M 01.07 Rechtsextremistische Orientierungsmuster
"Rechtsextremismus " birgt - obwohl weitverbreitet - erhebliche analytische Schwächen in sich, wenn er eng an seinen Entstehungszusammenhang gebunden bleibt. Dieser ergibt sich aus dem SRP-Urteil von 1952. Da ein Urteil zu fällen war, ergab sich die Notwendigkeit ganz enger, mit den Standards des Justizsystems verbundener Kriterien, die gleichzeitig auf das politische System ausgerichtet waren. Es dominiert also ein politisch-verfassungsrechtliches Begriffsverständnis. Damit werden zumindest zwei wesentliche Fragestellungen ausgeklammert, die auf mögliche Entstehungsmomente verweisen und nicht ausgeklammert werden dürfen. Es sind dies die Frage nach dem ökonomischen und sozialen Kontext, also der kapitalistischen Produktionsweise und die nach alltäglichen Mentalitäten und Orientierungsmustern. Der politischverfassungsrechtliche Begriffsschwerpunkt provoziert zudem eine organisationsbezogene Perspektive wissenschaftlicher Bearbeitung, wie sich an den hauptsächlichen Forschungssträngen ablesen läßt. Dagegen wird hier vom Begriffsverständnis eines "soziologischen Rechtsextremismus" ausgegangen, das die ökonomischen und sozialen Entstehungsmomente mit umfassen will. Zu den Grundelementen dieses Verständnisses gehört, daß die rechtsextremen Orientierungsmuster im Kern als Angriff auf die Gleichheit von Menschen verstanden werden müssen, der mit sozialer, psychischer oder physischer Ausgrenzung bzw. Vernichtung anderer verbunden ist und Gewalt als zentralen Regelungsmechanismus gesellschaftlicher Verhältnisse und Konflikte versteht. Mit anderen Worten: Rechtsextremistische Orientierungsmuster zeichnen sich dadurch aus, daß sie Elemente eines gesellschaftlichen "Gegenentwurfes" enthalten zu den theoretisch formulierten, aber praktisch keineswegs vollständig eingelösten Verheißungen demokratischer, aufklärerischer Politik mit den Elementen des Vernunftpostulates, der Freiheit des Individuums, vor allem der Gleichheit der Menschen. Eine Aufgliederung der zwei Grundelemente zeigt - stichwortartig - die Facetten dieses Gegenentwurfes: a) Der Ideologie der Ungleichheit der Menschen als zentralem, integrierendem Kernstück rechtsextremistischer Politikkonzepte entsprechen etwa folgende Facetten: b) Der Gewaltperspektive und -akzeptanz als zentralem, integrierendem Kernstück rechtsextremistischen politischen Verhaltens lassen sich etwa folgende Facetten zuordnen: Von rechtsextremistischen Orientierungsmustem ist also vorrangig dann zu sprechen, wenn beide Grundelemente zusammenfließen, wenn also die strukturell gewaltorientierte Ideologie der Ungleichheit verbunden wird zumindest mit der Akzeptanz von Gewalt als Handlungsform. Da Definitionen immer auch darauf ausgelegt sind, Idealtypen zu generieren, soll hier noch einmal darauf verwiesen werden, daß in der Realität nicht stets alle Elemente aus beiden Grundelementen zusammentreffen. Entscheidend ist die Koppelung verschiedener Elemente aus beiden Bereichen. Über diese Definitionen können dann auch Abgrenzungen bzw. die Verbindungsstücke zwischen neokonservativen, rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Orientierungsmustern deutlich gemacht werden. ( Prof. Dr. W. Heitmeyer ist Erziehungs- und Sozialwissenschaftler an der Universität Bielefeld.) (aus: Wilhelm Heitmeyer. Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. Empirische Ergebnisse und Erklärungsmuster einer Untersuchung zur politischen Sozialisation, 4. erg. Auflage, Weinheim/München 1992, S. 15f.)