M 01.13 Das Thema Rechtsextremismus in den Medien

Das Thema Rechtsextremismus in den Medien Sondersendungen über Rechtsradikalismus im Fernsehen, ganze Zeitungsausgaben gegen die Gewalt von rechts: Die Medien scheinen ihr Sommerloch-Thema gefunden zu haben. Doch einen journalistischen "Stichflammeneffekt" - in sehr kurzer Zeit sehr viel Berichterstattung und dann das nächste Thema - dürfe es bei diesem ernsten Problem nicht geben, sagt Siegfried Weischenberg. Mit dem Vorsitzenden des Deutschen Journalistenverbandes sprach FR-Redakteurin Ingrid Scheithauer über die Reaktionen der Medien auf die neue Welle rechter Gewalt

FR: Der Rechtsextremismus beherrscht derzeit die Schlagzeilen. Ist es mehr als ein Sommerloch-Thema?

Siegfried Weischenberg: Der Anschlag in Düsseldorf hat das Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Eine Gefahr bei der derzeitigen Berichterstattung über den Rechtsextremismus ist natürlich, dass dem Thema nur deshalb so viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, weil die Agenda im politischen Geschäft ansonsten jetzt leer ist. Ein zweites Phänomen würde ich als "Stichflammeneffekt" im Journalismus beschreiben: Es gibt eine sehr kurze Zeit eine sehr breite Berichterstattung, aber dann wird das Thema bald von einem anderen ersetzt. Das ist beim Thema Rechtsextremismus sehr problematisch.

Wenn man die Berichterstattung in den meisten Medien verfolgt, könnte man glatt den Eindruck gewinnen, es gibt in diesem Land erst seit dem August 2000 Rechtsextremismus. Wie konnte es angesichts all der vorausgegangenen Anschläge zu dieser Wahrnehmung kommen?

Grundsätzlich gilt, dass beim Thema Neonazis bei den Medien eine höhere Sensibilität besteht als in anderen Teilen der Gesellschaft. Aber die Medien gehen unterschiedlich damit um: Seriöse Medien - wie die Qualitätszeitungen - haben sich, wenn auch in unterschiedlicher Weise, mit dem Thema immer wieder beschäftigt, nicht nur aus aktuellen Anlässen, sondern auch kontinuierlich in Hintergrundberichten. Andere Medien sind ganz strikt aktualitätsbezogen. Boulevardmedien ziehen das Thema hoch, personalisieren es, machen es plakativ, setzen auf Bilder. Diese Art der Berichterstattung ist hier allerdings nur bedingt angemessen.

Die Berliner Morgenpost hat ihre Mittwochsausgabe dem Thema gewidmet - Neonazismus als Medienereignis?

Ich bin da gespalten. Es kann genau diesen Stichflammeneffekt auslösen, man hat das Thema groß abgehandelt, wie vielleicht vorher den Absturz der Concorde. Danach geht man wieder zur Tagesordnung über. Wenn das, was wir jetzt verfolgen können, der Auftakt wäre für eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Thema, wäre ich froh. Dann würde ich auch die Art der Boulevardmedien, sich damit auseinanderzusetzen, akzeptabel finden. Wenn das Thema aber nur ausgeschlachtet wird mit Blick auf Einschaltquoten und Auflagen - so wie sich jeder Politiker geradezu beliebig dazu äußert - dann habe ich gemischte Gefühle.

Manche Kommentatoren sprechen von einer Hysterie der Medien. Haben sie recht?

Hysterie herrscht vielleicht in einer Beziehung: Es gibt ein Zitatenkarusell der "politischen Elefanten", also der Spitzenpolitiker. Derzeit äußert sich doch jeder Politiker mit unterschiedlich originellen, aus der Hüfte geschossenen Vorschlägen. Dazu aber ist das gesellschaftliche Phänomen Rechtsradikalismus mit all seinen politischen Folgen viel zu ernst.

Die Reaktionen der Politiker wirken sehr ritualisiert, laufen den Gesetzmäßigkeiten der Medien entsprechend ab.

Das ist ein Thema, bei dem Politiker allzu leicht in Gefahr geraten, ihre Entschlossenheit vorzuführen. Ich wünsche mir, dass die Medien diesem Populismus nicht erliegen und die Äußerungen der Politiker auf Handlungsrelevanz abklopfen. Rechtsradikalismus darf nicht allein auf der Ebene der "politischen Elefanten" abgehandelt werden. Es muss auch für die Lokal- und Regionalberichterstattung ein Thema sein. Wir brauchen Berichterstattung über konkrete Aktionen. Rechtsradikalismus muss ein journalistisches Dauerthema sein. Man kann von den Medien nicht verlangen, das Problem zu lösen, aber sie können zum Entstehen einer breiten gesellschaftlichen Bewegung gegen rechts beitragen. Ich habe den Eindruck, dass es bei Aufrufen zu mehr Toleranz häufig um ökonomische Interessen auf globalen Märkten geht und nicht um Humanität und das, was uns im Kontext der deutschen Vergangenheit aufgegeben ist.

Sie plädieren für ein journalistisches Gedächtnis. Und damit für eine kontinuierliche Berichterstattung eines als wichtig erkannten Problems. Widerspricht das nicht den Gesetzmäßigkeiten von Journalismus?

Ich sehe schon, dass der Journalismus mit der Forderung nach Kontinuität ein Problem hat. Denn Journalismus lebt von aktuellen Ereignissen. Wenn es keinen Anlass zur Berichterstattung gibt, entfällt die Berichterstattung. Da muss man vielleicht mehr Phantasie entwickeln. Ist der Vulkanausbruch der Berichterstattung, wie wir ihn derzeit in Sachen Rechtsextremismus erleben, nicht kontraproduktiv? Erreicht man gar das Gegenteil von dem, was man möchte, Überdruss statt Sensibilitäten? Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Aber mit diesem Risiko müssen wir leben. Und wenn die Bevölkerung - oder bestimmte Teile - Überdruss mit der Berichterstattung empfinden, dann haben wir ein tieferliegendes gesellschaftliches Problem.

Ist Rechtsextremismus mit martialischen Bildern von Aufmärschen, Schlägertypen, Anschlägen, ein besonders telegenes Thema? Und was müssen Fernsehjournalisten deshalb besonders beachten?

Sie müssen sich die Grenzen ihres Mediums bewusst machen. Natürlich lebt das Fernsehen von Bildern. Und damit ist es zwangsläufig ein vordergründiges Medium. Aber das Fernsehen kann mehr, als in der derzeitigen aktuellen Berichterstattung deutlich wird. Wenn es an den bewegten Bildern hängen bleibt, verspielt es die Möglichkeit zu dokumentieren, und auch Ursachen einzuordnen. Dass das Fernsehen auch das zu leisten vermag, hat es in seiner Geschichte immer wieder gezeigt. Dafür braucht man aber Zeit. Das gilt für die Specials und Brennpunkte, die mit heißer Nadel gestrickten Sondersendungen. Da sind sehr selten Beispiele zu sehen, die mehr leisten als, die Oberfläche abzubilden oder den "Elefanten" als Plattform zu dienen.

Nun entpuppt sich das Internet als Kommunikations- und Verbreitungsmedium rechter Gesinnung. Die großen Medienkonzerne setzen auf Selbstregulierung als den einzig gangbaren Weg. Ganz offensichtlich funktioniert das aber nicht.

Selbstregulierung ist für alle Medienbereiche ein richtiger und wichtiger Weg. Auch wenn sich hier zeigt, dass die Selbstregulierung des Internet nicht - noch nicht - funktioniert. Ein richtiger Ansatz liegt sicher bei den Domains selbst. Die Vergabe von bestimmten Namen muss verboten werden, das kann man auch im nationalen Rahmen machen. Und eine breite öffentliche Diskussion ist hier sicher wirkungsvoller als die sehr stumpfen rechtlichen Waffen. Wir haben ein neues, sehr massives Problem. Das Internet ist auch zu einem Netz für Rechtsradikale geworden.

Sehen Sie auf dem internationalen Parkett eine Verständigungsmöglichkeit? Eine Konferenz zum Thema Hass und Internet jüngst in Berlin hat eine sehr starre amerikanische Position, die keinerlei Eingriffe dulden will, erneut erkennen lassen.

Die deutschen Politiker müssen die aktuelle Diskussion zum Anlass nehmen, hier Vorstöße zu unternehmen. Ich vermisse die internationale Thematisierung der Problematik. Natürlich hat die US-Regierung hier eine andere Position, deren keineswegs zu unterschätzende Regulierung ist von ökonomischen Interessen getrieben. Hier aber geht es um politische Kultur. Und auch darum, dass das Internet zu einem sehr problematischen Medium wird. Da muss man international sehr viel engagierter sein als bisher.

(aus: Siegfried Weischenberg, Beim Thema Rechtsradikalismus darf es keine Stichflammen geben, in: Frankfurter Rundschau online, 08.09.2000

 

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