M 01.09 Hinter der Maske der Harmlosigkeit

Angelika Adriano blickt starr ins grelle Hell der Energiesparlampen und Kameraleuchten; als wirkte das Licht wie Trockeneis. Bald werden die Fernsehteams im Saal X.01 des Justizzentrums in Halle den Blick freigeben auf die drei jungen Kerle, die ihr gegenübersitzen. Jene drei, die in der Nacht zum 11. Juni im Dessauer Stadtpark ihren Mann umbrachten. Alberto Adriano hatte keine Chance. Er wurde laut Anklage totgetreten, weil er eine andere Hautfarbe hatte. Und weil die betrunkenen Deutschgesinnten gerade nichts Besseres zu tun hatten, als einen dreifachen Familienvater aus Mosambik zu erschlagen. Das sollen Mörder sein, diese Bübchen? Nicht bullig und groß sind sie, nicht fies und nicht feist wie die Vorzeigeglatzen der Rechtsextremen; ausdruckslos, gleichgültig glotzen sie in die Objektive.

Schmächtige Gestalten nehmen da auf der Anklagebank vor dem ersten Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg Platz, blass, noch ganz im pickligen Alter. Der schmale Schnauzer des 16-jährigen arbeitslosen Frank M. aus Wolfen, mehr Flaum als Bart, muss nicht oft nachrasiert werden.

Da vorne, auf dem Stuhl des Richters, sitzt einer, der ist stärker als die drei Angeklagten, der hat Macht, das scheint sie kleiner zu machen, als sie ohnehin schon sind. Als säßen sie auf der Schulbank, geben sie artig ihre Personalien zu Protokoll, vorbereitet wie zur Abfrage. "Deutscher Staatsangehöriger?", fragt der Vorsitzende Richter, Albrecht Hennig, den Ältesten, den 24-jährigen Enrico H. aus dem brandenburgischen Bad Liebenwerda. "Ja", sagt der. Und gelernter Bäcker sei er auch.

Christian R. sitzt hinter seinen beiden Schlägerkumpels. 16 Jahre, ohne Arbeit. Dunkle, große Augen, unschuldig wie die eines Rehs. Wenn der Junge aus Wolfen nur die Faxen ließe, man könnte meinen, das sei ein richtig netter Kerl. Erst zwingt er sich zu ernster Miene. Dann, als der Vorsitzende die Öffentlichkeit zum Schutz der "Entwicklung des weiteren Lebens der beiden Jugendlichen" ausschließt, entfährt es ihm doch, dieses hämische Grinsen, das schon zuvor immer wieder seine Lippen umspielte.

Ronald Reimann, Anwalt der Nebenklägerin Angelika Adriano, wendet sich gegen einen Ausschluss der Öffentlichkeit. Was, so fragt er den Richter, könne bei Jugendlichen, die einzig aus rassistischen Gründen einen Menschen erschlagen, denn noch durch Erziehung erreicht werden? Bundesanwalt Joachim Lampe widerspricht, es gehe schließlich "um Wahrheitsfindung und nicht darum, ein öffentliches Exempel zu statuieren". Dazu gehöre nun einmal auch der Schutz der Jugendlichen "vor einer Bloßstellung in der Öffentlichkeit".

Lampe hätte die Angeklagten eigentlich gar nicht mehr vor Bloßstellungen schützen müssen. Denn er war es, der den im Ermittlungsverfahren weitgehend Geständigen zuvor schon die Maske der Harmlosigkeit vom Gesicht gerissen hatte. Er brauchte dazu lediglich die zweiseitige Anklageschrift zu verlesen: Demnach sind die drei in der Nacht zum Pfingstsonntag angetrunken und Nazi-Parolen grölend durch die Straßen Dessaus gezogen. Zufällig trafen sie um 1.45 Uhr am Rande des Stadtparks den 39-jährigen Alberto Adriano, der Freunde besucht hatte und nach Hause wollte. Der Mosambikaner war allein, da scheinen sich die drei Flaumgesichter plötzlich mächtig und unbezwingbar gefühlt zu haben. "Schwarze raus", pöbelten Adrianos Peiniger laut Anklage. Sie hielten ihn fest, schlugen ihm in den Bauch, auf den Kopf, bis der Mann zu Boden ging, traten auf ihn ein, zu dritt, minutenlang.

"Allein Enrico H.", der gelernte Bäcker, "trat mit seinen 14-Loch-Springerstiefeln etwa zehn Mal gegen den Kopf", trägt Lampe vor. Dann zogen sie den Familienvater aus, das Hemd warfen sie über eine Astgabel, die Unterhose in einen Strauch. "Du Negerschwein, scher dich aus unserem Land", sollen sie dabei gebrüllt haben. Sie nahmen ihm ein Schlüsseletui ab, in dem 50 Mark steckten, und rissen die Uhr vom Arm. Dann, so die Anklage, schleppten sie den bereits reglosen Adriano, nur noch mit Schuhen und Strümpfen bekleidet, ein paar Meter weiter, traten erneut zu. Einer habe zwar gesagt, der sei "doch schon tot", aber inne hielten die Schläger dennoch erst, als die Einsatzwagen der Polizei vorfuhren, gerufen von Zeugen der Tat. Alberto Adriano lebte zu diesem Zeitpunkt noch. Er starb drei Tage später, am 14. August um 8.45 Uhr, an den Folgen seiner schweren Kopfverletzungen. Die Schläger konnten noch in der Nähe des Tatorts gefasst werden. Dessaus Bürgermeister Holger Platz (SPD) wirkt ratlos. Vor Verhandlungsbeginn drückt er stumm die Hand der Witwe, die den Gruß mit einem kurzen, warmen Lächeln erwidert.

Er sei erschüttert, sagt Platz. Über die Tat ohnehin, aber auch über die Reaktionen in weiten Teilen der Gesellschaft. Dieses stille Einverständnis, das er immer wieder spürt, treibe ihn um, sagt Platz. Dabei habe er sich mit seiner Arbeit in Dessau auf der sicheren Seite gefühlt, habe an runden Tischen gesessen und über Fremdenfeindlichkeit debattiert. Vielleicht, sagt Platz, "haben wir uns doch zu sehr auf die konzentriert, die man eigentlich nicht mehr überzeugen muss". Für seinen Chef, den Oberbürgermeister der Bauhaus-Stadt, scheint der Fall dagegen schon vor der Urteilsverkündung abgeschlossen. Sozialdemokrat Hans-Georg Otto tauchte kurzerhand ab. Keine Interviews mehr zu diesem Thema, ließ er seinen Sprecher zunächst verkünden. Dann erklärte er sich widerwillig doch bereit, Stellung zu beziehen.

Otto findet viele Worte der Klage und des Bedauerns: dass die Stadt zu Unrecht als Hort von Neonazis verunglimpft werde, dass er von Journalisten ständig falsch zitiert worden sei und dass die Medien den Tod des Mosambikaners mit zu verantworten hätten, weil sie "Gewalt verherrlichen" und so erst Übergriffen "nicht nur gegen Ausländer, sondern auch gegen Deutsche" den Boden bereiten würden. Kein Wort zur Situation der Witwe und ihrer drei Kinder. Und kein Wort über den Erschlagenen, Alberto Adriano, der wie jene, die Otto jetzt vor Verunglimpfungen schützen will, ein Dessauer war, ein Bürger seiner Stadt. Fast 20 Jahre lang.

Der Oberbürgermeister will nichts wissen von einem nennenswerten rechten Gewaltpotenzial in Dessau. Und bei der Bewertung der Tat mache er "schon einen Unterschied, ob das Dessauer waren, oder welche, die sich nur dort rumgetrieben haben". Dessau, so sein beleidigtes Stadtoberhaupt, habe diese Negativschlagzeilen einfach nicht verdient.

"He, Ihr Kanaken", beginnt ein hingeschmierter Brief, den eine irakische Familie Anfang 1999 in ihrem Dessauer Briefkasten fand. "Macht, dass ihr hier rauskommt. Ansonsten setz ich Euch eine Bombe in die Bude." Radzak Minhel heftet wortlos das Blatt in einen Ordner. Der Dessauer Ausländerbeauftragte wirkt müde. Er hatte gehofft, dass es nach dem Tod Adrianos eine "große Bewegung" gäbe, die sich in der Stadt dauerhaft gegen die aufkeimende Gewalt stemmt, hatte gehofft, dass das Multikulturelle Zentrum in Dessau künftig nicht mehr wie in den vergangenen Jahren ums finanzielle Überleben kämpfen muss.

Statt auf offene Ohren und helfende Hände stieß der Ausländerbeauftragte im Stadtrat jedoch auf eine Tagesordnung, die sich nach dem Tod nicht einmal um eine aktuelle Stunde erweitern ließ: "Die wurde vom Rat nicht genehmigt." Ganze 60 Sekunden hätten sich die Stadträte Zeit genommen. Es war eine Schweigeminute. "Kaum einer", sagt der in Irak geborene Deutsche, "will in dieser Stadt noch über den Mord reden."

Der Anwalt der Witwe, Ronald Reimann, tritt in einer Verhandlungspause vor die ausgeschlossene Öffentlichkeit. Die Angeklagten hätten die Vorwürfe im Wesentlichen bestätigt, sagt er. Er habe aber nicht den Eindruck, dass ihre Tat sie im Nachhinein sonderlich bewege. Von Reue sei nichts zu spüren gewesen: "Kein Wort der Entschuldigung, da ist gar nichts gekommen."

Angelika Adriano verlässt die Verhandlung am Dienstag vorzeitig. Weil sie die Emotionslosigkeit der Täter nicht ertragen habe, sagt ihr Anwalt.

(aus: Thomas Maron, Hinter der Maske der Harmlosigkeit, in: Frankfurter Rundschau vom 23.08.2000)

 

Arbeitshinweis