M 07.02 Hakenkreuze im Internet
Wenig Handhabe gegen rassistische Seiten im Internet Rechte rüsten sich für "Hess-Wochen" Angebote im Netz werden aggressiver Homepages lagern auf ausländischen Rechnern Provider bezeichnen sich als machtlos Frage des politischen Willens (aus:Jeanne Rubner: Hakenkreuze auf den zweiten Blick. Wenig Handhabe gegen rassistische Seiten im Internet, in: Süddeutsche Zeitung vom 05./06.08.2000, URL vom 08.09.2000: )
Leopold Klima surft nicht zum Vergnügen. Grimmig schaut der Kriminalbeamte auf den Bildschirm und zeigt mit dem Mauspfeil auf die spinnennetzartige Zeichnung einer Internet-Seite. Dass sie aus Hakenkreuzen besteht, erkennt das ungeübte Auge erst auf den zweiten Blick. Klima ist Chef des Dezernats Staatsschutz-Informationen am bayerischen Landeskriminalamt in München. Er und seine Mitarbeiter beschaffen dort Adressen, Fotos und andere Daten, die im Zusammenhang mit staatsfeindlichen Aktivitäten von Interesse sind.
Mindestens die Hälfte der Internet-Straftaten werden im rechtsextremen Milieu begangen. 350 Seiten mit rassistischen Inhalten hat der Verfassungsschutz registriert, zehn mal mehr als noch vor drei Jahren. So wie das Internet wächst, nehmen auch die Straftaten zu - Klima und Kollegen verbringen ein Sechstel ihrer Arbeitszeit vor dem Rechner. Zur Zeit sind sie besonders aktiv, denn die Rechten rüsten sich für die "Hess-Wochen" anlässlich des Todestages von Hitlers Stellvertreter am 17. August. Ob das Netz nur ein Medium unter vielen ist oder möglicherweise den Extremismus fördert, darüber streiten Experten. Das Internet werde überschätzt, weil es neu sei, sagte kürzlich ein Mitarbeiter des American Jewish Comitee. Es erzeuge keinen Hass, sondern verändere nur die Art der Verbreitung. "Früher mussten sie Flugblätter verteilen", sagt Klima, das war umständlicher. Terroristische Strukturen sieht er aber nicht: "Das ist kein rechtes Netz, das auf Befehl losmarschiert. "
Beim Kölner Verfassungsschutz zeigt man sich besorgter. Die Angebote würden professioneller und aggressiver, so BfV-Sprecher Hans-Gert Lange, das Netz würde als Agitationsmittel verwendet. Gleiches gilt allerdings auch für Handys, über die Aktivisten zu Demos aufrufen. Als "informativ vernetzt" beschreibt Lange die Szene. Zwar stolpert man beim Surfen nicht gerade über braune Propaganda, doch durch Eingabe passender Suchbegriffe ist sie leicht zu finden. Die Inhalte reichen von Durchhalte-Parolen der NPD, die strafrechtlich nicht relevant sind bis hin zu Hakenkreuzen und dem Angebot von CDs rechtsradikaler Musikgruppen.
Mit speziellen Suchprogrammen können die Kriminalbeamten minuziös zurückverfolgen, auf welchen Rechnern die Homepages lagern. Meistens landen sie dabei in den USA. "Nur Dumme stellen heutzutage ihre Angebote auf deutsche Rechner", sagt Klima. In anderen Teilen der Welt, insbesondere in den USA mit ihrem in der Verfassung verbrieften Recht auf "free speech", sind Naziparolen nicht strafbar. Selbst auf Bitten hiesiger Strafverfolger wird die Polizei jenseits des Atlantiks nicht aktiv. Ähnlich in Japan: Als bayerische Kriminalbeamte per E-mail ihre japanischen Kollegen baten, eine Homepage sperren zu lassen, auf der ein hochrangiger Politiker des Freistaates als Hitler dargestellt war, erhielten sie nicht einmal eine Antwort. "Wir sind völlig machtlos", heißt es ebenfalls beim Bundeskriminalamt.
Provider wie T-Online oder AOL bezeichnen sich ebenfalls häufig als machtlos. Wenn sie auch keine rechtsradikalen Seiten auf ihren Rechnern dulden, so sehen sie kaum Möglichkeiten, Seiten im Ausland zu sperren. Von Filtern, die Seiten mit Worten wie "Nazi" oder "Heimatfront" unzugänglich machen, halten die Provider wenig und verweisen auf die Debatte um Kinderpornografie vor ein paar Jahren. Nach Installation entsprechender Filter konnten Nutzer plötzlich keine Informationen über Brustkrebs mehr finden. "Die Wirtschaft verdient am elektronischen Kommerz und muss sich darum kümmern, dass das Netz nicht in Verruf gerät", heißt es im Berliner Justizministerium, wo man den Providern Druck machen will. Dass es in der Tat andere Wege gibt, als nur gute Absichten zu äußern - wie in der "Berliner Erklärung" vom Juni, die einen "globalen Wertekonsens" fordert - glaubt der Basler Jurist David Rosenthal.
Technische Lösungen, so das Fazit eines Papiers, das er kürzlich für die Menschenrechts-Kommission der Vereinten Nationen verfasst hat, können zumindest den Wirkungskreis brauner Inhalte beschränken. Zum Beispiel, schlägt Rosenthal vor, könnten US-Provider rechtsradikale Seiten für den Zugang von außen sperren - so wie es eine Zeitlang auch unmöglich war, amerikanische Verschlüsselungs-Software herunterzuladen, weil diese dem Exportverbot unterlag. Alles eine Frage des politischen Willens und der geschäftlichen Überlegungen, sagt Rosenthal und fragt: Warum nicht die US-Zentralen der weltweiten Provider unter Druck setzen? Dass ökonomische Argumente durchaus ziehen, belegt das Beispiel Bertelsmann. Der Gütersloher Konzern verbot aus Image-Gründen seiner Internet-Buchkette Barnes and Noble, Hitlers "Mein Kampf" nach Deutschland zu liefern.