M 03.09 Hohe Hürden für ein NPD-Verbot?
In Berlin prüft jetzt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, ob das Ansinnen Erfolg verspricht, beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einen Antrag auf Verbot der Nationaldemokratischen Partei (NPD) zu stellen. Die Experten wissen, dass sie sich an einem schmerzhaften Prozess beteiligen: Parteiverbote haben jeder Demokratie wehgetan, weil sie die Demokratie an sich in Frage stellen, die Freiheit der Andersdenkenden vor allem. Und sie treffen die Parteien, denen das Grundgesetz keine geringere Rolle zuweist, als an der "politischen Willensbildung des Volkes" mitzuwirken. Die Experten in Berlin werden sich deshalb während ihrer Beratungen zwei Urteile des BVerfG ganz besonders ansehen und versuchen, sie im neuen Licht zu interpretieren: Das Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) von 1952 und das der Kommunistischen Partei (KPD) von 1956. In diesen beiden einzigen Fällen beschloss das BVerfG, sein exklusives Recht aus Artikel 21 Grundgesetz zu nutzen und zum äußersten Mittel zu greifen: Eine Partei aufzulösen und ihr Vermögen einzuziehen. Die Karlsruher Richter haben das Parteiverbot als Ausdruck der "streitbaren" oder "wehrhaften" Demokratie beschrieben - die Gesellschaft muss sich (anders als in der Weimarer Republik) wehren können gegen Parteien, die den Staat gefährden. Allerdings hat das Gericht solchen Eingriffen enge Grenzen gesetzt und sich zumindest mit der umstrittenen KPD-Entscheidung äußerst schwer getan. Die Bundesregierung hatte am 16. November 1951 beschlossen, für SRP und KPD Verbote zu beantragen, die SRP wurde gleich 1952 aufgelöst, bis zum KPD-Urteil vergingen dagegen noch vier Jahre, die Richter verfassten eine der längsten Urteilsbegründungen der Gerichtsgeschichte. In der Einleitung sagte der Senatspräsident voller Unmut, die Bundesregierung trage allein die Verantwortung für dieses Verfahren. Die SRP wurde verboten, weil sie antisemitisch war, weil ihr Aufbau, Auftreten und Programm Adolf Hitlers NSDAP wesentlich ähnelte. Das Verbot war nach Ansicht der Richter allein schon deswegen begründet, weil sich die "grundsätzlich demokratiefeindliche Haltung" der SRP bereits an deren autoritärer innerer Organisation offenbarte. Das Verbot der KPD folgte strengeren Voraussetzungen. Inzwischen forderten die Richter nämlich nicht nur, dass die Partei die obersten Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht anerkennt, vielmehr müsse eine "aktiv kämpferische, aggressive Haltung" gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen. Der Grundgesetz-Kommentar von Mangoldt/Klein/Starck bemerkt dazu, "verboten sind keine Ideen, nur Handlungen", damit sich das Parteiverbot von jeder Art der "Inquisition" unterscheide. Viele Beobachter zweifelten indes an, ob das KPD-Urteil tatsächlich diese Voraussetzung erfüllte oder eher der damaligen antikommunistischen Hysterie folgte. Bei der Beurteilung, ob eine Partei das Ziel hat, die "freiheitlich demokratische Grundordnung" abzuschaffen oder zu beeinträchtigen, blicken die Richter auf das Ganze: Parteiprogramm, Erklärungen, Verhalten der Anhänger. Wenn Skinheads Ausländer verprügeln oder töten, verstoßen sie gegen Menschenrechte des Grundgesetzes, und damit, so befand das BVerfG im SRP-Urteil, gegen die Grundordnung. Schwierig ist es zu beurteilen, ob das Verhalten einzelner Gewalttäter der gesamten Partei zugerechnet werden kann. Das ist nicht einmal dann der Fall, wenn einzelne Parteifunktionäre "entgleisen". Im KPD-Urteil forderte das BVerfG, dass die verfassungswidrigen Bestrebungen in der Partei deutlich überwiegen und sich daraus entsprechende politische Aktionen ergeben müssen. Das ist ein Sachverhalt, der vor dem BVerfG im Falle eines NPD-Verbotsantrags zu beweisen wäre. (aus: Nicolas Richter, Hohe Hürden für ein NPD-Verbot, in: Süddeutsche Zeitung vom 12.8.2000, URL vom 08.09.2000