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Betrachtungen zur Freizeit |
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Zum Begriff der Freizeit
Unser alltägliches Verständnis von Freizeit spiegelt bereits die Vielzahl möglicher Bestimmungen dieses Begriffes wider. Die Freizeitforschung unterscheidet eine positive und eine negative Begriffsbestimmung:
Nach der positiven Definition von Freizeit wird die Zeit als Freizeit verstanden, die der individuellen Gestaltung und Strukturierung offen steht. Freizeit erscheint als Lebensraum, in dem der einzelne bestimmen kann, was er tun möchte.
Freizeit wird negativ als Restgröße definiert: Freizeit ist das, was übrigbleibt, wenn die Arbeitszeit und die Zeit für Schlafen, Essen und Körperpflege von der insgesamt verfügbaren Zeit abgezogen wird. In dieser negativen Definition ist Freizeit nicht als frei verfügbare Zeit zu verstehen, sie ist mit Verpflichtungen belegt. Von der Freizeit, die beim ersten Ansatz übrig bleibt, wird demzufolge noch die Verpflichtungs- bzw. Obligationszeit abgezogen, d.h. Tätigkeiten wie z.B. die Erziehung von Kindern, Behördengänge, Einkaufen oder das Warten im Stau auf dem Heimweg gelten nicht als Freizeit (vgl. Herzog-Raschle, Yvonne 1991, S. 168) .
Hypothesen:
- Jugendliche verbringen ihre Freizeit zu mehr als 50% mit anderen Jugendlichen (guten Freunden oder dem Partner/der Partnerin) und zu einem geringeren Teil mit der Familie oder allein.
- Jugendliche, die mehr als 6 Stunden Freizeit haben (also überdurchschnittlich viel), verbringen ihre freie Zeit häufiger allein als Jugendliche mit einem geringeren Freizeitbudget.
- Berufsschüler/innen verbringen ihre Freizeit tendenziell häufiger mit guten Freunden als mit Gymnasiasten.
Kulturhistorische Entwicklung von Freizeit
Betrachtet man den Umfang und die Entwicklung von Freizeit aus kulturhistorischer Perspektive, so wird Freizeit vorrangig in Relation zur Arbeitszeit gesehen.
Bereits in der Antike und in primitiven Agrargesellschaften gab es Ruhe-, Fest- und Feiertage, die zeitlich gesehen teilweise sogar die Hälfte des Jahres ausmachten. In der aristokratischen Gesellschaft der Hellenen mussten Sklaven die Arbeit verrichten, damit freie Bürger/innen sich der Politik und Kunst widmen konnten (vgl. Opaschowski, Horst W. 1988, S. 27-28).
Im 13. Jahrhundert war in Europa für eine Reihe von Berufen die Nacht- und Sonntagsarbeit verboten, und Handwerker bekamen beispielsweise zusätzlich zu den 141 Ruhetagen 30 weitere Tage Ferien zugesprochen. Ab dem 15. Jahrhundert nahm die Anzahl der Ruhetage jedoch stetig ab. In dieser Zeit waren Arbeitsplatz und Ort der Freizeit noch nicht deutlich voneinander getrennt, da oft auch die Wohnung zugleich Arbeitsstätte war (Opaschowski, Horst. W. 1988, S. 28).
Freizeit und Industrialisierung
Mit Beginn der Industrialisierung, die sich in Europa auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts datieren lässt, wurden zunehmend Arbeitszeit und Freizeit räumlich, inhaltlich und bewusstseinsmäßig voneinander getrennt. Die neue Arbeit fand nun an eigens dafür vorgesehenen Orten, den Fabriken statt. Der Trend, dass viele Menschen immer mehr Zeit für die Arbeit aufbringen mussten, um ihre materiellen Bedürfnisse zu befriedigen, hielt an. So war ein Arbeiter (und oftmals auch seine Familienangehörigen) 1848 gezwungen, einen Arbeitstag von ca. 16 Stunden und eine Jahresarbeitszeit von 52 Wochen abzuleisten (vgl. Ilona Stehr/Wolfgang Nahrstedt/Kathrin Beckmann,1992, S. 34). Sogar Kinder mussten bis zu 12 Stunden arbeiten. Diese Entwicklung war nicht zuletzt eine Folge von Bevölkerungswachstum, zunehmender Verstädterung sowie dem damit einhergehenden Überangebot an Arbeitskräften und sinkenden Löhnen (Opaschowski, H. W. 1988, S. 2).
Freizeit ist demnach das Ergebnis der technologischen, ökonomischen und kulturellen Wandlungen des 19. Jahrhunderts, die Folge des Aufkommens der großen Industrie, das heißt rationaler Arbeitsorganisation, zunehmender Arbeitsteilung und Werkdisziplin, die Konsequenz des Auseinandertretens von Arbeitsbereich und häuslichem Bereich, von Arbeits- und Familienleben und damit auch: von Arbeitszeit und arbeitsfreier Zeit (Huck, Gerhard, 1980, S. 12).
Freizeit =arbeitsfreie Zeit
Nach und nach erkämpften die Gewerkschaften mehr arbeitsfreie Zeit. Zunächst wurde 1908 die Arbeitszeit für Frauen auf 10 Stunden pro Tag herabgesetzt. 11 Jahre später (1919) wurde der Acht-Stunden-Tag eingeführt (vgl. Stehr/W. Nahrstedt/K. Beckmann 1992, S. 37).
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Vereinbarung über eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden aufgehoben. Sie trat erst 1946 wieder in Kraft. In mehreren Schritten sank die gesetzlich festgelegte Arbeitszeit in der Bundesrepublik - stets vorangetrieben durch gewerkschaftliche Forderungen: von der Einführung des arbeitsfreien Samstags über die 38,5-Stunden-Woche, die 1984 in den Tarifbereichen der IG Metall eingeführt wurde, bis hin zu dem heutigen Streit um die Flexibilisierung der (Lebens-) Arbeitszeit und Freizeit.
Für das Jahr 2010 wird eine weitere Zunahme der Tagesfreizeit und eine 4-Tage-Arbeitswoche prognostiziert, wie sie z.B. derzeit bei VW bereits praktiziert wird (Freericks, Renate, 1996, S. 85). Allerdings ist ein neuer, eher gegenläufiger Trend erkennbar, der mit einer Flexibilisierung auch auf eine Verlängerung und Intensivierung der Arbeitszeit abzielt, um Maschinenlaufzeiten zu verbessern und vorhandene Fachkräfte effizienter zu nutzen.
Die nebenstehenden Diagramme machen die Hauptentwicklungslinien, die durch die Zunahme an Freizeit und den Rückgang der Arbeitszeit gekennzeichnet sind, deutlich.
Hypothesen:
- Jugendliche, deren Mütter einen Hochschulabschluss haben, besitzen häufiger mehr als 14 Stunden Freizeit, im Vergleich zu Jugendlichen, deren Mütter die Volks- der Mittelschule besucht haben.
- Mädchen haben mehr Freizeit als Jungen.
- 19-jährige haben weniger Freizeit als 15-jährige.
Der Funktionswandel von Freizeit
Bis in die 50er Jahre diente die arbeitsfreie Zeit vornehmlich der Regeneration der Arbeitskraft und der Muße. Doch bereits in den 60er Jahren gewann die Befriedigung materieller und konsumorientierter Wünsche in der Freizeit an Bedeutung. In den darauffolgenden Jahrzehnten rückte das Bestreben nach Selbstverwirklichung, Persönlichkeitsentwicklung und Erlebnisorientierung in der Freizeit immer mehr in den Vordergrund. Freizeit wird zur Erlebniszeit; eine Zeit, die auf ein gemeinsames Erleben und auf die Entwicklung eines eigenen Lebensstils ausgerichtet ist (vgl. Opaschowski, Horst W. 1997, S. 31f). Dieser Wandel steht im unmittelbaren Zusammenhang mit den gegenwärtigen Individualisierungsprozessen. Drei Dimensionen kennzeichnen nach U. Beck die gesellschaftliche Individualisierung.
Freisetzungsdimension: Sie beschreibt die Herauslösung des Individuum aus traditionellen Sozialformen und -bindungen. Traditionelle gesellschaftliche Klassen und Schichten (etwa die Arbeiterklasse) lösen sich auf. Ebenso sind Familien- und Nachbarschaftsstrukturen von den Auflösungsprozessen betroffen, etwa aufgrund von Scheidung und Mobilität.
Entzauberungsdimension: Sie ist durch den Verlust traditioneller Sicherheiten in bezug auf leitende Werte und Normen gekennzeichnet (Pluralisierung von Werten und Normen).
Kontroll- und Reintegrationsdimension: Individuen gehen neue Formen sozialer Bindungen ein, etwa durch ihr Engagement in Bürgerinitiativen. Daneben ist der Einzelne neuen Formen der Kontrolle unterworfen, etwa durch Institutionen des Rechts, der Bildung oder des Marktes. In diesem Kontext wird auch von den institutionenabhängigen Individuallagen gesprochen.
Für das Individuum bedeutet diese gesellschaftliche Entwicklung auf der einen Seite die Auflösung traditioneller Zwänge und Schablonen, auf der anderen Seite ist das Individuum nun ständig gefordert, sich neu zu orientieren und zu entscheiden. Diese Aufgabe wird oftmals als Verunsicherung und teilweise auch als Überforderung empfunden. Die Auswirkungen des Individualisierungsprozesses können daher als ambivalent beschrieben werden. Beispielsweise gibt es keine Normalbiographien mehr (es ist z.B. nicht sicher, dass man einen einmal erlernten Beruf lebenslang ausüben kann), sondern das Individuum muss seine eigene Biographie selbstreflexiv planen und organisieren. Ob und mit welchem Erfolg das Individuum die Anforderungen der individualisierten Gesellschaft bewältigt, hängt unter anderem von seinen psychischen, sozialen, materiellen Ressourcen ab.
Der tagtägliche Konkurrenzkampf der Individuen hat auch Konsequenzen für die Gestaltung der Freizeit: So nannten z.B. 41% der 13-24jährigen die berufliche Weiterbildung als (sehr) häufige Aktivität in ihrer freien Zeit. 1991 gaben nur 35% der Jugendlichen die Weiterbildung als häufige Beschäftigung an (Fritzsche, Yvonne, Jugendkulturen und Freizeitpräferenzen: Rückzug vom Politischen?, in: Jugendwerk der Deutschen Shell (Hrsg:), Jugend 97. Zukunftsperspektiven, Gesellschaftliches Engagement, Politische Orientierungen, Opladen 1997, S. 344. In der 13. Shell Jugendstudie geben 68% der Jugendlichen Weiterbildung (Hausaufgaben/Lernen) als Freizeitbeschäftigung an. Deutsche Shell (Hrsg.) 2000, S. 207). Der Trend, dass das wiedererkämpfte Quantum an Freizeit durch die gegenwärtigen Lebensbedingungen und den modernen Lebensstil (längere Arbeitswege, Zwang zur Weiterbildung, Leistungsdruck, Hektik u.a.) größtenteils wieder aufgehoben (Opaschowski, Horst W. 1997, S. 228ff.) wird, scheint sich fortzusetzen.
Durch die hohe und voraussichtlich weiter steigende Arbeitslosigkeit haben heute viele Betroffene unfreiwillig ein hohes Maß an freier Zeit. Es lässt sich hier wohl kaum mehr von Freizeit sprechen. Wie wirken sich vor allem die mit der Arbeitslosigkeit verbundenen Bedingungen wie finanzielle Einschränkungen, soziale Benachteiligungen und psychische Belastungen auf die Gestaltung der Freizeit aus? Wird dadurch der Spielraum für kreative Freizeitaktivitäten gleichzeitig eingeschränkt? Diese Fragen werden für die Freizeitforschung, die sozial Benachteiligte berücksichtigt, von besonderem Interesse sein.
Hypothesen:
- Jugendliche, die jobben, besuchen häufiger Discos oder Parties als Jugendliche, die nicht jobben.
- Jugendliche mit höherer formaler Bildung (Gymnasium), nutzen ihre Freizeit nicht so häufig zur Weiterbildung wie Jugendliche, die zur Hauptschule gehen.
- Jugendliche, die durchschnittlich 0 bis 100 DM pro Monat zur Verfügung haben, nutzen ihre Freizeit weniger häufig zur Entspannung als Jugendliche, die 600 bis 800 DM monatlich ausgeben können.
Freizeitbudget von Jugendlichen
Die Daten zum zeitlichen Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Freizeit bezogen sich bisher in erster Linie auf erwerbstätige Menschen (Industriearbeiter, Angestellte u.a.). Deshalb soll nun danach gefragt werden, wieviel freie Zeit Jugendliche für sich beanspruchen können.
Aufschluss darüber gibt die quantitative Untersuchung des Bielefelder Soziologen Elmar Lange und seinem Team aus dem Jahr 1996. Die Befragung von Jugendlichen aus Bielefeld und Halle/Saale ergab, dass die Jugendlichen im Alter von 15 bis 20 Jahren an einem normalen Wochentag durchschnittlich 5,2 Stunden Freizeit zur Verfügung haben. Zwei Trends sind dabei hervorzuheben. Zum einen nimmt das Freizeitbudget mit zunehmendem Alter ab, und zum anderen haben männliche Jugendliche mit 5,4 Stunden mehr Freizeit als weibliche Jugendliche (5,0 Stunden). Aus dem Ost/West-Vergleich geht zudem hervor, dass ostdeutschen Jugendliche mit 5,4 Stunden mehr Freizeit besitzen als ihre westdeutschen Altersgenossen, die wochentags 5,1 Stunden freie Zeit haben (vgl. Lange, Elmar, Opladen 1997, S. 89-90).
Im Gegensatz zu den heutigen Jugendlichen verfügten die Jugendlichen 1956 noch über sechs Stunden freie Zeit (vgl. Blücher, Viggo Graf, 1956, S. 57). Ein Grund für den Rückgang der Freizeit ist sicherlich in der Tatsache zu sehen, dass immer mehr Jugendliche jobben. Immerhin arbeiten mehr als die Hälfte der Jugendlichen im Westen Deutschlands gelegentlich. Zudem verweist Lange darauf, dass der wachsende Qualifizierungsdruck dazu führt, dass Jugendliche ihre Freizeit zunehmend dafür nutzen, um sich weiterzubilden.
Hypothesen:
- 15jährige Jugendliche haben weniger häufig 4 bis 5 Stunden Freizeit als 20jährige Jugendliche.
- Hauptschüler haben mehr Freizeit als Fachoberschüler.
- Mädchen haben weniger Freizeit als ihre männlichen Altersgenossen.
- Mädchen verdienen ihr Geld häufiger durch Jobben als Jungen.
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