M 04.04 Rechte salonfähig gemacht

Das Konzept der “akzeptierenden Jugendarbeit“ wurde von Professor Franz Josef Krafeld zu Beginn der 90er Jahre an der Universität Bremen entwickelt. Es knüpft an die mit Hooligans und Drogensüchtigen praktizierte “aufsuchende Streetwork“ an. Das heißt, der Sozialarbeiter geht mit einem “niedrig-schwelligen Angebot“ auf seine Klientel zu und tritt gegebenfalls sogar als Lobbyist dieser Randgruppe in der lokalen Politik auf.
Unmittelbares Ziel ist es, rechte Jugendliche von Gewaltanwendung und Straftaten abzuhalten. Mittelfristig wird eine Reintegration dieser - als von der Gesellschaft ausgestoßen begriffenen - Menschen angestrebt. Dieser Ansatz ist oftmals von der Vorstellung des “Modernisierungsverlierers“ geleitet.
Übertragen auf Rechtsradikale und Cliquen im rechten Umfeld ist dieses Konzept nicht unumstritten. Es besteht die Gefahr, der rechten Szene überhaupt erst Freiräume und eine Rekrutierungsbasis zu verschaffen, indem etwa Nazi-Kellerbands Übungsräume erhalten und rechte Skinheads ein Jugendzentrum bekommen. Es soll vorgekommen sein, dass Sozialarbeiter für ein Kameradschaftstreffen ihrer Klientel den Bus angemietet haben oder qua Beruf dafür sorgen, dass Rechten in den lokalen Verteilungskämpfen von den zuständigen Gremien mehr Mittel zugestanden werden - zuungunsten nicht auffällig gewordener Jugendlicher.
Projekte im Rahmen der akzeptierenden Jugendarbeit können also dazu beitragen, die Existenz einer rechten Jugendbewegung überhaupt erst zu sichern und diese durch die Protektion der Sozialarbeit salonfähig zu machen. Durchschlagende Erfolge in dem Sinn, dass das Umfeld des organisierten Rechtsradikalismus nachhaltig geschwächt wurde, kann der “akzeptierende“ Ansatz genauso viel oder besser genauso wenig nachweisen, wie konkurrierende Ansätze der Sozialarbeit.
Es kommt darauf an, von welcher interessierten Warte die Interpretation erfolgt. Wohlfahrtsverbände und freie Träger der Sozialarbeit, die diesen Ansatz praktizieren, müssen schon im Sinne des eigenen sozialarbeiterischen Arbeitsplatzerhalts eine Erfolgsbilanz vorweisen und können auch entsprechende Befürworter im Wissenschaftsbereich mobilisieren. Aus der Antifa-Szene wird dagegen der Vorwurf erhoben, dass “akzeptierende“ sozialarbeiterische Betreuung von Jungnazis nicht den “Faschismus im Kopf“ bekämpft, sondern ihn bestenfalls in ruhigere Kanäle umlenkt. Wenn akzeptierende Gewaltarbeit diesbezüglich punktuell erfolgreich ist, so bedeutet dies faktisch oftmals nicht mehr, als den gewaltbereiten Skin zum normalen Stammtischfaschisten zu bekehren, der sein Kreuzchen bei Reps, DVU oder NPD macht, aber nicht mehr “Zecken klatschen“ geht. Die Frage ist, inwieweit diese Art der Integration als Erfolg zu sehen ist.

(Der Autor ist Redakteur der Grünen-Zeitschrift 'Alternative Kommunalpolitik' (AKP).)

(aus: Gerald Munier: “Rechte salonfähig gemacht". Grüne attackieren “akzeptierende Jugendarbeit", in: Süddeutsche Zeitung online, URL vom 31.08.2000:

 

Arbeitshinweis M 4.02 - M 4.04:

  1. Erarbeitet die Grundlagen der akzeptierenden Jugendarbeit anhand von M 4.02!
  2. Welche Kritikpunkte an diesem Konzept werden in M 4.03 genannt?
  3. Was antwortet Franz Josef Krafeld auf diese Kritik?
  4. Erarbeitet anhand einer Pro- und Contraliste eine Stellungnahme zum Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit!