M 07.03 Null Toleranz im Netz
Das Internet ist ein Netz vieler Geschichten, die gestern aktuell waren und heute mausetot sind. Nur die Sage von seiner unbedingten Freiheit hält sich immer noch hartnäckig. Dabei stößt jeder Nutzer ständig an Grenzen: Wer eine eigene Internet-Adresse beantragt, zum Beispiel beim Provider Puretec, und als Name "MTK.de" eingibt, bekommt statt eines Web-Auftritts eine Abfuhr. "Diese Domain ist nicht verfügbar, weil sie ein KFZ-Zeichen enthält", heißt es da. Main-Taunus-Kreis als Kürzel ist verboten. Wer bei Karstadt an ein Online-Terminal geht und sich an der Seite "www.ficken.de" ergötzen will, bleibt vor einem schwarzen Bildschirm sitzen. Das Kaufhaus hat den Zugang gesperrt. Drei Monate lang hatte ein Mann aus New Jersey die Internet-Adresse "juliaroberts.com" zur Versteigerung angeboten. Jetzt hat er sie ganz ohne Entlohnung verloren. Vor der Genfer Weltorganisation für intellektuelles Eigentum (Wipo) zwang die Hollywood-Schauspielerin den Fan, die Adresse demnächst wieder herzugeben. Wie unvollkommen technische Lösungen sind, zeigt sich auch bei Adressen wie www.nsdap.de. Wer sie auf den Index setzt, hat nicht Rechtsextremisten weggefiltert, sondern eine Seite von Wohlmeinenden: "Achtung, Sie verlassen den Bereich des Internets. Hier ist kein Weiterklicken mehr möglich." (aus: Niels Boeing und Joachim Wehnelt: Null Toleranz im Netz. Brauner Sumpf im Internet: Längst sind die Nazis drin - wie aber kriegt man sie wieder raus? In: Die Woche vom 18.08.2000)
Warum konnte dann die Adresse "Heil-Hitler.de" angemeldet werden? Ein Oberfeldwebel konnte die Domain ohne Probleme beantragen; erst nach Protesten wurde sie aus dem Netz genommen. Angefacht durch die rechtsradikale Gewalt der vergangenen Wochen entbrennt nun ein Grundsatzstreit, ob und mit welchen juristischen, technischen und inhaltlichen Mitteln Rechtsradikale im Internet bekämpft werden sollen. Immer mehr Initiativen entstehen. Einen Königsweg aber gibt es nicht.
Etwa 330 Seiten von Rechtsextremen gibt es im Internet, sagt der Verfassungsschutz. Die Zahl 2000 nennt das Simon-Wiesenthal-Center. Die Zahlen schwanken, weil sich Adressen und Inhalte ständig ändern. "Besorgnis erregend" nennt der Präsident des Bundeskriminalamts, Ulrich Kersten, die Zunahme rechtsextremer Inhalte im Internet. Auf so genannten "linken Listen" veröffentlichen Rechtsradikale Steckbriefe ihrer politischen Gegner. Schon hat Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) in einem Online-Chat "Maßnahmen gegen Gewalt bejahende Darstellungen im Internet Priorität" eingeräumt. Ihr Credo: "Was offline verboten ist, darf online nicht erlaubt sein."
Grundsätzlich ist ja auch alles geregelt: So bestimmt das Informations -und Kommunikationsdienste-Gesetz (luKdG), dass Anbieter von Inhalten für alle elektronischen Dokumente haftbar sind. Das brachte den Online-Dienst Compuserve bereits in arge Bedrängnis. Der einstige Deutschland-Chef Felix Somm entging nur deshalb einer Verurteilung wegen Verbreitung von Kinderpornografie, weil er nachweisen konnte, dass er sich bei der amerikanischen Konzernmutter dafür eingesetzt hatte, diese Inhalte zu streichen. Die US-Zentrale hatte sich diesem Wunsch allerdings nicht beugen wollen.
Nun ist zumindest gewährleistet, dass auf deutschen Servern kaum noch Seiten mit strafbaren rechtsextremen Inhalten angeboten werden. Schätzungsweise 90 Prozent aller rechtsextremen Web-Auftritte sind auf ausländischen Servern installiert, sagt der Verfassungsschutz. Besonders in den USA und Kanada, denn dort wiegt der Grundsatz der Meinungsfreiheit alle ethischen Bedenken auf. "Nur ein verstärkter internationaler Dialog kann einen globalen Wertekonsens schaffen", sagte Rabbiner Abraham Cooper kürzlich in Berlin auf einer Tagung zur "Verbreitung von Hass im Internet". Doch auf eine internationale Harmonisierung kann man noch lange warten: Die aus den USA eingeladenen Politiker erschienen nicht einmal zur Debatte.
Private Initiativen sollen mehr ausrichten. Und die entstehen momentan zahlreich. Das Frankfurter Internet-Unternehmen Efinum gründete eine "Aktion gegen Rechts", die schwarze Listen von Internet-Seiten mit rechtsradikalen Inhalten erstellen will. Bei "Nein zu Nazis im Netz" verpflichten sich die Teilnehmer, die ihnen bekannt gewordenen rechtsextremen Seiten anzuzeigen. Diese Inhalte will auch der Provider Strato AG mit einer "Initiative gegen Missbrauch im Internet" bekämpfen. Einen journalistischen Weg beschreitet die von der Woche initiierte "Medien-Initiative Netz gegen Rechts". Zeitungen und Sender bündeln ihre Artikel, um Information gegen Agitation zu setzen.
Der Kampf gegen Rassenhass und Gewalt im Netz kann auch mit technischen Mitteln unterstütztwerden. Vier Möglichkeiten gibt es, strafbare Netzinhalte unzugänglich zu machen.
Deshalb müssten Filter noch vor den Internet-Providern installiert werden, nämlich in den so genannten Router. Diese Knotenrechner sorgen dafür, dass etwa ein Datenpaket von einem Web-Server in den USA seinen Weg in den Rechner eines Users in Berlin findet. Je mehr unerwünschte Web-Adressen eine schwarze Liste aber enthält, desto aufwendiger wird der Abgleich mit dem Ursprung eines jeden Datenpakets. Folge: Der Datendurchsatz durch die Netz-Router wird langsamer - die Geschwindigkeit im Internet leidet.