Freizeit
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
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 Baustein 3
 

Baustein 3.1: Chancen der Freiheit in der Freizeit

Wenn Schüler in dieser Unterrichtsreihe verstärkt auf die empirische Sozialforschung und auf die Interpretation empirischer Daten verwiesen werden, geschieht dies nicht mit der Intention, eine möglichst exakte Verdopplung empirischer Befunde durch sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zu erreichen. Eine solche Festschreibung möglichst exakter empirischer Kenntnisse wäre eine Engführung des Unterrichts. Dies lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen. Jeder Pädagoge weiß, dass man durch eine empirisch noch so exakte Festschreibung des Mangels und der Defizite eines Menschen nicht dazu beitragen wird, das Verhalten und die Einstellung dieses Menschen zu verbessern. Es ist eher zu erwarten, dass deprimierende Reaktionen und demotivierende Einstellungen die Folge sein werden. Ein schlechter Schüler wird nicht dadurch besser, dass man ihn ständig mit exakten Zahlen über sein Versagen und seine Unzulänglichkeit traktiert. Mut machen, an vorhandene Fähigkeiten anknüpfen, ihm mit Phantasie Chancen eröffnen sich zu bewähren ist sicherlich die bessere pädagogische Strategie. Die Freizeit-Thematik kann in einen inhaltlichen Zusammenhang mit den Thesen, die Ulrich Beck in seinem Sammelband "Kinder der Freiheit" (Frankfurt a.M. 1997) entwickelt hat, gestellt werden. Dieser Kontext sei hier kurz verdeutlicht, um den sozialwissenschaftlichen Hintergrund herauszustellen, in dem es um Freiheit, Institutionalisierung, Individualität und Sozietät geht.

Die allgemein gehaltene These "In der Überflussgesellschaft entscheidet sich im Umgang mit der Freiheit in der Freizeit, wie die Freiheit zum Vorteil/Nachteil der Menschen genutzt und wie die zukünftige Gesellschaft gestaltet sein wird" gewinnt an Plausibilität. Die Freiheit in der Freizeitgesellschaft nimmt zu, ja sie wird grenzenlos, aber zugleich steigt auch der Zwang, die Individualität und Eigenständigkeit nun auch unter Beweis zu stellen sowie die Chancen der Freiheit für sich zu nutzen.

"Je mehr Freiheit wir haben, desto mühsamer und bedrohlicher erscheint sie", schreibt Z. Baumann. "Ich glaube, dass es den Menschen heute nicht zu sehr um das Bedürfnis geht, zu einer Gemeinschaft zu gehören, sondern vielmehr um die Befreiung vom Zwang, ständig wählen und entscheiden zu müssen" (Z. Baumann: Wir sind wie Landstreicher, in: Süddeutsche Zeitung vom 16.11.1993.)

"Wo die Freiheit zum Käfig wird, suchen viele die Freiheit des Käfigs (neue oder alte Religionsbewegungen, Fundamentalismus, Drogen, Gewalt)." (U. Beck: Kinder der Freiheit: Wider das Lamento über den Werteverfall, in: U. Beck (Hrsg.): Kinder der Freiheit, Frankfurt 1997, S. S. 9 - 33, hier S. 22)

Hinzu kommt eine Entwicklung, die die hier erkennbaren selbstzerstörerischen Tendenzen in der Gesellschaft limitieren könnte: In der Überflussgesellschaft ist ein Wertewandel in der Nutzung der Freiheit erkennbar. In ihr zerbricht das alte Schema "mehr Karriere, mehr Einkommen, mehr Konsum, mehr Freiheit in der Nutzung der Freizeit", denn ab einem bestimmten Konsumniveau entwertet sich der Konsum selbst. Die Wertewandel-Forschung (H. Klages, I. Inglehardt u.a.), weisen darauf hin, "dass die Verfügbarkeit über 'eigene Zeit' höher bewertet wird, als mehr Einkommen und mehr Karriere, weil Zeit der Schlüssel ist, der das Tor zu den Schätzen aufschließt, die das Zeitalter des eigenen Lebens verspricht: Gespräch, Freundschaft, Für-sich-sein, Mitgefühl, Spaß usw." (U. Beck 1997, S. 18). Der Wandel in der Wertorientierung führt zu einer Abwertung des materialistisch orientierten Konsumverhaltens und zu einer Aufwertung immaterieller Gesichtspunkte in der Lebensführung.

"Im Zeitalter des eigenen Lebens verändert sich die soziale Wahrnehmung dessen, was als 'Reichtum' gilt und was als 'Armut', und zwar so radikal, dass unter Umständen weniger Einkommen und Status, die einhergehen mit mehr Selbstentfaltungs- und Selbstgestaltungsangeboten, nicht als Ab-, sondern als Aufstieg erlebt, also gesucht werden." (U. Beck 1997, S. 18)

Dieser grundlegende Trend in der Werteorientierung unserer Überflussgesellschaft führt daher zu einer Neubewertung eines konstruktiven, selbstverantworteten Umgangs mit der Freiheit in der Freizeit. Und diese Neubewertung der Freizeit kann zu einer Aufhebung der Gegensätze von Arm und Reich und den damit verbundenen Konsum- und Selbstentfaltungszwängen führen. Jugendliche, die in der Regel nicht über das Einkommen von Erwachsenen verfügen, können von daher besonders zu Trägern dieser Veränderung werden, da sie als erstes einen schöpferischen und selbstverantwortet kreativen Umgang mit der neu gewonnenen Freizeit entwickeln können: "Materielle Einbußen sind dann verschmerzbar, wenn sie mit einem gesicherten Mehr an selbstentfalteter Sozietät einhergehen. Vielleicht nicht eine Freizeit-, aber eine Freiheitsgesellschaft könnte den Abschied von der Wachstums- und Arbeitsgesellschaft ermöglichen." (U. Beck 1997, S. 19)


Baustein 3.2: Gefahren in der Konkurrenzgesellschaft

Durch diese Umorientierung in der Wertorientierung der handelnden Subjekte könnte die große Gefahr der Konkurrenzgesellschaft (Auflösung der bindenden Wirkungen innerhalb der Gesellschaft) wenn nicht gebannt, so doch gemildert werden, wenn die Individuen gleichzeitig erkennen, dass Freiheit und Sozialität keine Gegensätze sind, sondern sich ergänzen. Die Fixierung auf die selbstzerstörerischen Kräfte der durch Flexibilisierung und Konkurrenzdenken gekennzeichneten Überflussgesellschaft führt häufig dazu, dass der Blick auf die bindenden Kräfte und auf möglicherweise entstehende neue soziale Integrationsmomente verloren geht.

Mit seinen Thesen zu den "Kindern der Freiheit" entwickelt U. Beck eine nicht-resignative Perspektive, so dass zu den vielfach beklagten selbstzerstörerischen Tendenzen der Konkurrenzgesellschaft durchaus Alternativen erkennbar werden. Ob diese Alternativen sich allerdings auch durchsetzen werden, und von welchen strukturellen Bedingungen ein solcher grundlegender Wandel in der Gesellschaft abhängig ist - diese Frage bleibt offen. Vor diesem Hintergrund wird die Relevanz meiner These deutlich, dass sich in einem konstruktiven, innovatorischen und selbstverantworteten Freizeitverhalten von Jugendlichen geradezu prototypisch die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft vorweggenommen und zugleich auch entscheidend beeinflusst wird. Die große Frage ist, was seitens der Pädagogik getan werden kann, damit sich Selbstentfaltung und Emanzipation mit Sozietät und Moralität verbinden und nicht weiterhin - unter dem Einfluss globaler industrieller Expansion (durch die Freizeit-, Medien und Konsumgüterindustrie forciert) - weiter auseinander bewegen.

"Während im alten Wertesystem immer das Ich den (auch von einzelnen entworfenen) Wir-Schablonen untergeordnet werden musste, entsteht im Kontext der neuen Orientierung u.a. so etwas wie ein altruistischer Individualismus. Was sich auszuschließen scheint - an sich selbst zu denken und für andere dazusein -, entpuppt sich als ein innerer, inhaltlicher Zusammenhang: Wer für sich lebt, muss sozial leben." (U. Beck 1997, S. 19)

Inwieweit die von U.Beck hier angedeutete neue "Ethik der Selbstorganisation, der Selbstregulierung" (U. Beck 1997 Ursprung der Utopie: Politische Freiheit als Sinnquelle der Moderne, in: U. Beck 1997 S. 382 - 401) nur eine idealistische Forderung darstellt, die zunächst plausibel (weil vernünftig) erscheint , bei der aber unklar ist, inwiefern sie realisiert werden kann, diese Frage kann hier nicht weiter beantwortet werden. Für die Behandlung des hier gewählten Themas ist sie auch nicht notwendig. Hier sollte nur deutlich werden, dass der mit der Emanzipationsbewegung eng verbundene negative Freiheitsbegriff (Freiheit von) in der Freizeitgesellschaft an seine Grenzen gestoßen ist und nach einer selbstbestimmten positiven inhaltlichen Füllung sucht. Da jeder von dieser Situation betroffen ist, könnte sich auf dieser Basis so etwas wie eine Praxis der "freien Assoziation"entwickeln (U. Beck 1997, S. 396). Die angestrebte enge Verbindung von Moralität und Solidarität kann weder auf einem kollektiven Geist beruhen, noch kann sie durch noch so geschickt arrangierte pädagogische oder medienpädagogische Programme erzwungen werden. Die Jugend würde diese Angebote ablehnen. "Unter Bedingungen der Moderne sind Moral und Solidarität immer eine Funktion der Spontaneität, argumentiert bereits Durkheim. Freiwilligkeit ist ihre Quelle" (U. Beck 1997 S. 397).

 

 

 

 
 

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der Bundeszentrale für politische Bildung
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Projektkoordination: Tilman Ernst und des Teams von
www.pbnetz.de an der Universität Münster
unter der Leitung von Dr. Wolfgang Sander, Andrea Meschede und Ansgar Heskamp.

Bundeszentrale für politische Bildung

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