M 05.03 "Neonazis haben in Betrieben nichts zu suchen"

Der Arbeitsrechtler Däubler über Kündigungen für Rechtsextreme und die Tradition der Berufsverbote.
Der renommierte Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler begrüßt die Kampagne des Bundesverbandes der deutschen Industrie, der seine Mitglieder dazu aufgerufen hat, Mitarbeitern mit rechtsextremer Gesinnung zu kündigen. Die Vorgehensweise sei durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gedeckt. Mit Däubler, Professor an der Universität Bremen, sprach FR-Korrespondent Hilmar Höhn.

FR: Seit wann gibt es in Deutschland politisch motivierte Kündigungen?

Wolfgang Däubler: In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg traf es in erster Linie Gewerkschafter und Sozialdemokraten. In der Weimarer Zeit waren vorwiegend KPD-Mitglieder betroffen. Im Nationalsozialismus waren alle Demokraten von Kündigung bedroht . . .

... und in der Bundesrepublik traf es nach dem Verbot der KPD die Kommunisten...

Ja, aber das ging schon vor dem KPD-Verbot los. Ich denke da an den Fall mit dem Zehn-Mark-Schein. Dieser war auf der einen Seite ein ganz normaler Geldschein, auf der Rückseite befand sich eine Parole der KPD. Ein Betriebsratsmitglied verteilte die Scheine, die Kollegen haben sich darüber amüsiert. Eine Störung der Betriebsfriedens - das ist ja das Zauberwort für solche Kündigungen - gab es also nicht. Aber der Arbeitgeber hat den Mann fristlos gekündigt. Dieser Rauswurf ist vom Bundesarbeitsgericht bestätigt worden.

Als Hochphase der politisch motivierten Kündigungen gelten ja die 70er Jahre. Als die DKP gegründet worden war und linksextreme Splittergruppen versuchten, in den Betrieben zu agitieren.

Das Problem konzentrierte sich auf den öffentlichen Dienst. Dort gab es diese unsäglichen Berufsverbote. In der gewerblichen Wirtschaft ging es dagegen vergleichsweise "normaler" zu.

Wenn sogar die Industrie-Lobby zur Kündigung von Rechtsextremen aufruft, ist es vorbei mit der politischen Einäugigkeit in der Mitte der Gesellschaft?

Ich glaube, die Industrie sieht, dass neonazistische Umtriebe unserer international agierenden Wirtschaft schaden. Das ist der Hintergrund. Ich nehme aber die Erklärung des Verbandes sehr ernst und halte das Anliegen für berechtigt.

Wie lässt sich der Vorstoß umsetzen?

Da haben wir schon eine ganze Menge Fälle. Es gab Anfang der 90er Jahre einige Prozesse, wo Arbeitnehmern wegen grober ausländerfeindlicher und antisemitischer Propaganda gekündigt wurde. Die meisten wurden von den Gerichten bestätigt. Manchmal hatte man schon den Eindruck, dass bei einigen Gerichten ein hohes Maß an Entgegenkommen gegenüber den Gekündigten vorhanden war. Ein Beispiel: Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte über die Kündigung eines Mannes zu entscheiden, der das sogenannte Asylbetrügerpamphlet im Betrieb verbreitet hatte. Im Urteil hat das Gericht - zur Überraschung aller Beteiligten - gesagt, der Betriebsrat sei nicht ausreichend gehört worden, deswegen sei die Kündigung unwirksam. Der Arbeitgeber, ein gemeinnütziger Verein, legte Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht hat dieser wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs statt gegeben. In der Entscheidung fügten die Richter übrigens hinzu, ein Arbeitgeber müsse die Möglichkeit haben, sich von einem Arbeitnehmer zu trennen, der neonazistische oder ausländerfeindliche Propaganda betreibt.

Wo? Auf der Straße? Im Betrieb?

Die Arbeitsgerichte trennen - ich finde zu recht - zwischen Arbeitsplatz und Freizeit. Wo einer demonstriert und in welcher Verkleidung, hat den Arbeitgeber nicht zu interessieren.

Wenn also jemand mit ausländerfeindlichen Plakaten bei einer NPD-Demonstration durch die Stadt läuft und anschließend steht er bei einer Bank am Schalter, dann ist das kein Kündigungsgrund?

Wenn er auf so einer Versammlung als Redner auftreten würde, dann könnte man eine Rückwirkung annehmen. Aber das bloße Demonstrieren bleibt folgenlos. Eine Ausnahme muss man machen, wenn jemand eine Funktion in einem Betrieb ausübt, die mit rechtsextremer Betätigung nicht zusammenpasst . . .

Was heißt das?

Wenn einer bei einer anderen Partei, bei einer Kirche oder einer Gewerkschaft angestellt ist, würde er die Eignung für seinen Job verlieren. Bei Lehrern kann das auch der Fall sein. Das Bundesarbeitsgericht hat früher bei DKP-Mitgliedern - ohne dass ich das jetzt inhaltlich vergleichen will - gesagt, die Eignung könne verloren gehen, doch müsse man immer auf den Einzelfall schauen.

Schlimm waren die Berufsverbote der 70er Jahre, weil damit ein Generalverdacht gegen die politische Linke erzeugt wurde. . .

In Tübingen wurde zum Beispiel in den 70er Jahren ein Lehramtsbewerber abgewiesen mit der Begründung: Kontakte zum Terrorismus. Aber der wohnte nur in einem Haus, in dem auch einer wohnte, der später wegen terroristischer Betätigung gesucht wurde. So ein Klima droht uns heute nicht.

Sind Sie sich sicher?

Ganz ausschließen kann man Verteufelungsstrategien nie. Wenn ich aber die Kampagne des BDI nehme, dann glaube ich nicht, dass Leute aufhören, sich deshalb für demokratische Initiativen engagieren. Die Trennungslinie zu den Rechtsradikalen ist ziemlich klar. So klar, dass sich Leute aus dem Umfeld der CDU nicht eingeschüchtert fühlen müssen. Wenn einer mal eine Dummheit sagt, dann darf er nicht gleich entlassen werden. Zu einem Klima wie in der Zeit der Berufsverbote darf es kein Zurück geben.

(aus: "Neonazis haben in Betrieben nichts zu suchen". Interview mit Wolfgang Däubler, in: Frankfurter Rundschau online, URL vom 01.09.2000: )