Entscheidungsfall - Didaktische Hinweise

1. Regel: Den Entscheidungsfall identifizieren und Spontanurteile abgeben
Erl äuterungen

Schaubild: Der Prozess der Urteilsbildung

 

1. Regel: Den Entscheidungsfall identifizieren und Spontanurteile abgeben (nach oben)

1. Regel

Das zu bearbeitende Problem sollte ein praktischer, in der Gegenwart bedeutsamer und politisch strittiger Konflikt- oder Entscheidungsfall sein, der aus der Sicht der Handelnden relevant und in überschaubarer Zeit vorläufig entscheidbar ist.

Bearbeitet werden sollen mit dieser Fallorientierung vorrangig Fragestellungen vom Typ "Was soll ich tun?", nicht aber Fragestellungen "Was ist ...?" oder "Wie funktioniert das ...?". Das nur auf "Erkenntnis von etwas" ausgerichtete Interesse stellt eine Unterforderung der menschlichen Vernunft dar, da Entscheidungsfragen hier ausgeklammert werden. Mit der 1. Regel soll deutlich gemacht werden, dass die Vernunft eines jeden Menschen zuständig ist für solche praktischen Fragen. Wenn ich hier von praktisch rede, dann mit der Bedeutung, dass Wertungen (gut / schlecht im umfassenden Sinne; nicht nur im Sinne von richtig / falsch; zweckmäßig / unzweckmäßig) vorgenommen werden sollen.

Durch diese Regel soll vermieden werden, dass die Vernunft sich selbst fälschlicherweise beschneidet und nur noch für Wissensfragen ("Was kann ich wissen?") zuständig ist. Das ist sicherlich auch im Zeitalter der Wissenschaftsorientierung (und Dominanz des naturwissenschaftlichen Weltbildes) leider allzu schnell der Fall, was zu einer Instrumentalisierung der Vernunft und "positivistischen Halbierung von Rationalität" (J. Habermas) führt.

(Vgl.: W. Sander: Gerichtshöfe der Vernunft. Wie ist politisch-moralische Urteilsbildung im Unterricht möglich?, in: Frankfurter Hefte Extra 5: Existenzwissen 1983, S. 175-193; W. Sander: Effizienz und Emanzipation. Prinzipien verantwortlichen Urteilens und Handelns. Eine Grundlegung zur Didaktik der politischen Bildung., Opladen 1984, S. 269-270.)

 

Erläuterungen (nach oben)

Die didaktische Aufgabe der „Identifikation eines Entscheidungsfalles“ orientiert sich an der 1. Regel und lässt sich in zwei Phasen gliedern: 1. Entscheidungsfall identifizieren und 2. Spontanurteile abgeben.

1. Entscheidungsfall identifizieren

Ziel:

Maßgeblich ist in der Einstiegsphase, dass die Schülerinnen und Schüler anhand ausgewählter Materialien (inklusive Lehrerimpulse) motiviert werden, in einer politisch strittigen Frage einen zur Entscheidung stehenden Konfliktfall herauszuarbeiten, zu dem im folgenden Schritt eine eigene Position in Form eines (vorläufigen) Spontanurteils zu beziehen ist.

Zunächst sollte ein auch aus Schülerperspektive relevanter und in überschaubarer Zeit lösbarer Entscheidungsfall gewählt werden. Ein problemorientierter Einstieg mit Bezügen zum Interessen- und Kenntnishorizont der Schülerinnen und Schüler stellt einen motivierenden Eröffnungszug dar, um den Prozess der Urteilsbildung in Gang zu setzen.

Methoden:

Unter methodischem Gesichtspunkt bieten sich hier als Unterrichtseinstiege an:

  • Streitgespräch,
  • Fragen an einen Text stellen,
  • Karikatur interpretieren,
  • Plakat analysieren,
  • Zeitungsartikel mit kontroversen Positionen analysieren,
  • Lehrer-/Schülerimpuls.

Arbeitsaufträge:

  • Formuliere in eigenen Worten, worin der im Material "..." beschriebene Konfliktfall besteht.
  • Worin genau besteht das Entscheidungsproblem?
  • Soll man … oder soll man … nicht?

Typische Fehlerquellen:

  • Die Betonung von Wissensfragen („Was ist…?“) zu Lasten der Entscheidungsfrage („Soll man…?“/ “Soll man nicht…?“).
  • Die politische Entscheidungsfrage wird vertagt, weil zunächst Wissensfragen geklärt werden müssen.

2. Spontanurteile abgeben

Ziel:

Ist der Konfliktfall identifiziert, sollen die Schülerinnen und Schüler trotz vorhandener Wissenslücken ermutigt werden, Spontanurteile mit kurzen Begründungen zum Entscheidungsfall abzugeben. "Ich bin dafür, dass..., weil...; ich bin dagegegen, dass..., weil...!" Provozieren Sie Spontanurteile der Schülerinnen und Schüler durch eine evtl. überzeichnende Darstellung verschiedener Meinungen, falls das Material zu "1. Entscheidungsfall identifizieren" nicht ohnehin bereits ein kontroverser Text, sondern z.B. eine Karikatur oder ein Plakat ist.

Vermitteln Sie in dieser Phase schon ansatzweise die Grundidee des Unterrichtsvorhabens. Es gilt, die Qualität dieser vorläufigen Urteile im Laufe des Prozesses schrittweise zu verbessern. Überwinden Sie die emotionale Barriere, sich des Spontanurteils auf Grund von falschem Perfektionismus oder falscher Bescheidenheit zu enthalten. Es gilt: "Unwissen schützt vor Urteil nicht!" - Ein Spontanurteil kann gar nicht die fundierte Basis eines erweiterten Urteils haben; es muss dennoch abgegeben werden. Ermutigen Sie die Schülerinnen und Schüler also ruhig ins kalte Wasser zu steigen. Es geht in dieser Phase schließlich um den Eintritt in den durchaus fruchtbaren und lebendigen Prozess der Urteilsbildung.

Methoden:

  • Sammlung der Spontanurteile und Begründungen auf Karteikarten (Wandzeitung),
  • Blitzlichtrunde,
  • Abstimmung mit Einzelstatements,
  • Folienschnipsel,
  • Positionierung der Schülerinnen und Schüler im Klassenraum (pro/contra-Anordnung).
Arbeitsauftrag:

Der Arbeitsauftrag der schriftlich zu sammelnden Spontanurteile kann wie folgt formuliert werden:

  • Entscheide spontan, welcher Seite du zustimmen würdest in Bezug auf die Frage „Soll man…?“.

Als möglichen Einstieg hinsichtlich des konkreten Entscheidungsfalls „Sollen an unserer Schule Schuluniformen eingeführt werden?“ finden Sie im Folgenden ein Arbeitsblatt und zwei mögliche Spontanurteile, die zur 2. und 3. Regel der Urteilsbildung (Kriterien/Sachverhalte) führen.

Typische Fehlerquellen:

  • es wird im Streitfall nur eine Position vertreten,
  • es werden keine Begründungen genannt,
  • die Schülerinnen und Schüler tun sich schwer, ein Spontanurteil abzugeben, hinter dem sie persönlich stehen, da sie Angst haben, Fehler zu machen oder sich zu blamieren,
  • es erfolgen keine Festlegungen, sondern nur Enthaltungen.

 

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