M 06.05 Kopf hoch!

»Gesicht zeigen«, dazu fordern Politiker und Prominente auf im Kampf gegen Rechtsextreme. Aber wie macht man das? Ein paar Tipps

Woran erkenne ich eigentlich Rechtsextreme?
Es gibt eine Menge Merkmale, viele sind den meisten Leuten leider völlig unbekannt. Sie denken nur an rasierte Haare, Bomberjacken und Springerstiefel, vielleicht noch an den SS-Totenkopf, das Hakenkreuz und Sütterlinschrift. Aber selbst schlichte Zahlen können rechte Symbole sein: 18 steht zum Beispiel für Adolf Hitler, 88 für Heil Hitler - die Ziffern sind die Plätze der Anfangsbuchstaben im Alphabet. Und 14 steht für die fourteen words, die Losung eines englischen Rechtsradikalen: »We must secure the existence of our people and a future for white children.« Er formuliert darin den Führungsanspruch der weißen Rasse. Weitere Symbole sind allerlei Runen und Militärzeichen, die als Aufnäher auf Jacken getragen werden - das am weitesten verbreitete ist das Keltenkreuz, das einem Fadenkreuz ähnelt. Manche wecken nicht unbedingt die richtige Assoziation: Die Berliner Sektion der Hammerskins, eine Skinhead-Gruppierung, hat zwei Zimmermannshämmer in ihrem Wappen; Stoffaufnäher mit Städtenamen in einem Dreieck sind verbotene Gauabzeichen der NSDAP. Die Abkürzung A.C.A.B., auch auf Jacken zu sehen, bedeutet: »All cops are bastards« - alle Polizisten sind Arschlöcher. Es wird immer häufiger getragen. Beliebt sind auch Sweatshirts der Marken Fred Perry und Lonsdale. Die einen haben als Firmenlogo eine Art Siegerkranz; die anderen lassen unter offenen Jacken nur die Buchstaben »nsda« erkennen, das erinnert an die Nazipartei. Illegale Symbole, etwa Hakenkreuze und SS-Abzeichen, bekommt man allerdings sehr selten zu sehen, weil die Rechtsextremen uns Polizisten dadurch eine Handhabe liefern - wer so etwas trägt, den nehmen wir gleich mit. Viele Rechtsextreme hüten sich, durch solche Symbole aufzufallen und uns die Gelegenheit zu geben, gegen sie zu ermitteln. Das sind häufig Führungskader. Sie tragen Anzug und allerhöchstens einen Thorshammer an einer Halskette. Er ist aus Metall und sieht aus wie ein Schiffchen ohne Segel.
(Lothar Spielmann, Inspektionsleiter beim politischen Staatsschutz des Landeskriminalamts Berlin)

Soll ich glatzköpfigen Rechten auf der Straße aufrecht entgegengehen, um zu zeigen, ich habe keine Angst?
Gehen Sie ihnen besser aus dem Weg - umso schneller, wenn die alkoholisiert sind und aggressiv wirken. Wechseln Sie ganz ruhig die Straßenseite. Suchen Sie auf keinen Fall die Konfrontation. Sehen Sie ihnen nicht in die Augen, das wird Ihnen vielleicht schon als Aggression ausgelegt und gibt denen einen Vorwand. Wenn Sie angesprochen werden, kommt es darauf an, wie Sie rhetorisch drauf sind. Bleiben Sie distanziert! Werden Sie angepöbelt, versuchen Sie, andere Passanten mit einzubinden. Man staunt, wie viele einem helfen. In manchen Bezirken Berlins sind Gruppen Glatzköpfiger auf der Straße ja keine Seltenheit. Lassen Sie sich auf keinen Fall provozieren. Wenn die Rechten den richtigen Grad der Alkoholisierung erreicht haben, sind sie sehr gefährlich. Und wenn die Sie für eine Zecke halten - so nennen sie die Linken - oder wenn Sie dunkle Hautfarbe haben, dann genügt ein kleiner Funke zur Explosion.
(Ein Mitarbeiter der Berliner Spezialeinheit PMS (Politisch Motivierte Straßengewalt) zur Bekämpfung von Rechtsextremismus)

Wie wehre ich mich, wenn mich Skinheads in der S-Bahn einschüchtern?
Die meisten Opfer einer solchen Situation versuchen, die Bedrohung auszusitzen: Sie tun so, als wäre sie gar nicht da. Das gilt auch für die Umstehenden. Wir nennen es den Zuschauereffekt: Wenn etwas Außergewöhnliches passiert, gucken alle interessiert, aber keiner ergreift die Initiative - warum sollte gerade ich etwas tun? Das ist völlig falsch und eine Einladung an die Täter. Wenn Sie das Opfer sind, machen Sie andere Fahrgäste darauf aufmerksam: »Schauen Sie mal, der Mann da hat ein Messer und bedroht mich.« Der Täter sieht dann, alle Augen sind auf ihn gerichtet. Sprechen Sie andere Fahrgäste direkt an: »Sie da, mit dem blauen Jackett, ziehen Sie doch bitte in der nächsten Station die Notbremse.« S-Bahnen halten sofort, U-Bahnen erst an der nächsten Station. Duzen Sie den Täter nicht - die anderen sollen mitbekommen, dass es nicht um eine private Auseinandersetzung geht.
(Winfried Roll, Leiter des Referats Vorbeugung der Berliner Polizei)

Wie helfe ich jemandem, der angepöbelt oder gar verprügelt wird?
Die meisten Leute denken, es gäbe keine andere Möglichkeit, als sich den Tätern mit blanker Brust entgegenzuwerfen. Das ist falsch. Wenn Sie ein Handy haben, rufen Sie die Polizei - und rufen Sie das den Tätern zu, in gehörigem Abstand. Suchen Sie nach Verbündeten unter weiteren Passanten. Sagen Sie zum Nächststehenden: »Wollen wir uns das gefallen lassen? Wir müssen doch etwas tun!« Wenn Sie genügend Helfer haben, bilden Sie einen Sprechchor und schreien: »Aufhören, aufhören!« Was glauben Sie, wie das die Täter irritiert! Auch das Opfer kann Schreien als Waffe einsetzen: Wer hysterisch kreischt, als ob er den Verstand verloren hätte, verunsichert den Täter ebenfalls. Wenn Sie das nicht können: Für diesen Zweck gibt es kleine batteriebetriebene Geräte. Polizeihunde sind auf das Signal abgerichtet. Ich rate davon ab, CS-Gas oder andere Waffen zu kaufen in der Hoffnung, sie würden einem im Notfall helfen. Sie geben einem ein falsches Sicherheitsgefühl und tragen immer zur Eskalation bei.
(Winfried Roll, Leiter des Referats Vorbeugung der Berliner Polizei)

Hat es Sinn, mit Rechtsextremen zu diskutieren?
Auf der Straße sollten Sie niemanden ansprechen, denn mit Gruppen zu reden bringt nicht viel. Wenn einer Ihrer Bekannten rechtsextreme Meinungen vertritt, kann sich das schon lohnen. Einzelgespräche können Wirkung zeigen. Bei Einsäätzen frage ich schon mal: Weißt du, woran du da teilnimmst? Oder: Meinst du, das ist heldenhaft, zu fünft auf einen einzuprügeln? Da fangen viele an, herumzudrucksen. Interessant ist immer, ob einer wirklich dahinter steht oder sich nur von Freunden mitreißen lässt - wir nennen sie die »Erlebnisorientierten«. Die sind bestimmt teilweise auch ausländerfeindlich, aber nicht unbedingt auf Randale aus. Politisch geschulte Rechtsextreme sagen nur: »Sie hören von meinem Anwalt.«
(Ein Mitarbeiter der Berliner Spezialeinheit PMS (Politisch Motivierte Straßengewalt) zur Bekämpfung von Rechtsextremismus)

Mit den meisten rechten Jugendlichen, die ich kenne, kann man reden. Man muss aber vorsichtig sein: Sie sind sehr einfach strukturiert, können nicht gut argumentieren und fühlen sich sofort unterlegen. Ich würde sie auch nicht an der Bushaltestelle ansprechen - und vor allen Dingen um jene einen Bogen machen, die »Hass« eintätowiert haben. Die strahlen das auch aus.
(
Filippo Smaldino, Sozialarbeiter, Milmersdorf (Brandenburg))

Wie argumentiere ich gegen Stammtischparolen?
Es ist sehr schwierig, Stammtischsprüchen etwas entgegenzusetzen. Bei den Rollenspielen in meinen Seminaren, in denen wir genau das üben, sind die Stammtischler meistens die Sieger; sie haben einen Wahnsinnsspaß, während die anderen häufig resignieren. Wer gegen simple Parolen angehen will, fühlt sich sofort in der Defensive. Der Gegner lässt sich auf logische Argumente nicht ein und springt von einer Parole zur nächsten. Man muss ihn zwingen, bei einem Thema zu bleiben: »Sie sagen, Ausländer nehmen uns die Arbeit weg. Hat Ihnen schon mal jemand die Arbeit weggenommen?« Das wird den Gegner wohl selten überzeugen, denn bei ihm handelt es sich meistens um einen autoritären Charakter, der Dissonanzen nicht aushält - deshalb braucht er ja seine Vorurteile, sie stabilisieren sein Weltbild. Es ist aber gut für die Selbstachtung, ihm Paroli zu bieten. Und vielleicht hinterlässt man ja Wirkung bei einem Zeugen des Gesprächs, man weiß ja nie.
(Klaus-Peter Hufer, Politologe, Kempen)

Mein Nachbar hört Marschmusik und hat ein verdächtiges Tattoo. Soll ich ihn anzeigen?
Man sollte alles melden, was einem seltsam vorkommt. Am besten verlässt man sich auf sein Gefühl; man braucht ja keine Angst zu haben vor einer Falschaussage. Die Polizei ist dankbar dafür. Auch für sie ist es oft sehr schwer, verbotene Nazisymbole zu identifizieren. Dasselbe gilt für inkriminierte Musikstücke und Parolen. Verboten sind Hakenkreuze in jeder Form, SS-Runen und Totenköpfe (die mit den zwei Schädelnähten, in Linksperspektive), ebenso das Horst-Wessel-Lied. Unter Strafe gestellt sind Parolen wie »Heil Hitler«, »Sieg Heil« und der Hitlergruß - auch in Abwandlung mit abgespreizten Fingern. Das regelt der Paragraf 86a des Strafgesetzbuchs, der die Verwendung von Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen unter Strafe stellt. Entscheidend ist, ob jemand diese Kennzeichen öffentlich zur Schau stellt - sobald ein Skinhead mit einem Hakenkreuz-Tattoo auf dem Schädel die Mütze abnimmt, ist er dran.
(Oliver Tölle, Justiziar der Berliner Polizei)

* Zu einer »Initiative der Vorbilder« haben vorige Woche Bundesregierung und Zentralrat der Juden aufgerufen: Prominente sollen sich dafür einsetzen, dass Deutsche mehr Zivilcourage zeigen und nicht wegschauen beim Anblick rechtsextremer Gewalttaten und Provokationen. Der Verein trägt den Arbeitstitel "Gesicht zeigen". Ihre Unterstützung zugesagt haben bereits Günther Jauch , Veronica Ferres und Doris Schröder-Köpf. Im September soll es eine Auftaktveranstaltung in Berlin geben.

(aus: Jörg Burger, Kopf hoch! In: Die Zeit vom 17.08.2000)

 

Arbeitshinweise zu M 6.01 - 6.05:

  1. Stelle aus den Materialien die verschiedenen "Aktionen gegen Rechts" zusammen. Überlege dabei, welche Aktionsformen von einzelnen oder von Gruppen, von Organisationen oder vom Staat gestartet werden sollten!
  2. Gibt es an eurer Schule "Ideen gegen Rechts"? Ihr könnt sie uns an folgende Adresse mailen:info@schule-fuer-toleranz.de Wir stellen sie auf einer Seite zusammen.