M 50 Mädchen sind nicht nur gut - sie sind besser!  
   

Ein Gastbeitrag aus dem Frauenreferat der Stadt Frankfurt über Chancen und Hemmnisse für die Berufsausbildung:

[...] Es zeigt sich [...], dass der Anteil der jungen Frauen an allen Jugendlichen, die eine betriebliche Ausbildung machen, 1997 zwar auf 47,6 Prozent gestiegen ist, er aber immer noch, trotz vergleichbarer oder sogar formal höherer schulischer Qualifikation, unterdurchschnittlich [ist]. Nach wie vor konzentrieren sich Mädchen bei der beruflichen Ausbildung auf ein enges Berufswahlspektrum. Sie bevorzugen den Dienstleistungsbereich, kaufmännische und freie Berufe und absolvieren eine Ausbildung als Büro- oder Bankkauffrau, als Arzt- oder Zahnarzthelferin, als Einzelhandelsverkäu-ferin oder Friseurin. An den neu geschaffenen, vorwiegend im zukunftsfähigen IT-Bereich angesiedelten Ausbildungsberufen, partizipieren sie mit nur 17 Prozent 1998 stark unterdurchschnittlich. [...] Frauen sind weiterhin, insbesondere bei arbeitsmarktbedingten Engpässen, im Nachteil. Für Betriebe lohnt es sich nur in eine Ausbildung zu investieren, wenn zu erwarten ist, dass die Auszubildenden nach erfolgreichem Abschluss im ausbildendenden Unternehmen beschäftigt bleiben. Sofern Frauen Familien gründen, sind sie aber nach wie vor fast ausschließlich für Haus- und Erziehungsarbeit zuständig. Sie reduzieren ihre Arbeitszeit oder unterbrechen zeitweise ihre Erwerbstätigkeit. Dadurch, aber auch durch die zusätzlichen Kosten für das überwiegend von Unternehmen zu finanzierende Mutterschaftsgeld ist es vor allem für kleinere Betriebe weniger attraktiv, Frauen einzustellen.

Dieses Verhalten der Betriebe ist aber nur auf den ersten Blick rational. Es vernachlässigt die gestiegene Erwerbsbereitschaft von jungen Frauen mit Kindern, das gestiegene Alter der Frauen bei der Geburt des ersten Kindes, aber auch, dass es einen steigenden Anteil von Frauen gibt, die Kinder nicht in ihre Lebensplanung einbeziehen. Das "Risiko", dass Beschäftigte einen Betrieb verlassen, und der Betrieb quasi "umsonst" die Ausbildung finanziert hat, ist aber nicht allein weiblich. Im Arbeitsamtsbezirk Frankfurt findet innerhalb eines Jahres bei 30 Prozent aller Arbeitsplätze ein Beschäftigungswechsel statt. Und: Männer bestimmen diesen Prozess stärker als Frauen. Außerdem haben Männer ihren Wehr- oder Zivildienst zu absolvieren.

Neben Faktoren im Verhalten von Unternehmen spielt jedoch auch das Verhalten von jungen Frauen, ihren Eltern und Lebenspartnern eine entscheidende Rolle bei den Chancen auf berufliche Einmündung und die Art der Berufswahl. Beurteilen Eltern die potentielle berufliche Kompetenz von Jugendlichen, so stehen bei den Jungen die "harten" Faktoren (Schulnoten) bei den Mädchen aber die "weichen" Faktoren (soziale Kompetenz) im Vordergrund. Die häufig besseren formal höheren Schulabschlüsse der Mädchen werden nicht ausreichend wahrgenommen und positiv bewertet. Daneben haben Eltern aber noch indirekten Einfluss über die gelebte häusliche Arbeitsteilung. Je traditioneller die familiäre Arbeitsteilung vorgelebt wird, desto weniger Mädchen ziehen bei ihrer Berufs- und Lebenswegplanung eine gleichberechtigte Teilung von Erwerbsarbeit, Kindererziehung und Haushalt in Betracht.

Die gesellschaftliche Realität bestätigt diese Einschätzung. Denn das Einbrechen der Frauen in die "männliche" Erwerbswelt hat nicht dazu geführt, dass Männer entsprechend an der "weiblichen" Familienwelt partizipieren. Sie erkennen die Chancen nur selten und zeigen bisher wenig Veränderungsbereitschaft. So sehen Frauen sich regelmäßig, wenn sie Kinder haben und gleichzeitig erwerbstätig sein wollen, gestiegenen Anforderungen gegenüber.

Für die Zukunft kann davon ausgegangen werden, dass die Anforderungen der Berufswelt weiter steigen werden. Die betriebliche Ausbildung wird weiterhin eine wesentliche Grundlage für den beruflichen Einstieg bleiben. Bedingt durch den sich beschleunigenden Wandel in der Arbeitswelt werden jedoch Weiterbildung und arbeitsbezogene Flexibilität immer wichtiger werden. Junge Frauen zeigen durch ihre hohe Bildungsbereitschaft und ihre guten Schulabschlüsse, dass sie diesen Anforderungen gewachsen sind. Doch sie benötigen Unterstützung. Frühzeitige, breitgefächerte Informationen über zukunftsfähige Berufe, die Bereitstellung von flexiblen Kinderbetreuungseinrichtungen und eine angemessene Berücksichtigung betrieblicher Ausbildung und arbeitsmarkt-politischen Programmen sind notwendig. Nicht zuletzt ist einer Veränderung der gesellschaftlichen Rollenverteilung für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben zentrale Voraussetzung: Männer müssten ihren Anteil an der Familienarbeit paritätisch übernehmen und Firmen könnten das Risiko der Erwerbsunterbrechung nicht mehr eindeutig Mann oder Frau zuordnen.

(Aus: Gabriele Gutberlet, Mädchen sind nicht nur gut - sie sind besser! In: Beilage zur FR zur Frankfurter Berufsbildungsmesse 1999, vom 15.06.1999)

Begriffserklärungen:
IT-Bereich = Informations-Technologie-Bereich;
rational = vernünftig;
potentielle = mögliche;
Kompetenz = Vermögen, Fähigkeit;
partizipieren = teilhaben;
paritätisch = gleichgestellt, gleichberechtigt

Arbeitshinweise:

1. Welche Unterschiede in der Berufs- und Lebensplanung von Mädchen und Jungen werden in diesem Artikel genannt?
2. Wie versucht die Autorin, diese Unterschiede zu erklären? Welche Faktoren nennt sie?
3. Welche Lösungsansätze für die Zukunft ergeben sich daraus für sie?
4. Wie beurteilst du diese Lösungsansätze? Sind sie sinnvoll/unsinnig, ....?
5. Könntest du dir noch andere Lösungen (konkrete Maßnahmen) vorstellen, und wie sähen diese aus?

 

Download: Sie können die Materialien dieser Reihe kostenlos als Druckvorlage kopieren - eine Übersicht der Materialien und die Druckvorlagen finden Sie unter der Rubrik "Download".