M 01.05 Siegfried,18, Neonazi Ost
[...] Wie er rumläuft, mag [seiner Mutter] nicht gefallen - "bei jeder Hitze diese Stiefel", immer eine frische Glatze, "SS"-Totenköpfe als Gürtelschnalle und als Medaillon um den Hals. Aber dafür gammelt der Junge wenigstens nicht herum wie so viele in seinem Alter. Keine Drogen, kaum Alkohol, "weil das aggressiv und blöd macht", wie er meint, und er hat sogar unter 200 Bewerbern eine gute Lehrstelle ergattert. In Gardelegen, einem Ort mit knapp 14 000 Einwohnern in der Altmark, mitten in der ABM-Wüste Sachsen-Anhalt, braucht man dafür ganz schön Glück. Oder einen erweiterten Realschulabschluss, wie ihn Siegfried "mit links" und lauter Einsen gemacht hat. Demnach kann er eigentlich nicht so blöd sein, wie er sich anzieht und gibt. Und angeblich ist er auch gar nicht so gefährlich, wie er gern aussieht: "Gewalt schadet der Sache nur", hat er in der Partei gelernt. Seit einem Jahr ist er in der NPD, "mit der er auch auf politischer Ebene siegen wird". Wenn es hart auf hart käme, würde Siegfried auch auf der Straße "bis aufs Blut kämpfen". Für die Bewegung, für Deutschland und natürlich, wenn er selbst angegriffen wird. [...] Die Bundeswehr hat er sich schon schweren Herzens abgeschminkt: "Wegen der Tattoos und meiner politischen Einstellung nehmen die mich bestimmt nicht." Das soll nun Meinungsfreiheit sein - aber egal: "Die Kämpfen ja inzwischen sowieso lieber für Moslems als für Deutschland." Und mit "diesen ganzen Türken" hat Siegfried seine Erfahrungen. Einer baggerte mitten in Gardelegen die Schwester eines Kumpels an. Siegfried wollte ihn zur Rede stellen und bekam statt einer Antwort nur eine Knarre an den Kopf gehalten. Da hatte er die "Schnauze endgültig voll". Da hat er aufgehörte, mit den alten Schulfreunden Basketball zu spielen, die heute alle "Kiffer" sind. Schnell fand er neue Freunde, die auch die Schnauze voll hatten und mit ihm diskutieren, was "deutsch" ist: Bis in die dritte Generation sollten die Wurzeln schon reichen. "Na ja, und die ganze alte Kultur eben, Germanen, Sommersonnenwende und so." Jedenfalls kein "Multikulti-Mischmasch, wo jeder zu Ramses betet oder gleich einen deutschen Pass bekommt, bloß weil sich irgendeine Schlampe von einem Schlitzauge bumsen lässt und das Ding auf deutschem Boden ausrotzt". Seine schöne deutsche Muttersprache pflegt er im "Bistro 2000". Im selben Gebäude ist das Gardelegener Arbeitsamt, davor dröhnt Fascho-Rock aus Autos: "Die Härte" singt irgendwas von "brennenden Negern". Siegfried bestellt einen Orangensaft und jammert nach Kräften, dass "der nationale Widerstand in Gardelegen" auch nicht mehr das ist, was er früher mal war. Siegfried meint nicht das Ende des Krieges, als Gardelegener Bürger noch schnell vor dem Einmarsch der Amerikaner ein Massengrab buddelten, um die Leichen von Hunderten Häftlingen verschwinden zu lassen, die in letzter Minute von der SS in einer brennenden Scheune zusammengeschossen wurden. Er meint auch nicht die DDR, in der er zehn Jahre alt wurde, und er erinnert sich nur schwach an die vielen Russen und daran, dass samstags auch Schule war, und an den Trabi seiner Eltern, "die sich schon damals aus allem raushielten". Nach der Wende bauten sie sich ein eigenes Häuschen, der Vater hatte bis zu seinem tödlichen Autounfall vor zwei Jahren immer Arbeit, Mutter ist im öffentlichen Dienst. Mit früher meint Siegfried die Zeit vor zwei Jahren, als sich am "Logo-Grill" noch eine riesige Meute Skins traf, nur 500 Meter vom Asylbewerberheim entfernt. Da waren sie noch eine Macht. "Und die Zecken hatten Schiss." Da gab es auch diesen Richter am Amtsgericht noch nicht, der seine Kumpels neuerdings wegen einer "voll harmlosen Schubserei mit einem Fidschi" gleich zu Jugendarrest verknackt und der "offen droht", alle anderen Kurzhaarigen auch in den Knast zu bringen. Inzwischen nimmt die Kripo im "Logo-Grill" ihren Imbiss ein, die meisten älteren Kameraden haben Familie, rechtskräftig Urteile oder einen Job, bei dem sie nicht mehr so auffallen dürfen. Und am Gymnasium muss man sich "von den Zecken" ungestraft als Nazi beschimpfen lassen. "Immer mehr Kiffer, immer weniger Respekt." Siegfried holt sich seinen Teil bei den Jüngeren. Eine Runde von 14- bis 17-Jährigen hängt an seinen Lippen wie bei einem altgedienten Kämpfer. Der Veteran muss sich zwar auch noch nicht rasieren - außer natürlich jeden zweiten Tag den Schädel. Aber immerhin hilft er dem Kassenwart im Kreisverband beim Rechnen und weiß, warum "bei den Republikanern nichts dahinter" und bei der DVU alles verlogen ist: "Der Frey ist doch selbst ein Halbjude - wie kann der ernsthaft rechts sein?" Siegfried kann es. (aus: Holger Witzel, Siegfried, 18, Neonazi Ost. "Kämpfen bis aufs Blut", in: Stern Nr.34/ 17.08.2000, S. 32f.) Arbeitshinweise M 1.04 + M 1.05