M 03.14 NPD-Verbot - ein Schnellschuss?
In der Geschichte der Bundesrepublik hat es bislang zwei Parteienverbote gegeben: 1952 verbot das Bundesverfassungsgericht die Sozialistische Reichspartei (SRP), 1956 traf es die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Zum Für und Wider eines NPD-Verbots äußert sich Martin Morlok, Direktor des Instituts für Deutsches und Europäisches Parteienrecht an der Fernuniversität Hagen, in diesem Interview. Frage: Der Ruf nach einem NPD-Verbot wird immer lauter. Was halten Sie davon? Morlok: Hier müssen verschiedene Aspekte unterschieden werden. Erster Aspekt: Was soll mit einem Verbot erreicht werden? Im Kampf gegen die rechte Gewalt halte ich es für keine zielführende Maßnahme. Ein Verbot muss technisch effizient sein, kein symbolischer Akt. Gegen rechte Schlägertrupps hilft es nicht weiter. Frage: Und der zweite Aspekt? Morlok: Bevor das Bundesverfassungsgericht angerufen wird, muss ganz genau ge prüft werden, ob sich ein NPD-Verbot überhaupt durchsetzen lässt. Alles andere als eine Untersagung wäre verheerend. Spricht sich das Gericht dagegen aus, hätte die NPD sozusagen Brief und Siegel für ihre Verfassungstreue. Frage: Welche Chancen räumen Sie einem Verbot ein? Morlok: Keine Prognose. Nur soviel: Die Voraussetzungen für ein Verbot sind relativ hoch angesetzt. Zu Recht übrigens. Denn das Parteiverbot ist ein gefährliches Instrument der Demokratie. Frage: Das heißt? Morlok: Politik ist auch der Wettbewerb der Parteien. Und in diesem Wettbewerb besteht durchaus die Versuchung, politische Gegner auf dem Wege eines Verbots ausschalten zu wollen. Um das zu verhindern, liegt die Entscheidung - ein Parteiverbot auszusprechen - einzig und allein in den Händen des Bundesverfassungsgerichts. Frage: Wann wird ein Parteiverbot ausgesprochen? Morlok: Wenn eine Partei oder ihre Anhänger in aktiver und aggressiver Weise verfassungsfeindliche Ziele verfolgen. Schließlich wäre es doch paradox, denjenigen, welche die Regeln unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung bekämpfen, weiterhin alle Freiheiten der Demokratie einzuräumen. Frage: Bietet das Parteiengesetz Ansatzpunkte, der NPD zumindest teilweise den fi-nanziellen Nährboden zu entziehen? Morlok: Nein. Laut Gesetz sind alle Parteien gleich zu behandeln. Es sei denn, eine Partei wurde verboten. Das ist ein Lehrstück der Demokratie. Frage: Was steht der NPD an staatlichen Geldern zu? Morlok: Für den Fall, dass die Partei bei Landtags-, Bun-destags- oder Europawahlen mehr als 0,5 Prozent der Stimmen erhält, bekommt sie für jede Wählerstimme 1,30 Mark. Außerdem für jede gespendete Mark sowie jede Beitragsmark nochmals 0,50 Pfennige. Frage: Immer wieder kommt es zu NPD-Aufmärschen. . . Morlok: Diese zu untersagen, ist keine Sache des Parteiengesetzes. Der NPD - beziehungsweise ihren Mitgliedern - steht das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit ebenso zu wie jedem Einzelnen von uns. Dieses Grundrecht kann nur eingeschränkt werden, wenn Gefahr für andere Rechtsgüter besteht. Hier muss von Fall zu Fall entschieden werden - was in der Praxis ja auch geschieht. Frage: Abschließendes Urteil - NPD-Verbot, ja oder nein? Morlok: Wie gesagt, der Schuss kann auch nach hinten losgehen. Bei allem Streit über das Für und Wider eines Verbots sollte nicht vergessen werden, dass extreme Parteien wie die NPD auch eine Art Frühwarnsystem unserer Gesellschaft darstellen - wer Angst vor dem Feuer hat, stellt nicht den Brandmelder ab. Ein NPD-Verbot käme einem Abschalten dieses Frühwarnsystems gleich. Frage: Was bleibt zu tun? Morlok: Anstatt über ein Verbot zu diskutieren, sollten wir uns die Frage stellen, was die Menschen in die Arme extremer Parteien treibt. Parteiparolen wie "Ausländer nehmen uns die Arbeit weg" deuten auf ein gesellschaftliches Problem hin. Die Zugehörigkeit zu einer extremen Partei ist ein Mittel, seinen Unmut über die Arbeitslosigkeit zum Ausdruck zu bringen. (aus: Torsten Storks, Parteienexperte:"Brandmelder" NPD nicht einfach abschalten, in: Münstersche Zeitung vom 09.08.2000)