M 03.13 Verbot der NPD - keine Lösung!
Von Ein Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands, wie es der bayerische Innenminister Günther Beckstein gefordert hat, führt uns nicht weiter. Ich bin der Ansicht, dass der Antrag auf ein Verbot der NPD in einem geordneten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - denn das kann Minister Beckstein ja nur fordern, weil ein unmittelbares Verbot nicht möglich ist - keine Lösung des Problems bedeuten kann. Nach den geschichtlichen Erfahrungen in der Bundesrepublik führt ein Verbotsantrag und ein vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenes Verbot nicht zur Eindämmung der rechten Gewalt, sondern zur Veränderung der Szene mit schlechteren Überwachungsmöglichkeiten. Denn die rechtsgerichtete Szene wird dann diffus und unübersichtlich. Darüber hinaus besteht dann die Gefahr, dass sich Nachfolgeorganisationen und neue Parteien gründen. Auf diese Weise würden wir mit Verbotsverfügungen dem Phänomen rechtsgerichteter Gewalt hinterherlaufen. Das kann nicht die Lösung sein. Zur juristischen Problematik des NDP-Verbots: Ein solcher Antrag müsste hieb- und stichfest begründet werden. Denn nichts wäre schlimmer als ein vom Bundesverfassungsgericht wegen unzureichender Begründung abgewiesener Verbotsantrag oder ein sich lange hinschleppendes Gerichtsverfahren. Neben dieser juristischen Seite sehe ich eine weitere Gefahr: Die Solidarisierung verschiedenster Organisationen mit der vom Verbot bedrohten oder betroffenen NPD. Was Minister Beckstein fordert, ist ein Schnellschuss, der den Eindruck vermitteln soll, man tue etwas. Doch die gesamtgesellschaftliche Situation wird damit nicht verändert. Denn der Verbotsantrag bewirkt außer einem voraussichtlich langen Verfahren zunächst mal wenig oder gar nichts im positiven Sinne der Eingrenzung rechter Gewalt. Dem Phänomen der sich ausbreitenden rechtsgerichteten Strömungen müssen wir auf verschiedenen Ebenen begegnen. Zunächst mit klar definierten, schnell wirksamen und exakten polizeilichen Maßnahmen sowie entsprechenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Die Technik der Ermittlungen muss verbessert werden. Denn diese Arbeiten müssen so gut sein, dass auf deren Basis die Gerichte klare Urteile fällen können. So haben wir uns in Schleswig-Holstein bereits darauf verständigt, die bestehende enge Zusammenarbeit von Polizei und Justiz noch weiter zu intensivieren. Den politischen Dezernaten bei den Staatsanwaltschaften kommt dabei besondere Bedeutung zu, ihre enge Verzahnung mit der Polizei ist absolut notwendig und wird auch praktiziert. Dabei werden Erfahrungen aus verwaltungsgerichtlichen Verbotsverfügungen mit berücksichtigt. Wichtig ist es, die Beweiserhebung vor Ort zu verbessern. Außerdem muss das Hintergrundwissen von Polizei und Justiz einschließlich der Gerichte verstärkt und verbessert werden. Auch wenn es in diesem Zusammenhang wenig spektakulär klingt: Wir werden die Fortbildungsarbeit verstärken und eine klare rechtspolitische Debatte führen. Außerdem gilt: Ich bin nicht nur Justizministerin, sondern auch Jugendministerin. Die Ressorts für Inneres, Justiz, Bildung und Jugend werden gemeinsam eine gründliche Bestandsaufnahme vornehmen und die verschiedenen Programme im Schulunterricht und der Jugendarbeit wie bei der polizeilichen Aus- und Fortbildung verstärken und den aktuellen Erfordernissen anpassen. Eines ist klar: Schon Kinder müssen frühzeitig bewusste Demokratie, die sich entschieden gegen Rechtsradikalismus stellt, lernen. Viel ist in diesem Bereich schon getan worden. Aber es zeigt sich, es ist noch zu wenig. Wir müssen immer wieder die gesamtgesellschaftliche Verantwortung einfordern. Insgesamt muss der Prävention mehr Aufmerksamkeit als bisher gewidmet werden. Auch ist der Ruf nach Zivilcourage in jeder Situation nie überflüssig. Schließlich ist festzustellen, dass die sich Zunahme rechtsextremistischer Strömungen mit entsprechenden Gewalttaten nicht auf die neuen Bundesländer beschränkt. Dies zu behaupten, würde eine Verkürzung des Problems darstellen. Auch das alte Westdeutschland steht ganz klar in der Verantwortung. (Die Verfasserin gehört Bündnis 90/Die Grünen an und ist Ministerin für Justiz, Frauen, Jugend und Familie in Schleswig-Holstein) (aus: Anne Lütkes, Verbot ist keine Lösung, in: Die Welt vom 21.08.2000)