M 08.01 Skinhead-Musik beim Klassenfest

Experten raten Schulen zu offensivem Umgang mit Rechten
Ob Prügeleien auf dem Schulhof, ausländerfeindliche Sprüche, einschlägige Aufnäher auf den Jacken oder Skinhead-Musik beim Klassenfest - viele Schüler und Lehrer sind täglich mit dem Problem des Rechtsextremismus konfrontiert. Experten warnen die Schulen vor einer Vertuschung des Problems aus Furcht, in Verruf zu geraten, und raten zu offensivem Vorgehen.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse forderte am Donnerstag, Lehrer müssten ermutigt werden, "mehr Profil zu zeigen und nicht um des lieben Friedens Willen zu schweigen". Schulen müssten ihre Aufklärungsarbeit verstärken. Ulrike Kahn weiß aus der Praxis, wie "evident" das Problem Rechtsextremismus an den Schulen ist. Sie begleitet in Brandenburg Beratungsteams, die Schulen im Kampf gegen Rechtsextremismus unterstützen. Jeder fünfte Brandenburger habe eine rechte Orientierung, dies zeige sich auch in den Schulen: Rechte laufen mit neonazistischen Aufnähern durch die Schulen, spielen rechtsextreme Lieder in Klassenräumen, provozieren durch ausländerfeindliche Sprüche im Unterricht, tyrannisieren Mitschüler. In Brandenburg soll angesichts der drückenden Last der Probleme ein "Beratungssystem Schule" dazu motivieren, sich gegen die Rechten zu stellen. Das seit mehr als einem Jahr bestehende Angebot werde "oft, aber noch zu wenig" genutzt. Denn, so Kahn, die Schulen der Sekundarstufe I, die einen Brennpunkt des Problems darstellen, stehen angesichts sinkender Schülerzahlen unter enormem Konkurrenzdruck. Auch aus Existenzgründen sorgt sich mancher Pädagoge um den Ruf der Schule.

Doch Vertuschen ist der falsche Weg, wie Fachleute warnen. Wenn sich erst einmal eine rechte Szene etabliert habe, sei der Schaden ungleich größer, meint die Schulexpertin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer. Das Problem müsse offensiv angegangen werden. Demmer rät wie Kahn zunächst zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme, in die auch Schüler und Eltern einbezogen werden müssten. Gemeinsam müsse man dann nach Lösungen suchen. Mitläufer sollten verunsichert werden.

Beim Vorgehen gegen einen möglichen harten Kern bedürfe es der Hilfe von außen. Vernetzung, lautet hier das Stichwort. Vereine, Kirchen, Unternehmen, Eltern, aber auch die Polizei - das gesamte soziale Umfeld müsse an einen Tisch. So merkten die Lehrer auch, dass sie nicht alleine stünden. Die rechte Szene müsse deutlich spüren, dass das Umfeld sich nicht machtlos fühle.

Die Fachleute raten auch zu festen Regeln etwa in der Schulordnung, durch die jedem Schüler klar werde, dass Rechtsextremismus unerwünscht sei. Auch bei kleineren Vorfällen dürften die Pädagogen nicht weggucken. Diffuse Haltungen könnten als stille Zustimmung verstanden werden, warnt Demmer. Und Kahn verweist auf Frankfurt/Oder und Beeskow, wo sich zwei Lehranstalten zu "Schulen ohne Rassismus" erklärten, und wo sich Rechte ständig der Diskussion stellen müssten. Nicht zuletzt müsse Lehrern für diese Auseinandersetzung ein Argumentationsleitfaden an die Hand gegeben werden, fordert Demmer. Brandenburg biete solche Broschüren etwa zur Parole "Ausländer raus" an.

In jedem Fall halten die Fachleute das Vorgehen gegen Schüler, die sich mit rechtsextremen Sprüchen hervortun, für eine Gratwanderung. Mit autoritären Reaktionen erreiche man das Gegenteil, das Ansehen der Schüler vor Gleichgesinnten steige, warnt die GEW-Expertin. Bei den Schülern dürfe aber auf keinen Fall der Eindruck entstehen, der Lehrer finde die rechte Einstellung im Grunde auch richtig. Bei Schlägereien oder anderen Straftaten helfe hingegen nur die Polizei.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, sieht die Schule ohnehin in der Pflicht, bei strafrechtlich relevanten Vorfällen sofort die Polizei zu verständigen. Alles andere wäre ein "falsches Verständnis pädagogischer Güte".

(aus: Wolfgang Wagner, Skinhead-Musik beim Klassenfest. Experten raten Schulen zu offensivem Umgang mit Rechten, in: Frankfurter Rundschau online, URL vom 08.09.2000:)