M 06.03 Zivilcourage ist möglich!
In Eberswalde und Potsdam zeigen eine energische Polizeipräsidentin und ein engagierter Richter, dass man rechte Gewalt nicht tatenlos hinnehmen muss. (aus: Peter Fahrenholz, Zivilcourage ist möglich! In: Die Woche vom 11.08.2000)
Manchmal ist es der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Für Uta Leichsenring, die Polizeipräsidentin im brandenburgischen Eberswalde, war vor rund anderthalb Jahren der Punkt gekommen, wo es ihr gereicht hat. Über Wochen hinweg hatten damals ein paar Jugendliche an der Bushaltestelle eine Afrikanerin belästigt. Immer am helllichten Tag, immer warteten auch andere Fahrgäste, nie hat jemand etwas gegen die Pöbeleien unternommen. "Irgendwann ist mir mal der Kragen geplatzt", erzählt die Polizeipräsidentin. Da hat sie einen offenen Brief geschrieben. Alle gucken hin, keiner macht was, hat sich die oberste Polizistin empört. Dass sich die Bürger wehren müssen gegen die Rechten, war der gelernten Ökonomin, die seit 1991 das Polizeipräsidium in Eberswalde leitet, schon seit langem klar. Denn ohne Rückhalt in der Bevölkerung nützt die konsequenteste Polizeiarbeit gegen rechte Gewalttäter nichts. "Wenn die merken, dass sie auf ein stilles Einverständnis stoßen, werden die sich von der Polizei auf Dauer nicht beeindrucken lassen." Dass sich in Eberswalde eine Menge getan hat, hängt stark mit der Person der couragierten Polizeipräsidentin zusammen. "Frau Leichsenring ist unsere Galionsfigur", schwärmt Thomas Melzer. Der Jugendrichter, der im 50 Kilometer entfernten Schwedt arbeitet und selbst häufig über Gewalttäter aus der rechten Szene urteilt, gehört zum "Netzwerk" für ein tolerantes Eberswalde, das sich vor rund zwei Jahren zusammengefunden hat - eine "bürgerliche Gegenwehr" gegen die Glatzen, wie Melzer sagt. Die Polizeipräsidentin selbst hat ihn zur Mitarbeit animiert. Den Negativstempel, eine der braunen Hochburgen in den neuen Ländern zu sein, trägt Eberswalde, eine 46 000-Einwohner-Stadt vor den Toren Berlins, seit 1990. Damals wurde der Angolaner Amadeu Antonio von Skinheads zu Tode geschlagen und getreten, während die Polizei das Geschehen aus sicherer Entfernung verfolgte ohne einzugreifen. "Das hätte nicht passieren müssen und nicht passieren dürfen", sagt Uta Leichsenring, die erst ein Jahr später nach Eberswalde kam. Heute, da ist sie ganz sicher, wäre ein derartiges Versagen der Polizei nicht mehr denkbar. - In der Tat hat das Polizeipräsidium Eberswalde seither einen Kurs gesteuert, der sich wohltuend vom teilweise aufreizend passiven Vorgehen an anderen Orten unterscheidet. Dass die rechtsradikalen Umtriebe nur die Jugendsünden einer verirrten Minderheit sind, denen der Alkohol noch zusätzlich das Hirn vernebelt, hat Leichsenring nie geglaubt. Das komme "aus der Mitte der Gesellschaft", sagt die Präsidentin und fügt einen Satz hinzu, der vielen Kommunalpolitikern auch heute noch schwer über die Lippen geht. "Natürlich gibt es eine latente Fremdenfeindlichkeit." Konsequent hat Leichsenring ihrem Polizeiapparat eingebläut, wie wichtig der Kampf gegen rechte Gewalt ist, "dass die sehen, da ist eine Gefahr da für die Gesellschaft". Tagtäglich sei das ein Thema in den Lagebesprechungen. Hat das Wirkung gezeigt? "Ich kann mich auf meine Leute verlassen", glaubt Leichsenring, "die ziehen mit." Einen "kontinuierlichen Beobachtungsdruck" übt die Polizei auf die rechte Szene aus. "Die sollen deutlich wissen, dass wir sie im Auge haben", sagt Leichsenring. Erste Erfolge haben sich bereits eingestellt, die Szene sei "verunsichert". Natürlich haben sich die Rechten in Eberswalde nicht über Nacht in Luft aufgelöst, das wäre eine Illusion. Aber sie sind vorsichtiger geworden. "Die Rechten", sagt die Polizeipräsidentin, "agieren kaum noch in der Öffentlichkeit." Das hat auch Professor Norbert Jung beobachtet. Als der gelernte Biologe, der an der Fachhochschule Eberswalde am Fachbereich für Landschaftsnutzung und Naturschutz lehrt, 1996 von Berlin in die Provinzstadt kam, ist ihm dort sofort eine "dumpfe Atmosphäre aufgefallen". 1998 gehörte Jung dann zu den Initiatoren des "Netzwerks". Studenten wollten damals eine Aktionswoche gegen die ständigen rechten Umtriebe veranstalten. "Da habe ich denen gesagt: Das müsst ihr groß aufziehen", erzählt Jung. Tatsächlich habe die Aktion dann einen "Riesenzulauf" gehabt und war der Impuls, dass sich das "Netzwerk" gebildet hat. Rund 60 Leute haben sich mittlerweile zusammengefunden, kein Verein, eher eine lockere Struktur, aufgeteilt in diverse Arbeitsgruppen. Letztes Jahr haben die Leute vom Eberswalder "Netzwerk" für ihr Engagement die Theodor-Heuss-Medaille bekommen. Nun muten 60 Leute, von denen einige nur gelegentgentlich dabei sind, nicht so schrecklich viel an, um sich gegen ein Klima aus Fremdenfeindlichkeit und rechten Hassparolen zu stemmen. Doch Eberswalde ist ein Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass die so genannten Honoratioren der Gesellschaft mit dabei sind. Die Polizeipräsidentin, Schulleiter und Lehrer diverser Schulen, Professoren der Fachhochschule. Nur der parteilose Bürgermeister Reinhard Schulz hält sich dezent im Hintergrund. Nach der Preisverleihung hat er die Initiative zwar mal kurz im Rathaus empfangen, aber sonst herrscht eher Funkstille. "Der Bürgermeister könnte etwas mehr machen", sagt Uta Leichsenring mit leiser Kritik. Auch die anderen Leute vom "Netzwerk" wollen das Rathaus nicht allzu heftig angehen. Professor Jung hat dem Bürgermeister gerade erst einen Brief geschrieben und die Einrichtung eines runden Tisches gegen den Rechtsextremismus angeregt. Eine Reaktion gibt es noch nicht, der Bürgermeister ist in Urlaub. Dabei wäre es für eine wirklich erfolgreiche "bürgerliche Gegenwehr" unerlässlich, dass sich gerade die Kommunalpolitiker an die Spitze der Bewegung stellen. "Die Kommunalpolitiker müssen als Kapitäne vorangehen", fordert Jung, "und sagen: Zur Anständigkeit gehört aufzumucken." Dass Aufmucken gegen rechte Gewalttäter möglich ist und sich auszahlt, glaubt auch Bert Weber. Der 43-Jährige ist Jugendrichter am Landgericht Potsdam und hat in den vergangenen Jahren über unzählige Fälle rechter Gewalt verhandelt. "Die Glatzen begehen immer recht feige Taten", erzählt Weber aus seiner persönlichen Erfahrung. Er kann sich an keinen einzigen Fall erinnern, wo es um einen Einzeltäter ging. Fast immer werden die Attacken aus einer Horde heraus begangen. Und fast immer spielt Alkohol bei den Gewalttaten eine entscheidende Rolle. Exzessives Trinken gehört bei den selbst ernannten Vorkämpfern für ein sauberes Deutschland zum festen Männlichkeitsritual. Auch solche Gruppen, glaubt Weber, seien aber einzuschüchtern, wenn sich die Leute nur endlich entschlossener dagegen wehrten. "Die schrecken sehr zurück, wenn sie merken, dass das nicht hingenommen wird", sagt Weber. Der Richter, der vor zehn Jahren aus NordrheinWestfalen nach Brandenburg gekommen ist, hält deshalb bürgerliche Zivilcourage für unabdingbar im Kampf gegen rechte Gewalt. "Wenn die Bevölkerung stillhält, dann fühlen die sich ermuntert, dann sind die wie Fische im Wasser." Zur Gegenwehr gehört für Weber auch, dass schon die Kleindelikte wie Schmierereien oder Beleidigungen entschieden verfolgt werden. Die Staatsanwaltschaften seien da "sehr, sehr, sehr engagiert", sagt Weber und widerspricht klar der gängigen Vermutung, die Justiz gehe zu lasch gegen die braune Szene vor. Auch sein Kollege Thomas Melzer aus Eberswalde hält das Gerücht von den zu milden Strafen gegen Rechte für "eine Schimäre". Vor kurzem hat bei ihm ein notorischer Wiederholungstäter fünf Jahre kassiert. Doch gerade bei den so genannten Bagatellvorfällen kommt es häufig nicht zur Anzeige. Polizei und Staatsanwaltschaft seien nur so gut wie ihre Zuträger, sagt Richter Weber. Die Bevölkerung habe aber oft einfach Angst, doch die sei beim Gros der Täter "gar nicht angebracht". Das allerdings sagt sich leicht, wenn man die Glatzen nicht als betrunkene Horde in der S-Bahn vor sich hat, sondern als spießige, stotternde kleine Würstchen auf der Anklagebank. Aber vielleicht ändert sich das Klima ja tatsächlich allmählich. Die Polizei bekomme seit geraumer Zeit "mehr Informationen aus der Bevölkerung", sagt Leichsenring. Immer häufiger kann sie deshalb mögliche Straftaten schon im Vorfeld unterbinden. Natürlich sieht die Statistik dadurch freundlicher aus. Das lässt dann Brandenburgs zackigen Innenminister Jörg Schönbohm, der Leichsenring als Polizeipräsidentin gerne loswürde, darüber schwadronieren, dass die Zahl rechtsextremer Straftaten ja kontinuierlich zurückgehe. Für die Polizeipräsidentin ist das eher ein Ansporn zur erhöhten Wachsamkeit. Die rechte Szene sei gerade dabei, sich festere Strukturen zuzulegen, Kristallisationspunkt dieser Entwicklung sei die NPD. Ein Grund übrigens, warum eine Praktikerin wie Leichsenring ganz klare Sympathien für ein NPD-Verbot hat. Dass die Szene dann etwas schwerer zu beobachten sei, müsse man hinnehmen. Wichtiger sei, die Rechten auf breiter Front aus dem öffentlichen Leben zurückzudrängen, damit sie nicht mehr unbehelligt Nachwuchs rekrutieren können. Immer, wenn die Rechten irgendwo in ihrem Gebiet eine Veranstaltung organisieren, schlägt Leichsenring bei den zuständigen Kommunalpolitikern Alarm. Macht was dagegen, organisiert eine Gegenveranstaltung, appelliert sie dann. "Wenn der Verdrängungswettbewerb überall funktioniert", glaubt die Polizeipräsidentin, "haben die irgendwann keine Chance mehr."