Zukunft der Schule im Blickpunkt der Öffentlichkeit
Periodische Schwankungen Die bildungspolitische Diskussion um die Entwicklung von Schulprogrammen darf nicht losgelöst von der Entwicklung der Schülerzahlen und der Höhe öffentlicher Zuwendungen geführt werden, die periodischen Schwankungen unterworfen sind: Von 1986 bis 1995 konnte, nach der über 20 Jahre währenden Phase des Pillenknicks, erstmals wieder ein leichtes natürliches Wachstum der bundesrepublikanischen Bevölkerung festgestellt werden, das durch selektive Zuwanderung, durch die Wiedervereinigung und durch gesellschaftliche Veränderungen verursacht wurde (vgl. verschiedene Statistische Jahrbücher; Fischer-Weltalmanach 1997: 191f). Dieser 'Schülerberg' durchläuft nun sukzessive das primäre, sekundäre und tertiäre Bildungssystem und sorgt auf seinem Weg zum Bildungsabschluss für erhitzte Debatten in den einzelnen Schulformen. Hinzu tritt eine fortlaufende Höherbewertung gymnasialer Bildung. In ihrer aktuellen Vorhersage weist die Ständige Kultusministerkonferenz (KMK) einen weiteren absoluten Anstieg der Zahl der Gymnasiasten und Abiturienten bis über das Jahr 2010 hinaus aus (1993: 10 u. 18f). Die regionalisierten Daten für Nordrhein-Westfalen zeigen die gleiche Entwicklung auf Landes- und Gemeindeebene: Die bis 2003 um 14 % anwachsenden Schülergesamtzahl in der Sekundarstufe I (1997: ca. 370.000) verteilt sich auch zukünftig zu etwa einem Drittel auf die Gymnasien. D.h. die Zahl der Gymnasiasten steigt im Vergleichszeitraum um 13,4 % (Landesamt für Datenverarbeitung & Statistik NRW 1994: 17ff).
Diese bildungspolitische Phase steigender bzw. stagnierender Schülerzahlen ist durch zunehmende Verteilungskämpfe um sinkende öffentliche Zuwendungen gekennzeichnet, die parallel zu den steigenden Zahlen der Edukanden in Deutschland für das Schulwesen sinken (52 % der öffentlichen Bildungsausgaben, das sind ca. 80 Mrd. DM, entfielen 1993 auf das Schulwesen. Gemessen am realen Bruttosozialprodukt sanken die Ausgaben auf 4,2 % und damit um 1 % unter den Wert von 1980 und um 1,3 % unter den Wert von 1975) (Bildungskommission NRW 1995: 205; vgl. Klemm 1995: 7ff).
Profilbildung und Schulprogramme Zu diesem Zeitpunkt entbrennt nun eine Diskussion um eine Profilbildung bzw. Schulprogrammentwicklung der Einzelschule, die durch die neuen Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe I und II für Gymnasien in Nordrhein-Westfalen in die Schulwirklichkeit transferiert wird. Im Herbst 1993 nahm die KMK erstmals den kritischen Dialog über die Entwicklung der differenzierten gymnasialen Oberstufe nach dem Reformstau der 80er Jahre auf. Eine breite Kontroverse an den Hochschulen und in Wirtschaftskreisen über die 'mangelnde Studierfähigkeit' von Hochschulaspiranten ebnete dem Reformimpuls zusätzlich den Weg (vgl. Schnack 1995: 9). Die ersten Ergebnisse der äußeren Schulreform liegen nun für das Land Nordrhein-Westfalen in Form einer Denkschrift der Kommission "Zunkunft der Bildung - Schule der Zukunft" beim Ministerpräsidenten (1995) vor und bündeln die breite Diskussion um die konkreten Ausgestaltung der erweiterten Schulautonomie in den pädagogischen Magazinen (vgl. Erziehung und Wissenschaft 1/94; Pädagogik 11/93, 2 u. 5/95, 1 u. 10/96, 2/97; Zeit-Punkte 2/96) und auf dem pädagogischen Büchermarkt (vgl. BASTIAN et al. 1995; DÖBERLIN 1996; GIESECKE 1996; HENSEL 1995; VON HENTIG 1993; Ders. 1996; SCHNACK 1995; STRUCK 1994; TILLMANN 1995b; Ders. 1994; VOß 1996).
Angesichts des beschriebene sich zuspitzenden bildungspolitischen Grundkonflikts zwischen wachsendem Bildungsbedarf und schrumpfenden öffentlichen Mitteln greift am Ende der 90er Jahre also ein neoliberales Kalkül auf die Schule über: Die Einzelschule wird mehr und mehr entstaatlicht und in eine lokale Marktsituation versetzt, in der sie sich durch pädagogische Selbstverantwortung zu "bewähren" hat (vgl. KLEMM 1995: 6ff). Autonomie und Profilbildung sind derzeit die populären Chiffren der Schulreform (Kap. A.1.). Die Einzelschule wird in diesem neuen "ökonomischen" Denken idealtypisch zum ungefragten Pionier und Motor zukünftiger Schulentwicklung (vgl. DALIN/ROLFF/BUCHEN 1996) erkoren, auch wenn die realen Schulen sich ihres verdeckten innovatorischen Potentials noch (lange) nicht bewusst sind, vielmehr durch pädagogisch oder didaktisch kaum zu begründende Notprogramme zu überleben versuchen. Es fehlt der Einzelschule an Initiatoren, Unterstützung von außen und inhaltliche wie methodische Orientierung über die Zielrichtung der Schulprogrammarbeit. Öffentliche Anreize und Investitionen bei Forcierung der Schulentwicklung 'von unten' sind auch langfristig nicht in Aussicht.
Es verwundert nicht, wenn in dieser Situation auf professionelle und sich unter Marktdruck bewährende Management-Strategien der Betriebswirtschaft zurückgegriffen würde (vgl. MAECK 1999) (Kap. A.2.). Die Erkenntnis, dass "nicht die objektive Beschaffenheit einer Ware (hier: Unterricht, Schulleben; d. Verf.) [...] die Realität in der Marktpsychologie ist, sondern einzig die Verbrauchereinstellung" (Bernt SPIEGELl 1991 in HAEDRICH 1993: 251) setzt sich durch und wird den Schulen besonders in der Bedeutung ihres Images deutlich. Jede Schule ist "etwa zwei Jahre nach ihrem Aufbau bzw. nach Veränderungen im Inneren (z.B. Entwicklung eines neuen Schulprofils) oder im Äußeren (z.B. Renovierung) von einem bestimmten Image geprägt" (REGENTHAI 1988: 8), das stereotypen, zumeist historisch gewachsenen Vorstellungen entstammt und die zentrale Elternentscheidung v.a. bei höheren Schulen ('Welche Schule besucht mein Kind?') beeinflusst. Keine Schule kann sich dem Imagebildungsprozess entziehen. Allerdings wird eine gezielte Verbreitung des angestrebten Schulprofils durch wirksame Öffentlichkeitsarbeit vom zusätzlichen Aufwand bzw. schulinternen Dissens häufig erstickt. Dabei liegen erfreuliche Konzepte zur Imagebildung und -pflege vor (Kap. 3 Sachanalyse., vgl. v.a. REGENTHAI 1988, KLIEBISCH 1999 und ROLFF 2000).
Dass es in dieser schwierigen Zeit trotzdem möglich ist Schulentwicklung und Schülerpartizipation zu integrieren zeigt die hier vorgelegte exemplarische Präsentation eines pädagogischen Projektes zur empirischen Untersuchung eines Schulimages in der Öffentlichkeit (Kap. B, vgl. v.a. MÜLLER 1996a und ROLFF 1999).
Schulprofilbildung
Beginnend mit der Neubearbeitung der Grundschulrichtlinien im Jahre 1985 wurde in Nordrhein-Westfalen eine sukzessive Revision der Richtlinien und Lehrpläne für alle anderen Schulformen eingeleitet. Mit dem Runderlass des Kultusministers vom 8. Februar 1993 (II C 1/3-36-20/0 Nr. 3327/92) traten die seit dem 1. August 1995 geltenden Richtlinien für die Sekundarstufe I des Gymnasiums in Kraft und fordern von der einzelnen Schule "in eigener Verantwortung aus fachlichen und übergreifenden Fragestellungen heraus in kooperativer Planung der Mitwirkungsgremien und - wo es erforderlich ist - auch mit dem Schulträger ein Schulprogramm" zu entwickeln, "das Inhalte und Organisationsformen für Unterricht und Schulleben enthält" (ebd.: 27). Neben der fachlichen Schwerpunktbildung (z.B. bilinguale, zusätzliche künstlerisch-musische Unterrichtsangebote) werden u.a. stärkere pädagogische Grundorientierungen (z.B. Intensivierung der Eltern- und Schülermitwirkung, Stärkung der ökologischen Erziehung) oder die Öffnung der Schule zu ihrem lokalen Umfeld hin vorgeschlagen (vgl. ebd.). Die Richtlinien für die Sekundarstufe II, die durch den Runderlass des Kultusministeriums vom 17.3.1999 (7322.36-20/0-277/99) am 1.8.1999 in Kraft sind, unterstreichen ebenfalls die Entwicklung von Schulprogrammen und beschreiben ähnliche schulische Arbeitsfelder (z.B. fachübergreifendes und fächerverbindendes Lernen, ÑLernen des Lernens", Konzepte für die Erziehungs- und Beratungsarbeit, Konzepte für das Schulleben, Verfahren der Entwicklung und Evaluation des Schulprogramms etc.).
Die Kommission "Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft" beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen begleitete diese Reform des Schulwesens. Es handelte sich dabei um ein hochkarätig besetztes Gremium aus Bildungstheoretikern, Erziehungswissenschaftlern, Philosophen, Juristen, Sozialisationsforschern, Lehrern und Vertreter von Verbänden. Beteiligt waren u.a. Prof. K.-P. Grotemyer, Prof. J. Mittelstraß, Prof. W. Klafki, Prof. K. Hurrelmann, Prof. E. U. von Weizsäcker und Prof. M. Wasna (ebd.: 6). Ihre Ergebnisse sind in einer Denkschrift (vgl. Bildungskommission NRW 1995) im Oktober 1995 der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Dieses Dokument bündelt die breite "Diskussion um eine erweiterte Gestaltungsfreiheit und Selbstverantwortung der Schule und die davon erwartete Qualitätsentwicklung und -sicherung" (MSW 1997: Vorwort der Ministerin). Ein zentrales Thema für die Errichtung des neuen 'Hauses des Lernens und Lebens' (vgl. Bildungskommission NRW 1995: 77) bildet der vergrößerte Gestaltungsfreiraum der Schule, der sowohl die zeitliche, räumliche, organisatorische, schulrechtliche, finanzielle als auch pädagogische Ebene betrifft. Nordrhein-Westfalen unterstützt damit maßgeblich eine bundesweit geführte Diskussion um die erweiterte Schulautonomie (vgl. DASCHNER/ROLFF/STRYCK 1995). Diese zentralen Anregungen der Denkschrift greift das Entwicklungskonzept ÑStärkung der Schule" des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom April1997 auf. Es ist darauf gerichtet, die Qualität der Bildungs- und Erziehungsarbeit auszubauen und nachhaltig zu sichern.
Schulen sind angehalten die neue 'pädagogische Freiheit' auf die Entwicklung eines eigenen Schulprogramms zu konzentrieren und dabei "in einer ganzheitlichen Konzeption ihre spezifische pädagogische Zielsetzung als Ergebnis einer reflektierten Aufnahme der Richtlinien- und Lehrplanvorgaben und der konkreten Lernbedingungen ihrer Schülerschaft in ihrem Umfeld darzustellen. Als Resultat der kontinuierlichen Arbeit am Schulprogramm bildet sich [...] das Schulprofil heraus" (Bildungskommission NRW 1995: 144), das darauf abzielt die "Qualität und Akzeptanz eines schulischen Angebotes festzustellen und zu erhöhen und Impulse für einen Wettbewerb um kontinuierliche Qualitätsverbesserung und effektiven Ressourceneinsatz" zu geben (ebd.: 155). Die begrenzte Schulautonomie drückt sich auch in einer erhöhten Eigenverantwortung für die Gestaltung der Lerndienstleistungen gegenüber dem Schulumfeld aus.
Schulprogramm in Nordrhein-Westfalen
Laut Runderlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 25.6.1997 soll jede Schule in Nordrhein-Westfalen bis zum Jahr 2000 ihr Schulprogramm entwickeln.Zur Realisation und Unterstützung der Schulprogrammarbeit bietet das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Soest neben zahlreichen Publikationen Seminare an, in denen Schulentwicklungsmoderatoren ausgebildet und bei der Planung und Durchführung von Konferenzen und Klausurtagungen zum Thema Schulentwicklung unterstützt werden.
Die 'von oben' initiierte Schulreform ohne zusätzliche Budgeterweiterung stellte ein Novum in der nordrhein-westfälischen Reformgeschichte des Bildungswesens dar. Sie versetzte die Gymnasien zunächst einmal in die grundsätzliche Problemlage, die curricularen Vorgaben der "jeweils unterschiedlichen Bedingungen in jeder einzelnen Schule", der "charakteristischen Ausprägung" und des "lokalen Umfeldes und des Heimatraumes" für ihre Schule zu untersuchen (Richtlinien für das Gymnasium, Sekundarstufe I, 1993: 27).
Schulen hatten bis dahin keine Erfahrungen darin, ihre Stellung in der lokalen Bildungslandschaft, ihre Akzeptanz in der Bevölkerung oder ihre Profilierungsmöglichkeiten zu analysieren. Inzwischen liegen zahlreiche Beispiele für Schulprogramme aus den unterschiedlichen Schulen und Schulformen vor, aus denen hervorgeht, dass Schulen auch zukünftig noch Anregung und Unterstützung bei ihrer Schulentwicklungsarbeit benötigen. Das pädagogische Projekt Schule und ihr Image versteht sich als Möglichkeit, auf diesem Gebiet weiterhin Erfahrungen zu sammeln und Schulentwicklungsarbeit auf eine empirische Basis zu stellen. Damit wird ermöglicht, dass "die Schule sich selbst auch Rechenschaft über die Ergebnisse ihrer Unterrichts- und Erziehungsarbeit geben und Verfahren zur Sicherung von Standards entwickeln kann", (vgl. Richtlinien Sozialwissenschaften der Sekundarstufe II, 1999: XXIII). Zur weiteren Orientierung bieten die Landesinstitute für Lehrerbildung entsprechende Lehrerfortbildungsmaßnahmen sowie Schulentwicklungsmoderation an (vgl. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung 1996a/b/c sowie aktuelle Kontaktadresse).
Zwei kritische Positionen
Die Modernisierungsabsichten unter dem Stichwort "Öffnung und Gestaltung von Schule" finden jedoch nicht nur Zustimmung, sondern stoßen auch auf entschiedene Ablehnung. Es lassen sich zwei Diskussionsstränge verfolgen:
Reform 'von oben'
Die Veränderung einiger zentraler Schul- und Schulverfassungsgesetze haben die Entscheidungs- und Handlungskompetenzen für Einzelschulen erweitert, aber sie verpflichten alle am Schulleben beteiligten Gruppen und Personen zu neuen, eigenverantwortlichen Aufgaben (vgl. BASTIAN/OTTO 1995: 7ff). Hier werden Fragen nach der Verfasstheit der Bildungsinstitutionen und nach dem allgemeinen Verständnis von Bildungspolitik gestellt: 'Wozu ist die Schule da?'(vgl. FAUSER 1996) 'Welche Schule brauchen wir?' (vgl. Zeit-Punkte 2/96) 'Wird die Schule mit ihren Aufgaben überfordert?' usw.
Innere Schulreform
Die heutige handlungsarme Kindheit und Jugend, etwa bedingt durch familiäre Umbrüche, durch Veränderungen im Spielraum oder durch die rasante informationstechnologische Entwicklung, erfordert eine Reform der Schule besonders im Hinblick auf den Unterricht mit den ihn konstituierenden Bedingungen und Voraussetzungen (vgl. GUDJONS 1997a: 13ff; ders. 1997b: 10).
Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang die Schrift von Horst Hensel, in der er sich mit dem "neuen und zum Teil befremdlichen kindlichen Verhalten und eine angemessene pädagogische Reaktion darauf" (ebd. 1995: 9) beschäftigt. Er resümiert:
"Eine große Anzahl der Kinder verhält sich so, als sei ihr Zentralnervensystem an das Vorabendprogramm des Fernsehens angeschlossen: Ihr schulisches Verhalten ist ein Reflex auf schnelle Schnitte, Kliff-Hänger, Zapping usw. Sie sind nervös, können sich schlecht konzentrieren, bedürfen der immer neuen Reize, Stimuli und Sensationen, können nicht mit sich allein sein, behalten wenig, strengen sich kaum an - kurz: Das Konstante ihrer Persönlichkeit ist die Flüchtigkeit" (ebd.: 19).
Die Ansätze zur Inneren Schulreform beschäftigen sich als pädagogische Reaktion darauf mit neuen Lern- und Lehrmethoden, mit integrativen, überfachlichen Projekten oder mit Freiarbeit bzw. Offenem Unterricht. Doch mit der Reform einzelner Unterrichtselemente kann noch keine relativ autonome Entwicklung der Einzelschule verwirklicht werden. Vielmehr müssen die Einzelmaßnahmen in einem schulspezifischen Konzept eines konzertierten Innovationsmanagements (Kap. A.2.2.) gebündelt werden, damit mittelfristig ein klares, tragfähiges Schulprofil erkennbar wird.
Die Diskussion um mehr Autonomie wird auch in den einzelnen Schulen kontrovers geführt. "Nicht wenige sehen die Gefahr, dass größere Selbständigkeit der Schulen nicht nur zu Mehrarbeit der Lehrer, sondern auch zu einem größeren Maß von Ungleichheit im Schulwesen führen könne" (TILLMANN 1995a: 48). Wie sichert Schule angesichts zunehmender Profilbildung eine grundlegende und für alle Lernende gleiche Allgemeinbildung (vgl. HUBER 1995: 83)?
Gefragt wird desweiteren nach den Motiven der Kultusministerien zu dieser basispädagogischen Hinwendung. Soll lediglich der politisch induzierte Sparzwang auf die Kollegien abgewälzt oder sollen neue Handlungspotentiale 'vor Ort' freigesetzt werden, die in kostenneutraler Weise die pädagogische Qualität von Schule verbessern?
Bei der Entdeckung und Entfaltung eines tragfähigen Schulprogramms, das diesen divergierenden Anforderungen genügt, erreicht das Verhältnis unter den Lehrern eine andere Qualität. Sie werden aus ihrer alltäglichen, teilweise Jahrzehnte währenden "Einsamkeit und Freiheit" (TILLMANN 1995a: 55) herausgerissen und zu Teamarbeit im Geiste der corporate identitiy aufgefordert (s. Kap. 2.3.). Dieser Wechsel von der einsamen Lehrtätigkeit ("Teaching is a lonely profession!" (HARGREAVES 1980 in: PHILIPP/ROLFF 1990: 8) zur kritisch-kooperativen Gruppenarbeit löst massive Verunsicherung in den Kollegien aus (vgl. ROLFF 1994: 43). "Nicht zu übersehen ist [...], dass viele Schulen mit diesen Erwartungen überfordert sind, dass es Ängste, Widerstände und schlechte Erfahrungen gibt und dass das Wecken hoher Erwartungen zu Überforderung und Enttäuschung führen kann" (BASTIAN 1997: 7). Die bisherigen Ausführungen zur Profilbildung der Einzelschule deuten zwar die Vielschichtigkeit der Problemlage an, aber sie liefern noch kein Konzept, um ein tragfähiges und realisierbares Schulprogramm auf den Weg zu bringen.
Erst Berichte aus der alltäglichen Praxis könnten ermutigende Beispiele erfolgreicher Profilbildung liefern. Neben den zahlreichen Reformschulen und Schulversuchen existieren inzwischen schon einige Schulen mit eigenem Schulprogramm, auf die hier nur verwiesen werden kann: 1992: Hessen (vgl. HOLZAPFEL 1992), Hamburg (vgl. LORENT/ZIMDAHL 1993, AMMON1994: 12f); 1993: Bremen (vgl. V.D. AHE 1994: 10ff; Freie Hansestadt Bremen 1993); 1995: Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein (vgl. BASTIAN 1996: 8); die Bremer (Lern-)Firma (vgl. DEBES 1996), die Frankfurter Öko-Schule (vgl. FISCHER 1996), die 'gewaltfreie' Käthe-Kollwitz-Schule in Wetzlar (vgl. SCHULTE 1996), die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden mit dem Profil 'Praktisches Lernen' (vgl. REIGEL 1995), das Evangelische Zentrum in Leipzig (vgl. FISCHER 1997), weitere Projekte, Profile und Programme für die gymnasiale Oberstufe werden bei SCHNACK 1995 vorgestellt. Die erwähnten Schulen dienen keineswegs der verallgemeinerbaren Modellbildung, sondern zeigen zunächst einmal anregende Bearbeitungsbeispiele der Leitfrage 'Was ist eine gute Schule (vgl. TILLMANN 1994)?' auf.
Eine ausgereifte Profilbildung stellt einen langwierigen Prozess dar und beinhaltet eine positive Umsetzung der Autonomie in detaillierte und klare Konzepte, die die spezifischen besonderen Bedingungen der Schule (z. B. hoher Ausländeranteil, Grenznähe, schulgeschichtliche Besonderheiten usw.; vgl. Richtlinien für das Gymnasium, Sekundarstufe I 1993: 27) berücksichtigen. Unterstützung und Orientierung bieten die im Kapitel 2 der Sachanalyse erörterten Management-Strategien.
Qualitätssicherung und Evaluation von Unterricht
"Wie ehrenwert, ausgefeilt oder aufgeklärt Vorschläge zur Veränderung und Verbesserung (von Schule) auch sein mögen, es wird nichts aus ihnen, wenn die Lehrer sie sich nicht in ihren eigenen Klassenräumen zu eigen machen und sie wirkungsvoll in die Praxis umsetzen" (FULLAN/HARGREAVES 1992 in EIKENBUSCH 1997b: 6; vgl. auch BASTIAN 1997: 6).
Schulreform, ob von innen oder von außen, ob 'von oben' oder 'von unten', ob strukturell, organisatorisch oder pädagogisch, beginnt und endet im Klassenraum, d.h. es geht immer um einen Wandel der Unterrichtsorganisation nach der Leitfrage 'Was ist guter Unterricht?' den jede Zeit unter Berücksichtigung der herrschenden Strömungen und Anforderungen zu beantworten hat. Hilbert Meyer geht sogar soweit, zu behaupten, dass "der erste Schritt zur Schulreform [...] die Entfaltung der Methodenkultur im Unterricht" (ebd. 1995: 122) ist. Doch wie stellt man die Qualität von Unterricht fest? Für die Erforschung unterrichtlicher Praxis mit dem Ziel der 'Qualitätsverbesserung mit geringen Mitteln' steht zwar ein breites Spektrum von Verfahren zur Verfügung, das von allen Beteiligten genutzt werden kann (Abb. 1).
Evaluation bleibt jedoch, ganz gleich ob schulintern (zu Realisierungsmöglichkeit des Evaluationskonzeptes an Schule vgl. Themenheft Pädagogik 5/1997) oder durch externe Inspektion (zu den Nachteilen externer Evaluation vgl. BURKHARD 1997), in der pädagogischen Literatur zunächst eine vage Umschreibung eines noch auszuarbeitenden Konzeptes, wenn es heißt: "Schulinterne Evaluation ist ein systematischer, kontinuierlicher Lern- und Arbeitsprozess, in dem vor Ort Informationen und Daten über das Lernen, den Unterricht und die Schule gesammelt werden, um aus ihnen Erkenntnisse zu gewinnen und sie begründet zu bewerten. Dies dient der Selbstreflexion über die Arbeit, der Schulentwicklung, der Beteiligung von Betroffenen oder der Selbstkontrolle und Rechenschaft" (EIKENBUSCH 1997b:7)
In der oben erwähnten Denkschrift der Bildungskommission NRW wird die Neugestaltung der bisherigen Schulaufsicht als staatlichen Pädagogischen Dienst empfohlen, der "ein offenes System von Beratung und Evaluation" (ebd. 1995: 191) darstellt, das die Elemente Selbstevaluation, externe Evaluation und Berichterstattung beinhaltet. Die Qualitätsverbesserung des Unterrichts beginnt bei der gesetzlichen Selbstverpflichtung zu interner Rechenschaft und Selbstaufklärung in den Kernbereichen
- der Qualität der Bildungs- und Erziehungsarbeit,
- der Wirksamkeit der Binnenorganisation,
- der Ressourcenentscheidungen und der personellen Besetzung
- sowie der Funktionalität und Wirksamkeit der staatlichen Rahmenvorgaben"
(ebd.: 197).
Der Pädagogische Dienst "soll die Funktion der "Gegenspiegelung" haben, die der Bestätigung oder Korrektur der eigenen Einschätzung vor Ort Beteiligten dient" (ebd.: 195). In periodisch durchgeführten Inspektionen finden beratende, unterstützende und intervenierende Gespräche zwischen den auf Zeit berufenen, praxiserfahrenen und in schulischer Supervision ausgebildeten Mitarbeiter(innen) und den Arbeitsteams an den Schulen statt (vgl. ebd.: 201 u. 326f). Um die Berichterstattung über die Unterrichtstätigkeit zu verbessern, sind zudem laufend Evaluationsberichte der Schulleiter, schulspezifische Bildungsstatistiken und Informationen an die lokale Öffentlichkeit einzureichen (ebd.: 203).
Was hier als rigorose Kontrolle anmutet und zunächst als Leitvorstellung von Experten zur Diskussion gestellt wird, darf zum einen nicht die positiven Perspektiven durch eine Selbsterkundung verstellen und zum anderen nicht den jungen Forschungsstand des schulisches Evaluationskonzeptes ignorieren. Noch ist der Einwand berechtigt, für die Evaluation von Unterricht gebe es "keine Patentrezepte und auch keinen Zauberkoffer" (EIKENBUSCH 1997a: 30), aber es lassen sich vier Grundformen herausarbeiten, denen zukünftige Bemühungen gelten sollten:
Schriftliche Befragungen Häufig werden standardisierte Formulare, wie das vom Institut für Schulentwicklungsforschung herausgegebene "IFS-Schulbarometer" (1996), zur Erfassung der spezifischen Unterrichtswirklichkeit in einer Klasse, einem Fach oder an einer Einzelschule adaptiert. Der Aufwand derartiger, zumeist quantitativ ausgerichteter Fragebogenaktionen steht selten in einem ausgewogenen Verhältnis zum Erkenntnisgewinn. Die Ergebnisse beschreiben Oberflächenstrukturen und deuten Tendenzen und Trends an. Daher dienen sie als empirisches Fundament für einen langfristig angelegten Evaluationsprozess. Das pädagogische Projekt Schule und ihr Image stellt ein Modell der Diagnose des aktuellen Ist-Zustandes einer Schule dar und bildet die Ausgangsbasis für fundiert ermittelte Entwicklungsziele.
Strukturierte Gespräche Die zahlreichen informellen und unorganisierten Pausengespräche zwischen Kollegen verdeutlichen den Bedarf nach Austausch und Kommunikation über Klassen, Schüler und fachliche Entscheidungen. In der Hektik und Kürze einer jeden Pause verharren sie jedoch zumeist auf der rein pragmatischen Ebene und leiten nicht zu weiterreichenden Einsichten. Mit der Vorstrukturierung derartiger Kontakte durch Leitfadeninterviews, "Planungs- und Entwicklungsgespräche, Bilanzkonferenzen" (Eikenbusch 1997a: 31) kann ein weiterer Grundstein der Selbstaufklärung einer Schule gelegt werden.
Beobachtungen Hospitationen von (Fach-) Kollegen oder externen Experten heben die Situation der einsamen und freien Unterrichtstätigkeit auf. Sie unterscheiden sich grundlegend von den schulamtlichen Visitationen, da sie nicht der Kontrolle dienen, sondern eine intersubjektive Sicht auf Unterricht ermöglichen. Teilnehmende oder offene Beobachtungen in einer angstfreien und gleichberechtigten Situation leiten zu beratenden Gesprächen, in denen konkrete Qualitätsverbesserung geleistet wird.
Datenanalyse Die Auswertung vorhandener Datensätze (z.B. Schullaufbahnprotokolle, Notenspiegel von schriftlichen Lernkontrollen und Zeugnissen, Lehrwerke, Konferenzprotokolle, Schülerzeitungen) fördert subtile und latente Qualitätsverluste in der alltäglichen Unterrichtspraxis zu Tage, wenngleich die Argumentationsdecke dieses Verfahrens recht 'dünn' ist.
Hilfe bei der konkreten Anwendung dieser Evaluationsverfahren bietet die pädagogische Basisbibliothek (vgl. SCHNACK 1997) sowie Fortbildungsangebote der Landesinstitute für Lehrerbildung (vgl. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung 1996b/c).
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