|
|
Bezüglich Datenschutz
driften die USA und Europa auseinander.
Eine neue Studie bescheinigt amerikanischen Web-Sites, dass sie beim
Sammeln personenbezogener Daten vermehrt die Privatsphäre ihrer Kunden
respektieren. Damit erhalten in den USA jene Kreise Auftrieb, die Datenschutz
durch freiwillige Selbstkontrolle gewährleisten möchten. Versuche, den
Datenaustausch zwischen den USA und der Europäischen Union trotz unterschiedlicher
Vorstellungen bezüglich Datenschutz mit Hilfe des Konzepts der "sicheren
Häfen" zu fördern, scheinen zum Scheitern verurteilt.
"Was für einen Unterschied ein Jahr macht", freut sich Christine Varney,
Repräsentantin der Online Privacy Alliance, einer amerikanischen Lobbyorganisation,
die sich beim Datenschutz für Selbstregulierung stark macht. "In einer
relativ kurzen Zeit ist Datenschutz auf populären Web-Sites Selbstverständlichkeit
geworden." Was der Anwältin das Herz so erleichtert, ist eine letzte
Woche vorgestellte, an der Business School der Washingtoner Georgetown
University erarbeitete Studie, die von Firmen wie America Online, American
Express, Compaq und Microsoft gesponsert wurde. Darin wird festgestellt,
dass zwar 93 Prozent der 364 geprüften Web-Sites personenbezogene Daten
sammeln, dass aber auch rund zwei Drittel von ihnen die Besucher darüber
informieren. Bei einer ähnlichen Untersuchung, die vor einem Jahr von
der US-Handelskommission (Federal Trade Commission, FTC) durchgeführt
worden war, zeigte sich ein anderes Bild: Von 1400 begutachteten Web-Sites
sammelten 85 Prozent persönliche Informationen über ihre Besucher. Nur
14 Prozent hielten es für nötig, den Betroffenen gegenüber anzudeuten,
dass Daten erhoben werden.
Richtlinien garantieren keinen Schutz
Für amerikanische Wirtschaftsvertreter ist dank dem "Internet Privacy
Policy Survey" der Georgetown University nun klar: Freiwillige Selbstkontrolle
funktioniert, Gesetze zum Schutz der Privatsphäre sind nicht erforderlich.
Doch die Datenschützer lassen sich durch die neuesten Untersuchungsergebnisse
nicht besänftigen. Während im vergangenen Jahr das Angebot quer durch
die ".com"-Namensdomäne geprüft worden ist, wurden diesmal lediglich
die Datenschutzgepflogenheiten der großen Sites analysiert. Das Ergebnis
sei deshalb nicht aussagekräftig. Kritiker der Studie bemängeln weiter,
dass nur eine von zehn Web-Sites dem Surfer die Möglichkeit bietet,
sich dem Datensammeln zu widersetzen und trotzdem das Angebot zu nutzen.
Außerdem bleibt bei der amerikanischen Lösung unklar, wer die Einhaltung
der selbstauferlegten Richtlinien überwacht. Es gibt zwar mit Truste
eine Nonprofit-Organisation, die die Datenschutzrichtlinien von Firmen
bewertet und allenfalls mit einem Gütesiegel auszeichnet. Dieses Siegel
hat aber an Güte verloren. Microsoft, die zu den wichtigsten Sponsoren
von Truste gehört, zeichnet ihre Web-Sites mit diesem Siegel aus und
musste auch nicht darauf verzichten, als bekannt wurde, dass die Software-Firma
entgegen den Vorgaben von Truste, im Gegensatz auch zu den eigenen Datenschutzrichtlinien
und ohne Wissen der Betroffenen sehr persönliche Daten von Windows-Anwendern
gesammelt hatte.
Die Platform for Privacy Preferences (P3P), ein geplanter Standard des
World Wide Web Konsortium, auf den die Befürworter der Selbstregulierung
große Hoffnungen gesetzt hatten, scheint zum Scheitern verurteilt. Dank
P3P sollte es möglich werden, die Datenschutz-Richtlinien, denen sich
eine Web-Site unterwirft, in elektronisch lesbarer Form zugänglich zu
machen. Der Anwender kann in seinem Browser seine Ansprüche definieren
und muss sich danach nicht mehr mit mit den Datenschutzrichtlinien verschiedener
Sites beschäftigen. Klaffen Anspruch und Realität auseinander, wird
ihm die Seite nur angezeigt, wenn er dies ausdrücklich wünscht. Die
Realisierung von P3P ist nun aber durch den Patentanspruch der Firma
Intermind bedroht.
Sturmwarnung
Die EU hat in ihrer im Oktober 1998 in Kraft getretenen strengen Datenschutzrichtlinie
dem Verbraucher neben ausführlichen Auskunftsrechten über die Verarbeitung
seiner Daten auch Einspruchsrechte gegen die Sammelwut von Unternehmen
eingeräumt. In den USA ist eine ähnliche gesetzliche Regelung derzeit
undenkbar. Der Streit zwischen beiden Kontinentalmächten zieht sich
inzwischen über mehrere Verhandlungsrunden hin. Zur Debatte steht momentan,
ob alle Unternehmen, die sich den vom US-Wirtschaftsministerium Ende
letzten Jahres erstmals vorgestellten und Ende April überarbeiteten
Safe Harbor Principles verschreiben, bereits generell im Einklang mit
der EU- Datenschutzrichtlinie stehen. Die vorgeschlagenen "Häfen" gelten
bei Datenschützern auf beiden Seiten des Atlantiks keineswegs als sturmsicher.
Die Prinzipien würden ein "falsches Gefühl an Sicherheit" vermitteln,
fürchtet etwa Simon Davies von der in England und Washington beheimateten
Datenschutzorganisation Privacy International. Ende April ging mit dem
Transatlantic Consumer Dialogue auch erstmals eine internationale Verbraucherorganisation
mit den "Hafenregeln" ins Gericht: Keine effektiven Kontrollmöglichkeiten,
keine wirklichen Einspruchsmöglichkeiten und eine ungebührliche Lastenübertragung
auf den Bürger, lauten die Kernaussagen einer Resolution.
Wie wenig sich amerikanische Web-Händler um den Datenschutz kümmern
und wie einfach sie bereits heute die EU-Bestimmungen umgehen, macht
der englische Ableger von Amazon.com - das Königreich ist eines der
wenigen Länder der EU, die die strenge Richtlinie bereits umgesetzt
haben - deutlich: In der Privacy Policy wird der Buchliebhaber schlicht
darauf hingewiesen, dass die eingegebenen Informationen außerhalb des
"Europäischen Wirtschaftsgebiets" verarbeitet werden: "Indem Sie Ihre
Bestellung abschicken, stimmen Sie diesem Transfer zu."
Vielleicht ging es bei dieser Bestellung ja um das aktuelle Buch des
Kommunitariers Amitai Etzioni. Der Soziologe, der zwischen Staat, Wirtschaft
und Gesellschaft stets einen Mittelweg sucht, engagiert sich in seinem
jüngsten Werk für die Privatsphäre. Angst hat Etzioni weniger vor dem
Big Brother Staat - Strafverfolgungsbehörden will er sogar im "Interesse
der Allgemeinheit" stärkere Reche einräumen - als vielmehr vor den kleinen
Brüdern aus der Wirtschaft: "Sie verfolgen nicht nur, was wir tun; sie
verfolgen, was wir denken."
Stefan
Krempl: Neue Zürcher Zeitung, 21. 5. 1999 (http://www.nzz.ch/)
Arbeitshinweise:
1.Wie unterscheiden sich europäische und amerikanische Vorgehensweisen?
2.Warum reichen nationale Regelungen nicht mehr aus? Bedenke dabei auch
die zuvor bearbeiteten Fälle.
Download:
Sie können die Materialien dieser Reihe kostenlos als Druckvorlage
kopieren - eine Übersicht der Materialien und die Druckvorlagen finden
Sie unter der Rubrik "Download".
|
|