M 03.10 NPD ist an der Verbotsgrenze
Das Verbotsurteil gegen die KPD erhält neue Aktualität. Kein altes Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird in diesen Tagen so viel studiert wie das zum KPD-Verbot von 1956. Auf 300 Seiten wurden dort Grundsätze entwickelt, wann eine Partei als verfassungswidrig zu verbieten ist. Die Frage, ob die NPD diese Kriterien erfüllt, muss die Bund-Länder-Kommission in den nächsten Wochen beantworten. Eine Partei, entschied der Erste Senat des Karlsruher Gerichts damals, ist nicht schon verfassungswidrig, wenn sie "die obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkennt". Vielmehr müsse eine "aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen". Der Satz wird in der aktuellen Debatte so diskutiert, als müsse der NPD nachgewiesen werden, dass sie Morde an Ausländern oder Obdachlosen selbst anzettelt oder öffentlich billigt. Dieses Verständnis ist jedoch nicht zwingend. Denn in der fraglichen Passage ist nicht von "aggressiv kämpferischen Taten" die Rede, sondern von einer Haltung. Die Richter wollten erkennbar verhindern, dass Parteien allein deshalb verboten werden können, weil sie abweichende Meinungen zur Verfassung und zu den Menschenrechten vertreten. Aggressive Agitation, Übergriffe auf politische Gegner können nach dem früheren Urteil dagegen die Grenzlinie sein, die zwischen Legalität und Verbot verläuft. Die NPD scheint deshalb zu fürchten, dass Mitgliedern ihrer Jugendorganisation gewalttätige Auseinandersetzungen, erst recht Körperverletzungen oder Mordversuch nachgewiesen werden können. Bei der Pressekonferenz vom Wochenende kündigte der stellvertretende Parteivorsitzende Günter Eisenecker bei Gewalttaten Parteiausschlüsse an. Er tat es mit Sicherheit aus taktischen Gründen, Eisenecker ist Jurist. Der Nachweis, dass die NPD dem Grundgesetz so nahe steht wie der Teufel dem Weihwasser, dürfte nicht schwer zu führen sein. Dass sie nicht die Würde aller Menschen achtet, sondern nur die des deutschen Menschen mit der richtigen Gesinnung, legt sie in ihrem Programm relativ unverblümt dar. "Volkstum und Kultur sind die Grundlagen für die Würde des Menschen", heißt Punkt eins ihres Programms. An die Stelle der Freiheit der Persönlichkeit setzen die Neonazis die "deutsche Freiheit". Auch die Gleichheit vor dem Gesetz gilt der NPD nichts. "Kindergeld darf nur an deutsche Familien ausgezahlt werden", "Ausländer sind aus dem deutschen Sozialversicherungssystem auszugliedern", so das rassistische Credo. Ein reines Lippenbekenntnis stellt das Bekenntnis der NPD dar, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Zwar wiederholt sie den Satz auch in ihren Internet-Publikationen oft. Auf Nachfrage beruft sich die Parteispitze dann aber auf Artikel 146 des Grundgesetzes, wonach es nach der Wiedervereinigung durch eine neue Verfassung ersetzt werden kann. Wie diese Verfassung nach Vorstellung der Neonazi-Partei aussehen würde, dazu siehe oben. Auch das kann für ein Verbot der Partei sprechen. "Eine Partei ist schon dann verfassungswidrig, wenn sie eine andere soziale und politische Ausprägung der freiheitlichen Demokratie als die heutige ... deshalb anstrebt, um sie als Durchgangsstadium zur leichteren Beseitigung jeder freiheitlichen demokratischen Grundordnung überhaupt zu benutzen", so der Erste Senat 1956. (aus: Ursula Knapp, Wie Teufel und Weihwasser. NPD ist an der Verbotsgrenze, in: Frankfurter Rundschau vom 15.08.2000)