M 03.15 Ein Verbot der NPD ist politisch abwegig und verfassungsrechtlich fragwürdig
Der neueste Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz, vorgelegt im April dieses Jahres, widmet der NPD, wie schon seit Jahren, ein kleines Kapitel in der Abteilung "Rechtsextremismus". Wer über zehn Druckseiten das Altbekannte las, mag an alles gedacht haben, nur an eines nicht: Dass einige Monate später das Verbot dieser Partei erörtert wird. Zwar war von Berührungspunkten mit Neonazis die Rede. Doch nicht einmal die zur Dramatisierung neigenden Verfassungsschützer stuften die NPD in ihrer Gesamttendenz als neonazistisch ein. Sie bescheinigen der Partei, sich "inhaltlich weiter für sozialistische Themen (zu öffnen)" und insofern eine "nationalbolschewistische Ausrichtung" zu haben. Doch sei der "Aufwärtstrend zum Stillstand" gekommen und die Partei "an die Grenzen ihrer Integrationsfähigkeit gestoßen". Zu den Jungen Nationaldemokraten, die heute besonders im Visier sind, heißt es, sie hätten "als Nahtstelle zwischen der NPD und den Neonazis an Bedeutung eingebüßt". Davon, dass die NPD die "Schaltzentrale" der Gewalt von rechts geworden wäre, wie der "Spiegel" jetzt nahe legt, war im April nichts zu lesen. Nicht einmal der in diesen Tagen gängige Hinweis, einzelne Mitglieder neigten vermehrt zu Gewalttaten, findet sich im jüngsten Bericht des Verfassungsschutzes. Hat das selbst ernannte "Frühwarnsystem" der "streitbaren Demokratie" die Gefahr im Verzuge verschlafen? Gegen den durchaus berechtigten Vorwurf muss man die Verfassungsschutzämter dieses Mal in Schutz nehmen: Sie konnten nicht ahnen, dass im Gefolge des Düsseldorfer Anschlags (der noch immer ungeklärt ist) und einer Reihe fremdenfeindlicher Gewaltakte führende CSU-Leute die Idee aufbringen würden, die NPD verbieten zu lassen. Für sie war der Anlass günstig, Franz-Josef Strauß' Vermächtnis zu bekräftigen, es dürfe in Deutschland rechts von der CSU keine legale Opposition geben und jetzt mal den "Sozen" den Schwarzen Peter der Untätigkeit gegen rechts zuzuschieben. Wenn die Lage so ernst ist, wünscht man sich etwas mehr Seriosität. Doch der rot-grünen Bundesregierung fällt nach anfänglichem Zögern offenbar nichts Besseres ein, als dem blau-weißen Antifaschismus nachzulaufen. Sah es zunächst so aus, als wolle man mit der Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe das Problem von der Ministerial- und Verfassungsschutzbürokratie kleinarbeiten lassen, so scheint jetzt eine Dynamik in Gang zu kommen, die den Verbotsantrag politisch unausweichlich macht. Und das wird ins Auge gehen. Zwar vermag niemand das Karlsruher Orakel vorherzusehen, aber man kann vorliegende Präjudizien in den Blick nehmen. Die beiden bisherigen Verbotsverfahren wurden 1951 von der Regierung Adenauer beantragt; als der Kalte Krieg in Korea gerade in einen wirklichen übergegangen war. 1952 wurde die Sozialistische Reichspartei (SRP) als Nachfolgeorganisation der NSDAP verboten - sie war in der Tat personell wie programmatisch eine jämmerliche Wiederauflage der Nazipartei. Bereits in diesem Fall wurde aber das Parteiverbot als Instrument des präventiven Verfassungsschutzes herausgestellt, der wirkliche Gefahrenlagen für die Demokratie gar nicht abzuwarten braucht. Auf der Suche nach den "wahren Zielen" einer Partei wurde deren Programm kurzerhand zur Nebensache erklärt. Ungleich schwerer tat sich das Verfassungsgericht mit dem Urteil gegen die KPD. Es brauchte nahezu fünf Jahre, um das Verdikt gegen die Kommunisten zu verkünden: Sie wurden verboten, weil sie verbalradikal zum "Sturz des Adenauerregimes" aufriefen und ein vages "Fernziel", die Diktatur des Proletariats, verfolgten. Dieses aber, so die Verfassungsrichter, sei mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (also den Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaats) inhaltlich nicht vereinbar. Was beide Urteile problematisch macht: Um gewaltsame Politik ging es weder in dem einen noch dem anderen Fall: Die Parteien wurden nicht verboten, weil sie eine messbare Gefahr für die Demokratie darstellten. SRP und KPD wurden vielmehr wegen mangelnder Verfassungstreue ausgegrenzt - eben weil sie "nach ihren Zielen" die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO) "beeinträchtigen oder beseitigen" wollten. Im Rahmen dieser ideologisch aufgeladenen Interpretation ebnete man die diskutable Verbotsalternative des Grundgesetzes, die sich auf das "Verhalten" der Parteianhänger bezieht, völlig ein: Als "Verhalten" wurden Reden von Parteifunktionären eingestuft, nicht etwa militante Straftaten. Gemessen an diesen normativen Prämissen, ließe sich praktisch jede radikale Partei verbieten, die hier zu Lande als "extremistisch" verdächtigt wird: DVU, REPs und natürlich auch die PDS. Die verfassungsrechtlichen Hürden für ein Parteiverbot sind bei uns ungewöhnlich niedrig - gemessen an den Standards westlicher Demokratien, deren Verfassungen solch einen präventiven Eingriff gar nicht kennen. Das bedeutet nicht, dass man einen Verbotsantrag heute risikolos stellen könnte. Denn es ist unwahrscheinlich, dass das Verfassungsgericht die alte Rechtsprechung im Fall der NPD ohne Einschränkung fortführen wird. Dem Angstmilieu der fünfziger Jahre längst entwachsen, hat sich die (west)deutsche Demokratie in fünf Jahrzehnten als stabil erwiesen, und das Bewusstsein für die Bedeutung rechtsstaatlich klar formulierter Eingriffstatbestände, für die Notwendigkeit des Pluralismus und die Offenheit des demokratischen Prozesses ist gottlob stärker geworden. Von daher und weil natürlich auch der Zeitgeist auf die Interpretation des Verfassungsgerichts einwirkt, ist kaum zu erwarten, dass in Karlsruhe eine Partei nur deshalb im Namen der fdGO exkommuniziert wird, weil sie verfassungswidrige Ziele vertritt. Anders gesagt: Hetzpropaganda allein genügt heute wahrscheinlich nicht mehr, um eine Partei aus dem Wettbewerb um Wählerstimmen und Mandate ausschließen zu lassen. Wer immer also einen Verbotsantrag stellt, muss damit rechnen, dass in Karlsruhe mehr verlangt wird als der ideologische Hochverrat an der fdGO. Er wird hieb- und stichfestes Material auf den Tisch legen müssen, mit dem sich klar beweisen lässt, dass die Anhänger einer Partei durch ihr gewalttätiges Verhalten die demokratischen Spielregeln aufgekündigt haben. Bezogen auf die NPD heißt das (sollte nicht noch sensationell neues Belastungsmaterial aus dem Hut gezaubert werden): Ein Verbotsantrag verdiente nichts anderes, als vom Verfassungsgericht als unbegründet zurückgewiesen zu werden. Ob die NPD, die Wahlkampfkosten in Millionenhöhe entschädigt bekommt, sich etwa bei der Aufstellung ihrer Kandidaten und anderen innerparteilichen Gepflogenheiten an die Vorgaben des Parteiengesetzes gehalten hat, kann man (übrigens auch bei der DVU) bezweifeln und genauer prüfen, als das bislang geschehen ist. Aber ein bloß gut gemeinter Verbotsantrag dürfte scheitern. Wäre das ein "Persilschein" für deutschtümelnde und ausländerfeindliche Politik? Keineswegs. Es wäre eine Ohrfeige für das herrschende Parteienkartell und - ein Sieg für die Demokratie. Denn es gibt heute keinen vernünftigen Grund, den notständischen Ausnahmeartikel gegen "verfassungsfeindliche" Parteien politisch wieder zu beleben. Je länger die zweischneidige Waffe des Parteiverbots Rost ansetzt, desto bessere Prognosen sind der deutschen Republik zu stellen. (Claus Leggewie ist Professor für Politikwissenschaft in Gießen, Horst Meier ist Jurist und freier Autor in Hamburg. 1995 haben sie das Buch "Republikschutz. Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie" (Rowohlt) vorgelegt. 1993 erschien von Horst Meier die verfassungsrechtliche Studie: "Parteiver- bote und demokratische Republik" .) (aus: Claus Leggewie und Horst Meier, Ein Verbot der NPD ist politisch abwegig und verfassungsrechtlich fragwürdig. In: Die Welt online URL vom 19.08.2000