M 04.03 Kumpanei und Anbiederung - das falsche Konzept
Der Bremer Professor Franz Josef Krafeld verteidigt die “akzeptierende Jugendarbeit” gegen ihre oft missverstandene Umsetzung in Ostdeutschland. Grundsätzlich ist zunächst festzustellen: Nicht das Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit ist gescheitert, sondern die Gesellschaft insgesamt ist bisher an dem Ziel gescheitert, Rechtsextremismus und Gewalt zurückzudrängen. Denn beides nimmt weiter zu - vor allem im Osten. Und das hat natürlich auch Konsequenzen für die Jugendarbeit. Politische Seite ausgeblendet Mit eigenen Werten konfrontieren Grenzen ziehen (aus: Franz Josef Krafeld: “Wo rechte Jugendliche die Hegemonie ausüben, dürfen sie nicht noch gestärkt werden”. Kumpanei und Anbiederung - das falsche Konzept, in: Süddeutsche online, URL vom 31.08.2000
Wenn es um die zunehmende rechte Gewalt geht, dann wird häufig auch die “akzeptierende Jugendarbeit” erwähnt und ihr vorgeworfen, sie habe im Kampf gegen diese Entwicklung versagt - oder sie habe sie gar noch gefördert. Der Bremer Professor Franz Josef Krafeld gilt als “geistiger Vater” des Ende der 80er Jahre entwickelten Konzeptes.
Gegen Rechtsextremismus und Gewalt können nur solche Menschen wirken, die selbst grundverschiedene andere ethische und politische Orientierungen haben, die diese auch zeigen und die sie in ihrem Handeln lebendig werden lassen. Und wenn solche Leute dann trotzdem bereit sind, auf junge Menschen zuzugehen, die sich von rechtsextremistischen Orientierungen leiten lassen, dann ist es sinnvoll, Akzeptanz zu betonen: nämlich die Akzeptanz des Gegensätzlichen als Ausgangspunkt von Einmischungs- und Veränderungsprozessen.
Unter Gleichgesinnten - oder wenn man keinerlei Probleme mit den Einstellungen und Verhaltensweisen des anderen hat - braucht man Akzeptanz nicht zu betonen. Da ist sie selbstverständlich! Wer da trotzdem von Akzeptanz spricht, will Erstarrung statt Veränderung. Und genau in diesem Sinne wird der Begriff der akzeptierenden Jugendarbeit immer häufiger gebraucht - nicht zuletzt auch von vielen Jugendarbeitern, Jugendämtern und Kommunalpolitikern in Ostdeutschland. Mit dem Begriff wird nicht selten kaschiert, dass man die politische Seite der Aufgabe ausblenden will (und nicht selten sogar Jugendarbeitern politische Diskussionen im Dienst verbietet!). Oder es wird verschleiert, dass man eigentlich überhaupt kein Konzept hat und daher auf Anbiederung, Kumpanei und Gefälligkeit zurückgreift, um Jugendliche “von der Straße zu holen” und “irgendwie sinnvoll zu beschäftigen”.
Immer häufiger wird aus einer Akzeptanz des tiefgreifend anderen ein gleichgültiges bis zustimmendes Hinnehmen gemacht. Zwei entscheidende Gründe dafür finden sich gerade im Osten immer wieder: Einmal sind in weiten Teilen Ostdeutschlands fremdenfeindliche, rassistische und andere rechtsextremistische Ansichten inzwischen derart verbreitet, dass sie geradezu als normal und selbstverständlich gelten - einschließlich daraus abgeleiteter Verharmlosungen oder Rechtfertigungen von Gewalttaten. Und zum zweiten ist beim Aufbau von Jugendarbeit in Ostdeutschland in geradezu skandalöser Weise versäumt worden, kontinuierlich qualifiziertes Personal einzusetzen und dieses berufsbegleitend zu beraten und weiterzubilden.
Hinzu kommt, dass dort, angefangen mit dem AgAG-Programm der Bundesregierung (Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt 1992-1996) eine konzeptionelle Entwicklung von Jugendarbeit bislang weitgehend vernachlässigt wird und man immer wieder die politischen Beweggründe vieler Gewalttaten bagatellisiert oder gar leugnet. Die meisten Jugendarbeiter, die dort von sich selbst behaupten, nach dem “akzeptierenden Ansatz” zu arbeiten, haben noch nie davon gehört, dass es unter diesem Begriff überhaupt eine ausformulierte Konzeption gibt. Sie verwenden den Begriff als Synonym für eine persönlich vielleicht engagierte, aber fachlich völlig unprofessionelle und unvertretbare Identifizierung mit ihrer Zielgruppe.
Und wo vielleicht noch etwas aus dem Konzept aufgegriffen wird, da werden nicht selten solche methodischen Umsetzungen herausgegriffen, die zwar unter den konkreten Entstehungsbedingungen in einer relativ liberalen norddeutschen Großstadt sinnvoll sind, die unter typischen ostdeutschen Bedingungen aber oft das Entscheidende ins Gegenteil verkehren. Dort, wo rechte Jugendliche wegen ihrer Einstellungen und Verhaltensweisen überall ausgegrenzt und vertrieben werden, da muss man sich dafür einzusetzen, dass auch diese Jugendlichen sich irgendwo stressfrei treffen und aufhalten dürfen. Denn nur dann, wenn man irgendwo auch sein darf, Platz hat, gibt es auch Platz für Lernprozesse. Wo aber rechte Jugendliche die Hegemonie ausüben, da darf Jugendarbeit solche Herrschaftsverhältnisse nicht noch stärken! Denn der Grundsatz ist hier wie dort: Alle Jugendlichen brauchen sozial-räumliche Entfaltungsmöglichkeiten!
Genauso ist es mit der Beziehungsarbeit: Wer nur auf der Sachebene argumentieren und handeln will, wer “denen was zu sagen hat”, sich “die aber nicht anhören kann”, der scheitert. Pädagogisch ebenso schlimm ist aber, wenn man “um alles in der Welt das gewonnene Vertrauen bewahren will” und sich deshalb scheut, die Jugendlichen offen mit den eigenen Überzeugungen und Werthaltungen zu konfrontieren. Gerade die “Konfrontation mit dem Anderssein” ist ein wichtiges pädagogisches Mittel und gleichzeitig demokratisches Grundprinzip - zumal im Umgang mit extremen Auffassungen und Verhaltensweisen.
Man muss zuhören können, man muss Interesse für die Jugendlichen zeigen, aber man muss sich auch selbst zeigen, sie mit den eigenen ethischen Grundhaltungen, Wertvorstellungen und Handlungsmustern konfrontieren. All das findet sich wieder in folgender Aussage eines rechten Jugendlichen: “Sag mal, was du dazu denkst. Ich weiß, du hast da eine völlig andere Meinung. Aber sie interessiert mich. Eben, weil’s deine ist. “
Von Links wird der akzeptierenden Jugendarbeit häufig etwas vorgehalten, was in der Sozialarbeit als Grundregel für die Arbeit mit allen Menschen gilt: “Man muss die Klienten dort abholen, wo sie stehen. “ Denn anders kommt man gar nicht an sie ran. Wohin es dann aber gehen soll und wie, das sind entscheidende Fragen an die pädagogische Kompetenz. Und in diesen Zielaussagen kommt gerade in der Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen allzu oft die politische Komponente nicht oder nur ganz am Rande vor - vor allem in Ostdeutschland.
Als zweites wird der akzeptierenden Jugendarbeit häufig vorgehalten, sie kümmere sich nur um diejenigen Probleme, die rechte Jugendliche haben (und seien es sogar speziell solche, die sie als Täter haben). Zweifellos gibt es das, gerade da, wo sich Jugendarbeiter mit “ihren Jugendlichen” eins fühlen gegenüber einer Umwelt, “die ihnen was will”. Aber mit professioneller Sozialarbeit hat das nichts zutun - genauso wenig wie die oft eingeforderte Kehrseite: sich nur um diejenigen Probleme zu kümmern, die Jugendliche machen. Denn dann käme man nicht einmal an sie ran. Und jede Pädagogik (übrigens auch jede ordnungspolitische und strafrechtliche Maßnahme) müsste erfolglos bleiben, die nicht nach Zusammenhängen sieht zwischen Problemen, die jemand hat und Problemen, die jemand macht - freilich ohne damit gleichzeitig Täter in Opfer umzudefinieren, schlimme Taten zu verharmlosen oder solche gar zu entschuldigen.
Das Gleiche gilt, wenn nicht immer wieder unterschieden wird zwischen Menschen mit all ihren Lern- und Veränderungsfähigkeiten und mit ihren unveräußerlichen Grundrechten - und auf der anderen Seite konkreten Auffassungen und Taten, die angemessene Reaktionen verdienen! In der praktischen Arbeit zeigt sich solche Unterscheidungsfähigkeit in einer Aussage wie: “Du bist okay. Aber was du da getan hast, find ich zum Kotzen!” Denn Pädagogik kann nicht geschehene Taten ungeschehen machen. Und sie ist nicht die Instanz, die für eine angemessene gesellschaftliche Sanktionierung zuständig ist. Was sie kann, das ist, dazu beizutragen, das Risiko und die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Taten zu verringern.
Ein dritter pädagogischer Grundsatz, der überall gilt, lautet: Menschen ändern sich nur dann, wenn sie selbst für sich einen Sinn darin sehen, wenn sie selbst es für sich besser finden, sich zu ändern. Mit Belehrung oder mit gewonnenen Wortgefechten ist das kaum zu erreichen. Aber es ist auch umso schwerer zu erreichen, je mehr die Jugendlichen sich in Übereinstimmung mit ihrem Erwachsenenumfeld sehen und je mehr Anerkennung, Bestätigung und - teilweise klammheimliche - Sympathie sie dort für ihre Auffassungen und Taten bekommen. Wenn immer mehr Mut dazugehört, nicht fremdenfeindlich zu sein, es nicht selbstverständlich zu finden, dass Minderheiten immer mehr Diskriminierung, Bedrohung und Gewalt durchleben müssen, dann wird natürlich auch eine Pädagogik immer schwieriger, die dagegen anzugehen versucht.
Und dann werden auch in pädagogischen Handlungsfeldern immer mehr Menschen tätig sein, die mit der Mehrheit mitschwimmen. Denn Pädagogik kann keine gesellschaftlichen Probleme lösen. Wer so tut, als ob sie das könnte, der will entweder von gesellschaftlichem Versagen ablenken oder eigene Erfolglosigkeit kaschieren. Pädagogik kann nur ihre Möglichkeiten mit einbringen, in viel breiter getragene gesellschaftliche Prozesse. Dazu ist sie allerdings auch aufgefordert, selbst wenn die Spielräume dafür immer kleiner und enger werden, je mehr sich die Gesellschaft insgesamt mit der Problemlage einrichtet und teilweise die Attraktivität rechtsextremistischer Orientierungen gar fördert. Dafür haben wir viel zu viele Beispiele erlebt.
Akzeptierende Jugendarbeit in diesem Sinne ist keine Jugendarbeit der Anpassung oder Identifikation, sondern eine Jugendarbeit des Widerspruchs, der lebendigen und human ausgetragenen Konfrontation mit dem Anders-Sein, Anders-Denken und Anders-Handeln. Und sie ist schließlich eine Jugendarbeit, die da ihre Grenzen ziehen muss, wo ihr entsprechendes pädagogisches Handeln bestritten oder beschnitten wird - oder wo sie gar für ganz andere Zwecke instrumentalisiert werden soll.
Die Grenze ist oftmals nicht leicht zu ziehen, zum Beispiel bei rechten Bands, die aus dem Besucherkreis einer Einrichtung erwachsen sind und dort proben wollen. Ihnen dafür Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, das lässt sich allenfalls dann vertreten, wenn die Pädagogen dadurch erhebliche Möglichkeiten sehen, sich in deren Entwicklung verändernd einzumischen, einschließlich (!) der politischen Dimension. Es reicht also auf keinen Fall, wenn jene Jugendlichen in der Einrichtung auch mal an Freizeitangeboten teilnehmen oder wenn sie sich von den Jugendarbeitern auch mal bei ganz anderen Problemen Rat und Hilfe holen (oder holen könnten!) - und erst recht natürlich nicht, wenn ihr einziges Problem das ist, dass sie keinen anderen so günstigen Proberaum finden.