M 02.02 Woher die rechte Gewalt kommt
Gewalttaten von rechtsradikalen Jugendlichen sind kein passageres Problem einer Übergangsphase. Der Wahlerfolg der DVU bei den Landtagswahlen 1998 in Sachsen-Anhalt gerade unter Jungwählern (25 Prozent bei den 18- bis 25-Jährigen) weist auf ein Potenzial, aus dem sich nicht nur der harte Kern der Gewalttäter neu rekrutiert, sondern das auch darauf wartet, von einem politischen Formgeber als soziale Bewegung organisiert zu werden, ein Warten also auf den deutschen Jörg Haider. Jugend alleine kommt nicht vor. Sie ist eingebettet in Erwachsenengesellschaft und im Verhalten von Jugend spiegelt sich auch die innere Verfasstheit der Erwachsenenwelt wider, insbesondere deren Umgang mit Jugendlichen - und der lässt zu wünschen übrig. Jugend gilt weniger als Chance, sie wird zur Last. Jugendliche fühlen sich bedroht in fundamentalen Lebensbereichen wie Arbeit, Wohnen, Familiengründung und anderen Formen der Verwirklichung von Lebensglück außerhalb von Sozialhilfe. Zu den typischen Lebenslagen eines großen Teils junger rechtsradikaler Gewalttäter gehört zum einen das Verlierermilieu in den wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozessen insbesondere in den neuen Bundesländern. Mehr noch sind es Jugendliche aus den aufstiegsorientierten unteren und mittleren Milieus, die in der Angst leben, trotz Job oder Lehrstelle vielleicht schon bald zum Heer der Chancenverminderten zu gehören. Wie die Gewalt reicht auch die Angst bis in die Mitte der Gesellschaft. Wenn dann auch noch die Erwachsenen selbst oft in Ratlosigkeit, Gestaltungsunfähigkeit und oft in den rigiden und autoritären Denkmustern aus DDR-Zeiten verharren, sind Mut machende Orientierungen oft nicht zu gewinnen. Dass Jugendliche in solchen Situationen einfache Antworten suchen, die emotional stützen, anscheinend Sinn vermitteln und Schutz und Gemeinschaft Schicksalsgleicher bieten, ist nahe liegend. Diese Jugendlichen sehen sich oft eingebettet in ein Klima aggressiver Orientierungen. Sie handeln gewissermaßen als die Vollstrecker eines allgemeinen Volkswillens. Die Zugehörigkeit zur "Kameradschaft" garantiert zudem Anerkennung und Status - nichts ist für Jugendliche wichtiger als das. Bei ihnen muss die Überzeugung wieder hergestellt werden, dass man eine Chance auf Zukunft hat, und dass es sich lohnt, auch außerhalb rechtsradikaler Bezüge "dazuzugehören". Keine Frage: Straftaten sind zu verfolgen und aufzuklären. Selbstverständlich sind verbotene und verdächtige Versammlungen aufzulösen, verdächtige Wohnungen zu durchsuchen und notwendige Festnahmen durchzuführen. Ausländer und Minderheiten sind zu schützen und sog. "national befreite Zonen" nicht hinzunehmen. Staat und Gesellschaft haben zu schützen und Klarheit bei der Normgeltung zu schaffen. Mehr ist von der Justiz nicht zu erwarten. Der allgemeine Ruf nach Strafe setzt auf Abschreckung, die nicht wirkt, und begünstigt gegenproduktive Ausgrenzungsprozesse. Die Überfüllung der Gefängnisse, diesen Durchlauferhitzern für Gewalttäter, wird uns mehr Probleme bereiten als lösen. Die RAF war seinerzeit am stärksten, als ihre Ikonen inhaftiert waren. Justiz und Gesellschaft müssten dazu beitragen, die Mitläuferszenen abzuschmelzen, aus denen sich immer wieder der harte Kern der rechtsorientierten (Gewalt-)Täter rekrutiert, und helfen, diese Täterkarrieren abzubrechen und umzukehren. Das wäre Prävention: Allen Industrienationen ist das Problem wachsender (Gewalt-) Kriminalität gemeinsam. Österreich als das Land mit der geringsten Jugendarbeitslosigkeit und dem am wenigsten repressiv ausgerichteten Jugendstrafrecht hat die geringste Gewaltkriminalität. In den stark belasteten Ländern USA und Großbritannien haben härtere Strafen und mehr Freiheitsentzug wenig bewirkt, offensichtlich ist aber der Zusammenhang zwischen Rückgang der Kriminalitätszahlen und der Sicherung der sozialen Lagen (Abbau der Arbeitslosigkeit bei Vätern und Söhnen). Soziale Stabilisierung ist ein zentraler Faktor in der Kriminalitätsbekämpfung, auch bei rechtsradikalen Gewalttätern, deren Lebensziel eigentlich nicht mehr ist als das, was sich (fast) jeder wünscht: eine kleine gesicherte bürgerliche Existenz. (Klaus Breymann ist Oberstaatsanwalt und Mitglied der Jugendgerichtsvereinigung Sachsen-Anhalt) (aus: Klaus Breymann, Woher die rechte Gewalt kommt, in: Die Welt vom 14.08.2000, 08.09.2000: