder Fußball mit den Kumpels ist nicht seine Sache. Der Knirps, kleiner als die meisten Gleichaltrigen, leidet unter Gleichgewichtsstörungen, ist zuckerkrank, muss sich deshalb täglich spritzen.
Auf Rat des Vaters, damals Außendienstmitarbeiter bei einem Chemieunternehmen, schließt er sich der CDU-Jugendorganisation Junge Union an. Doch die ersten Treffen verlaufen nicht nach seinem Geschmack. "Stundenlanges Gerede ohne den Anflug eines Resultats" vermiesen ihm die Stimmung. Er bittet andere demokratische Parteien um Unterlagen. In einem Geschichtsbuch, das er in der Stadtbücherei ausgeliehen hat, findet er einen Aufkleber der NSDAP/AO.
DIE VERBOTENE NAZI-PARTEI reagiert am schnellsten auf sein Anschreiben. "Von dem Material, das ich dann bekommen habe, war ich begeistert", erzählt er. Die imposanten Uniformen in den Zeitschriften, die gewaltigen Aufmärsche, die nötigen ihm Respekt ab. Aber auch das Programm imponiert. Von Uneigennützigkeit ist die Rede, von Gemeinschaftssinn: "Eben davon, dass einem nicht alles scheißegal ist." Hinzu kommt die Forderung nach Gemeinschaftssinn, "nach wölfischer Kameradschaft". Die neuen Freunde versorgen ihn mit weiteren "Informationen". Sie kümmern sich um ihn, geben ihm das Gefühl, wichtig zu sein. Hitlers "Mein Kampf" besorgen sie, sogar Rosenbergs "Mythus des 20. Jahrhunderts". Dabei versteht er die Bücher kaum, die er heimlich liest. Als er seinen Vater um ein Buch von Joseph Goebbels bittet, fragt der: "Was willst du mit dem Quatsch?" Das macht den Jungen erst recht neugierig.
Mit 13 tritt er der Jugendorganisation der NPD bei. Aber auch dort ist es ihm bald zu langweilig: "Immer wurde nur darüber gesprochen, dass man sich nicht offen zum Nationalsozialismus bekennen dürfe. Noch nicht einmal ein Uniformhemd war erlaubt." Unterlagen, Abzeichen und SA-Uniform bewahrt er bei "Kameraden" auf, die Familie bemerkt die verhängnisvolle Entwicklung zunächst nicht. Erst als Antifaschisten das erste Mal "Nazi" auf eine Wand des Einfamilienhauses am Kölner Stadtrand schmieren, Flugblätter mit dem Bild des Sohnes verteilt werden, gerät die heile Welt ins Wanken. Der Staatsschutz, der später Dauergast werden soll, kommt das erste Mal ins Haus, berichtet von Volksverhetzung und rechtsextremen Umtrieben. Die Eltern wissen zunächst nicht, wie ihnen geschieht. Schließlich haben sie bereits zwei Kinder großgezogen.
"Da ist doch alles gut gegangen", sagt Vater R. Er versucht auf jede erdenkliche Art, den Jungen "zur Räson zu bringen". Zuerst mit verständnisvollen, dann mit lauten Worten, schließlich aber auch mit Hausarrest, Fernsehverbot und Taschengeldsperre. Die Wirkung ist fatal, denn Axel bestätigt das nur noch in seiner Sturheit. Nach endlosen Streitereien wird in der Familie irgendwann nur noch das "Nötigste" gesprochen. "Wir konnten ihn einfach nicht mehr erreichen", erinnert sich der Vater. Wie ein Sektenanhänger sei ihm sein Kind erschienen.
Gerade 15, gründet R. mit gewaltbereiten Aktivisten der verbotenen Nazi-Partei FAP die "Kameradschaft Köln", die er bald schon anführt. Die Realschule schloss er im Juni mit dem Hauptschulabschluss ab, sein Vater hat ihn vor einem halben Jahr vor die Tür gesetzt. Axel R. ist viermal wegen Volksverhetzung vorbestraft, zwei weitere Verfahren laufen, diesen Monat muss er zwei Wochen zum Jugendarrest in die JVA Remscheid.
Axel R. ist heute stolz, dass er bereits zweimal im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz als Neonazi erwähnt worden ist: "Das ist der Ritterschlag des Systems." Was er mit seinen Gegnern vorhat, ließ er während einer der zahlreichen Veranstaltungen wissen, bei denen er als Redner auftrat: "Die werden dann auf den Marktplatz gestellt und erschossen für das, was sie getan haben. In diesem Sinne: Sieg Heil!"
(aus: Detlef Schmallenberg, Axel, 17, Neonazi West. "Die werden dann erschossen", in: Stern Nr.34/ 17.08.2000, S. 30f)
Arbeitshinweise M 1.04 + M 1.05