M 07.05 Online-Allianz gegen Rechts!
Immer häufiger nutzen Neonazis das Internet für die Verbreitung von Rassenhass und rechtsradikaler Propaganda. Die Welt des Web ist zwar grenzenlos, doch angesichts der Gewalt von rechts darf die Internet-Branche dies nicht länger als Ausrede für Untätigkeit nehmen. Jetzt muss auch sie ihr "Gesicht zeigen", sich zu demokratischen Normen bekennen, eine Selbstverpflichtung unterschreiben und einen Aktionsplan verabschieden. Der kann nur heißen: Alle Intemet-Provider verpflichten sich, Filter zu installieren und Websites mit rechtsradikalen Inhalten vom Netz zu nehmen. Alle E-Commerce-Händler weigern sich, rechtsradikale Bücher oder Produkte zu vertreiben oder ihnen durch Links ein Forum zu geben. Die IT-Branche wertet die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia (FSM) zu einer wirkungsvollen Taskforce auf, die Online-Adressen der Volksverhetzer erfasst und an die Strafverfolgungsbehörden weiterleitet. Zur These der Woche nehmen Stellung: Loretta Würtenberger (Gründerin und Geschäftsführerin der Webmiles AG) Fritz Pleitgen (Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR)) Marieluise Beck (Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen) Wolfgang Keuntje (Vorstandsvorsitzender von T-Online) Jörg Tauss (Medienbeauftragter der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag) Thomas Heilmann (Geschäftsführer der Werbeagentur Scholz & Friends und Internet-Sprecher der CDU) Erwin Staudt (Vorsitzender der Geschäftsführung IBM in Deutschland) Helmut Thoma (EX-RTL-Chef, Geschäftsführer der Internet-Firma Sportgate AG (Boris Becker)) (aus: Die Woche vom 18.08.2000) Arbeitshinweise zu M 7.01 - 7.05:
Die erst letzte Woche eingetragene Domain www.Heil-Hitler.de hat erschreckend deutlich gemacht, wie sich das Internet zur Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts eignet und wie die Flüchtigkeit des Mediums die Strafverfolgung erschwert. Wo die Zentrale eine Adresse löscht, befinden sich am nächsten Tag drei neue. So sehr auch ich ein großer Anhänger der Meinungsfreiheit bin, die Branche kann sich ihrer Verantwortung nicht länger entziehen. So ist ein E-Commerce-Händler durchaus in der Lage und sollte sich ethisch verpflichtet sehen, sein Sortiment fortwährend auf rechtsextremistische Inhalte hin zu überprüfen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass durchdachte Kontrolle mit ineffizientem Aktionismus verwechselt und durch faktische Selbstjustiz der staatliche Auftrag von Legislative und judikative in Frage gestellt wird.
Da kann es keinen Streit geben. Nazistische Parolen haben im Internet nichts verloren. Mit kurzfristiger Empörung lässt sich dieses Problem nicht lösen. Wichtig sind langfristige Strategien, um rechtsradikale Inhalte aufzuspüren und ihre Verbreitung zu verhindern. Hier sind die Provider in der Verantwortung. In Deutschland ist die Rechtslage klar. Meinungs- und Informationsfreiheit sind ein hohes Gut. Es darf aber nicht zu Lasten der Rechte anderer, vor allem von Minderheiten und Ausländern, ausgenutzt werden. Unser Engagement für Toleranz und Völkerverständigung werden wir verstärkt fortsetzen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann viel zur Aufklärung beitragen. Im WDR haben wir soeben eine spezielle Redaktion gegründet, um nachhaltig und engagiert gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit Position zu beziehen.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Wo es aber auf Grund der Eigenschaften des Internets schwierig ist, das Recht durchzusetzen, ist die Selbstverpflichtung der Provider ein geeigneter Weg. Auch im eigenen Interesse sollten sich Provider nicht darauf zurückziehen, sie würden lediglich technische Voraussetzungen bieten. Wünschenswert ist aber auch, das Medium stärker als bisher zur Aufklärung über Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu nutzen. Also: Raus mit den Hate-Pages, setzt Links zu Toleranz und Zivilcourage!
T-Online bietet keinen Raum für rechtswidrige, extremistische und nationalsozialistische Inhalte. Auch vor diesem Hintergrund haben wir in der Vorwoche eine Homepage mit bedenklichem Inhalt abgeschaltet. Mit Blick auf die enorme Zahl privater Internet-Seiten und die Tatsache, dass sich die darauf hinterlegten Informationen schnell ändern können, ist ein Vorgehen gegen rechtsextremistische Inhalte dann Erfolg versprechend, wenn möglichst viele Internet-Nutzer von sich aus bedenkliche Inhalte zur Kenntnis bringen, etwa bei der von uns mit initiierten Beschwerdestelle der Freiwilligen Selbstkontrolle Multmedia Diensteanbieter (FSM; www.fsm.de). Während technische Filterprogramme wahllos auch Inhalte zur Aufklärung über das nationalsozialistische Regime sperren würden, kann ein aus den Usern selbst bestehender Filter weitaus präziser arbeiten.
Der Terror von rechts muss bekämpft werden - nicht das Internet. Rechtsradikaler Schund ist verboten - offline wie online. Die Forderung nach Filtersystemen ist ein zweischneidiges Schwert. Denn sie filtern nicht nur rechtsextreme Inhalte, sondern auch Inhalte gegen Nazi-Propaganda heraus. Und wer legt fest, was gefiltert wird? Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Das Problem liegt in der Durchsetzung national geltenden Rechts im weltweiten Computernetz. Forderungen nach technischen Kontrollen führen deshalb ins Leere. Es wäre die bessere Strategie, das Internet für den Kampf gegen Rechtsextremismus zu nutzen. Rechtsextreme Websites könnten mit aufklärenden Inhalten über den Holocaust verlinkt, kritische Domain-Namen mit Hintergründen gefüllt werden. Auch die überfällige gesellschaftliche Debatte mit den geistigen Brandstiftern könnte so endlich nachgeholt werden.
Das Internet bietet Extremisten eine willkommene Plattform, um verfassungsfeindliche Zielsetzungen und Ideen zu propagieren. Die Diskussion um die Verbreitung rechtsradikaler Inhalte zeigt einmal mehr die Grenzen nationaler Gesetzgebung und einzelstaatlicher Instrumente. Eine Selbstverpflichtung aller Händler und Nutzer scheint ein geeigneter Ausweg. Eine Online-Allianz gegen Rechts wird aber keine Sicherheit vor rechtem Gedankengut bringen. Gerade in einem offenen Netz wie dem Internet wird es immer Gruppen geben, die sich einer Selbstkontrolle entziehen. Dennoch wäre eine Selbstverpflichtung das richtige Signal. Das mächtigste Mittel einer starken Demokratie ist das Zusammenstehen ihrer Bürger. Nur wenn wir Internet-Nutzer selbst an der Aufdeckung aller verfassungsfeindlichen Inhalte mitarbeiten, brauchen wir keine umfassenden polizeilichen Kontrollen. Die CDU unterstützt mit ihrer Initiative www.netzgegengewalt.de diesen Gedanken des Flaggezeigens. Auch im Netz muss gelten: Keine Chance für Extremisten!
Angesichts der scheußlichen Vorfälle möchte man spontan zustimmen. Doch halt: Abgesehen davon, dass auch die intelligenteste Filtertechnik mit dieser Aufgabe überfordert ist, nähern wir uns dann schnell dem "Ministerium für Wahrheit". Wer legt fest, was rechtsradikal ist? Und sind wir morgen nicht über eine andere Meinung oder ein anderes Handeln empört, das "verboten gehört"? Schnell ist unser wertvollstes Grundrecht - das auf freie Meinungsäußerung - ausgehöhlt, und schließlich könnte jede abweichende Meinung gefiltert werden. Das gilt auch für die FSM. Strafverfolgung obliegt den Strafverfolgungsbehörden und keiner privaten Einrichtung. Jeder Internet-User kann und sollte sich zu einer virtuellen Task-force zählen, die braune Umtriebe im Netz verhindert.
Am deutschen Wesen wird die Welt nicht genesen. Nicht einmal mit besten Absichten ist dies zu erreichen. Ich halte überhaupt nichts davon, andere Länder in die Pflicht zu nehmen. Dies ist deren Angelegenheit. Und wenn man sich die Situation in den USA ansieht, in der, offenbar durch die Verfassung geschützt, auch extremste Gruppierungen Meinungsfreiheit genießen, so wird dies auch ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen sein. Das Problem liegt auch nicht im Internet, sondern im realen Leben in der Bundesrepublik. Ich glaube nicht, dass Skinheads ihre so genannte Ideologie aus dem Internet beziehen. Fremdenfeindlichkeit, gepaart mit Brutalität, die auch vor Mord und Totschlag nicht zurückschreckt, sollte mit aller Härte des Gesetzes bekämpft werden. Mit den bestehenden Gesetzen kann man auch gegen Nazis im Netz vorgehen, soweit man sie in Deutschland habhaft machen kann. Darüber hinaus aber Internet-Provider verantwortlich zu machen ist eine nicht praktikable Idee.