M 03.05 Was verbirgt sich hinter der NPD?
Immer mehr Politiker fordern das Verbot der NPD. Was verbirgt sich hinter dieser Partei? Der Name stand für das Programm: Adolf von Thadden. Der ehemalige stellvertretende Oberbürgermeister von Göttingen scharte 1964 versprengte Mitglieder der verbotenen Sozialistischen Reichspartei um sich und gründete mit ihnen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD). Einige Jahre später wurde er Bundesvorsitzender. Von Thadden verkörperte die Tradition des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik während der 68er Jahre. Niemand wäre auf die Idee gekommen, Rechtsextremisten als "Skinheads" zu bezeichnen. Im wissenschaftlichen Diskurs Deutschlands herrschte weitgehend Konsens darüber, dass Neonazis eine aussterbende Gattung seien. Das war schon damals ein Irrtum. Die NPD ist die erfolgreichste Partei der Rechtsextremen. Heute erinnert man sich kaum noch daran, dass sie 1969 mit 4,3 Prozent den Einzug in den Bundestag nur knapp verfehlte. Die NPD saß mit 61 Abgeordneten in sieben Landtagen. Auch in den 70er Jahren erzielten einzelne NPD-Vertreter Wahlergebnisse, von denen heutige Rechtsextremisten nur träumen können: Der Bundesvorsitzende Martin Mußgnug erreicht in Tuttlingen über 15 Prozent, sein Nachfolger Günter Deckert erhielt 1974 in Weinheim mehr als 25 Prozent der Stimmen. Niemand redete damals jedoch davon, dass Weinheim eine "national befreite Zone" sei. Die Partei hat sich seit ihrer Gründung im Kern nicht verändert, ebenso wenig die zentralen Eckpunkte des Programms. Dazu gehört die völkische Idee von Staat und Nation. Die "Eigenart" eines Volkes, die kulturelle Identität, ist für die NPD eindeutig rassisch definiert. Nation wird zur Schicksalsgemeinschaft des Blutes. Die NPD operiert mit suggestiven Begriffen, die im deutschen Sprachraum eine eindeutige Geschichte haben. In Publikationen taucht permanent das "internationale Finanzkapital" auf - eine Wortschöpfung der NSDAP. Zentrales Thema der NPD war seit 1964 die Relativierung der deutschen Geschichte und der Kriegsschuld. Auch hier blieb sie sich konsequent treu. Der Kampf gegen die "Lüge von der deutschen Alleinschuld", der schon im Programm von 1964 an zentraler Stelle stand, führt ohne Umwege zur Parole "Schluss mit der Vergangenheitsbewältigung", mit der heute gegen die Wehrmachts-Ausstellung demonstriert wird. Der bayerische Landesverband der NPD benutzte 1966 im Wahlkampf zum ersten Mal die schillernde Parole "Überfremdung". Er assoziierte damit die alliierte Präsenz in Deutschland und meinte deren vorgebliche "Umerziehung des deutschen Volkes". Heute wird unter "Überfremdung" gefasst, was die NPD definiert, auch Afrodeutsche und Juden. Schon 1971 machte eine "Sinus-Studie" ein rechtsradikales Wählerpotenzial von 13 Prozent aus, das rassistische und antisemitische Vorurteile hat und zum nationalen Chauvinismus neigt. Die NPD hat es bis heute nicht geschafft, dieses Potenzial auszuschöpfen. Das gelang erst der DVU Gerhard Freys, die 1998 in Sachsen-Anhalt auf 12,5 Prozent der Wählerstimmen kam. Mit der DVU verbindet die NPD eine Art Hassliebe. 1990 liefen viele Funktionäre, auch der Ex-Vorsitzende Mußgnug, zur DVU über. Das hatte vor allem mit der finanziellen Potenz Freys zu tun, die mehr politischen Erfolg versprach. NPD und DVU arbeiten zusammen und teilen sich mittels Absprachen die Territorien auf. Der DVU-Aussteiger Jörg Fischer publizierte verschiedene Geheimabkommen zwischen der DVU und dem NPD-Präsidium, die dem Parteiengesetz widersprechen. Die extrem rechten Wählerschichten sind äußerst labil. Auch wenn sich das Milieu, eine rassistische Alltagskultur, im Osten stabilisiert hat, hat die NPD um ihre Stellung zu kämpfen. So hat sie heute in Sachsen immer noch mehr Mitglieder als etwa die Grünen, erlitt aber jüngst einen großen Aderlass an jungen Parteimitgliedern. Nachdem die Partei in ihren Hochburgen, vor allem im sächsischen Muldentalkreis, für ihre Kader kaum Sitze in den Stadträten erringen konnte, konzentrieren sich die örtlichen Anrührer der rechten Szene wieder auf die "außerparlamentarische" Jugendarbeit. Das Milieu organisiert sich in informellen und "freien Kameradschaften"; eine Partei wie die NPD dient ihm immer nur als Mittel zum Zweck. Fast alle prominenten Führungspersonen sind in ihrer Karriere in der NPD durch illegale neonazistische Gruppen wie etwa die Wiking-Jugend sozialisiert worden. Der Ingenieur Frank Schwerdt aus Berlin, heute im Parteivorstand, war Initiator der militanten und heute verbotenen Polit-Sekte "Die Nationalen", die in den neuen Bundesländern die Fascho-Szene aufbaute. Jens Pühse aus Freising ist ehemaliger Kader der verbotenen "Nationalistischen Front", ebenso wie der prominente NPD-Funktionär Steifen Hupka. Ein Verbot der Partei wäre für diese Neonazis, die schon mehr als ein Jahrzehnt im Geschäft sind, keine neue oder überraschende Erfahrung. Mit dem Umzug der Parteizentrale nach Dresden hat Udo Voigt, der seit 1996 NPD-Vorsitzender ist, Zeichen gesetzt. Die Propaganda konzentriert sich mehr auf Begriffe, die für ostdeutsche Sympathisanten attraktiv wirken: "Sozialismus ist machbar", heißt es auf einem in Thüringen verteilten Flugblatt. Die NPD distanziert sich offiziell von plumpen Hitler-Verehrern. Die Parole: "Adolf Hitler hat die Ideale des Nationalsozialismus an die Großbourgeoisie verraten" schließt sich nahtlos an die Propaganda des "dritten Weges" zwischen Kapitalismus und Kommunismus an. Das fällt in den neuen Bundesländern auf fruchtbaren Boden. Die offizielle Art der politischen Auseinandersetzung ist bei der heranwachsenden Generation diskreditiert. Rechte Alltagskultur artikuliert sich in subkulturellen Codes, nicht in Wahlverhalten. Was militärischer Dress und die Freikorps für die Sozialisation der NSDAP-Mitglieder waren, sind kahle Schädel und die lokalen "Kameradschaften" für das heutige Neonazi-Milieu. Auf dieser braunen Suppe schwimmt die NPD als Fettauge. (aus: Burkhard Schröder, Fettaugen auf der braunen Suppe, in: Die Woche vom 11.08.2000)