Fremdenfeindlichkeit
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
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 Lösungsansätze
 

Politische Ebene: "Heimat Babylon" - Deutschland wird Einwanderungsland

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Lange Zeit hat in Deutschland die Abneigung, das ethnisch-völkische Konzept von "Nation" durch ein ideelles zu ersetzen (etwa im Sinne des französischen Bekenntnisses zur "Republik"), eine offene politische Auseinandersetzung über die Einwanderungspolitik blockiert.

"Wir - die alten Staaten des alten Europas - sind klassische Nationalstaaten. Wir schöpfen unsere Identität nicht aus dem Bekenntnis zu einer Idee, sondern aus der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk.", formulierte Wolfgang Schäuble, Fraktionsvorsitzender der CDU/ CSU im Deutschen Bundestag, im Jahr 1989 an die Adresse derer gerichtet, die da immer wieder von Deutschland als "Einwanderungsland" und von der "multikulturellen Gesellschaft" gesprochen hatten. (Zitiert nach: U. Knight/W. Kowalsky, Deutschland nur den Deutschen? Die Ausländerfrage in Deutschland, Frankreich und den USA, Erlangen, Bonn und Wien 1991, S. 131.)

"Die Vorstellung, dass eine moderne Gesellschaft in der Lage sein müsse, sich als multikulturelle Gesellschaft zu etablieren, (...) halte ich für abwegig. (...) Dann entartet die Gesellschaft (...) Aus Deutschland ein Einwanderungsland zu machen, ist absurd. Es kann dazu kommen, dass wir überschwemmt werden." äußerte sich Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau am 12. Februar 1992 zur Frage der Einwanderung nach Deutschland.

Was aber den Skinhead auf der Straße und den Politiker auf der Rednerbühne primär verbindet, ist die irrige Annahme, es läge in den Händen der Deutschen bzw. der deutschen Politik zu entscheiden, ob Deutschland ein Einwanderungsland werden soll oder nicht. Ende 1999 hielten sich im Bundesgebiet 7,344 Mio. (9 % der Gesamtbevölkerung) Menschen mit einem ausländischen Pass auf, von denen über die Hälfte seit mehr als 10 Jahren im Land ist. (Zahlen nach: Daten und Fakten zur Ausländersituation. Oktober 2000. www.bundesauslaenderbeauftragte.de)

Kein Einwanderungsland? Obwohl Deutschland in Europa eines der Länder mit den höchsten Zuwanderungszahlen ist, ist es zugleich das Land, das sich lange Zeit am standhaftesten geweigert hat anzuerkennen, dass es de facto längst ein Einwanderungsland ist.

Wenn auch seit dem Jahr 2000 die Notwendigkeit von Einwanderung für die deutsche Gesellschaft wegen der Bevölkerungsprognosen in allen Parteien nicht mehr geleugnet wird und verschiedene Modelle eines Einwanderungsgesetzes im Gespräch sind, so sind doch Einschätzungen wie "das Boot ist voll" oder "die Belastungsgrenze durch Zuwanderung ist überschritten" (so Innenminister Otto Schily (SPD), zitiert nach D. Oberndörfer: Rückkehr zum Gastarbeitermodell? Weichenstellungen in der Einwanderungspolitik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2000) noch immer weit verbreitet. Ihr Spektrum reicht von den oben genannten "Beschwörungen" der deutschen Nation in Politikerreden bis hin zu den offen ausländerfeindlichen Krawallen mit ihrem "Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!"

Initiativen für ein Einwanderungsgesetz

Bereits wenige Wochen vor den fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Hoyerswerda forderte eine Gruppe engagierter Hochschullehrer in einem Zeitungsaufruf eine politische Auseinandersetzung mit dem Thema Zuwanderung:

"Wir warnen davor, das zentrale Politikfeld der Zuwanderung und der Eingliederung zugewanderter Minderheiten zu vernachlässigen [...]. Die Probleme der Zuwanderung und der Eingliederung eingewanderter Minderheiten müssen endlich als entscheidende Zukunftsaufgabe deutscher und europäischer Politik begriffen und mit umfassenden Konzepten gestaltet werden. Die Lage wird sich zuspitzen, wenn nicht vorausschauend politisch gehandelt wird." (Der Aufruf wurde abgedruckt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30.08.1991.)

Doch erst zehn Jahre später wird diese Forderung ernstgenommen. Zu lange war "das Thema Einwanderung so gründlich und so beharrlich unpopulär gemacht" worden, dass die politisch Verantwortlichen meinen "es sei den Wähler/innen und Wählern nicht vermittelbar", schätzt die ehemalige Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Cornelia Schmalz-Jacobsen die Lage ein (Süddeutsche Zeitung vom 29. Februar 2000).

Erst mit den von der rot-grünen Bundesregierung initiierten Gesetzgebungsinitiativen zur Rentendebatte, zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts und zur Einführung der Green-Card für ausländische IT-Fachkräfte wurden Fragen der Einwanderungspolitik ein wichtiges Thema. Die heftigsten Auseinandersetzungen fanden während der Landtagswahlkämpfe in Hessen 1999 (Unterschriftenaktionen der CDU gegen das neue Staatsbürgerschaftsrecht) und Nordrhein-Westfalen 2000 ("Kinder-statt-Inder"-Aktion der CDU gegen die Green-Card-Initiative) statt. Doch auch Parteimitglieder der CDU/CSU bestreiten heute vor dem Hintergrund der Modellrechnungen von Bevölkerungsprognosen für Deutschland nicht mehr die Notwendigkeit einer Regelung von Zuwanderung nach Deutschland.

Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses für forschen mit GrafStat scheint eine Kompromisslösung in Sicht, die aufgrund des Positionspapiers der CDU/CSU vom 10. Mai 2001 und des für den für Juli 2001 avisierten Bericht der Zuwanderungskommission der Bundesregierung unter Vorsitz von Rita Süssmuth ausgehandelt werden könnte. Im Vorfeld wird es aber sicherlich eine heftige Debatte um die Regelung einzelner Punkte - wie beispielsweise in Fragen des Asylrechts - geben. (siehe hierzu v.a. die Materialien im "Baustein 10: Wir brauchen Zuwanderung - Wie kann sie geregelt werden?"; aktuelle Informationen und Zusatzmaterialien finden Sie im Internetangebot "www.forschen-mit-grafstat.de".)

Tatsächlich darf man davon ausgehen, dass eine gezielte Zuwanderung mit Hilfe einer Einwanderungsgesetzgebung die Akzeptanz von Ausländern in der Bevölkerung verbessern würde. Auch wenn die Politik sicherlich die Hauptverantwortung für die Lösung des Problems der Fremdenfeindlichkeit trägt, wäre es verfehlt, allein von politischen Maßnahmen eine zu erwarten. Insofern, als fremdenfeindliche Einstellungen auf unzureichenden oder falschen Informationen sowie emotionalen Abneigungen auf der Seite der deutschen Bevölkerungsmehrheit liegen, kommt vor allem der Schule eine überragende Bedeutung zu: Sie ist die einzige Institution der Gesellschaft, die alle Jugendlichen in ihrem Sozialisationsprozess erreicht und frühzeitig gegen die Entstehung von Fremdenfeindlichkeit intervenieren kann.


 


Gesellschaftliche Ebene: Multikulturelle Gesellschaft oder "Leitkultur"?

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Auch nach einer Verabschiedung eines Einwanderungsgesetzes für Deutschland bleibt die Frage nach den Möglichkeiten, wie das Zusammenleben von Deutschen und Zugewanderten durch politische und gesellschaftliche Verfahrensweisen möglichst optimal zu gestalten sei.

Als der Schriftsteller Salman Rushdie von einer skeptischen Journalistin gefragt wurde, ob er an die Zukunft der multikulturellen Gesellschaft glaube, antwortete er mit einem bestechenden Sinn für Realität: "Was ist die Alternative? Wollen wir denn alle in kleinen Schachteln leben?"

Bundespräsident Johannes Rau machte in seiner Rede "Ohne Angst und Träumereien: Gemeinsam in Deutschland leben" vom Mai 2000 die Wichtigkeit einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung über den Einfluss deutlich. Die in der Bundesrepublik lebenden Menschen ausländischer Herkunft haben das Land und seine Gesellschaft bereits mitgeprägt und werden dies auch in Zukunft tun, vielleicht in noch stärkerem Maße.

Die Diskussion über die Art und Weise, wie Ausländer/innen und Deutsche am besten in diesem Land zusammenleben können, begleitet die gesamte Auseinandersetzung um ein Einwanderungsgesetz. Der von Friedrich Merz (CDU) geprägte Begriff der "Leitkultur"und da damit verbundene Konzept einer dominanten deutschen Kultur ist nur eines der gehandelten Modelle. (vgl. hierzu die Materialien zu Baustein 12: Zusammenleben verschiedener Kulturen in Deutschland.)

Wenn auch kein Weg zurückführt in die Abgeschlossenheit des ethnisch homogenen Nationalstaates, so ist auf der anderen Seite die multikulturelle Gesellschaft selbstredend kein konfliktfreies Modell, das ist auch gegen die "linke" Idealisierung des Begriffs ("Ausländer, lasst uns nicht mit den Deutschen allein! Nie wieder Deutschland") zu betonen, wobei die Umkehrung des Vorurteils, die, wie Hans Magnus Enzensberger gezeigt hat, "bis zur Diskriminierung der Mehrheit gehen kann", keine Lösung darstellt. (Hans-Magnus Enzensberger, Die große Wanderung, Frankfurt a.M. 1992, S. 52f.)

Wenn die multikulturelle Gesellschaft in erster Linie eine Realität ist, ist es für die politische Diskussion hilfreich, die polarisierende Ja-Nein-Diskussion zu verlassen und die Vorstellungen darüber zu präzisieren, welche multikulturelle Gesellschaft ein Land eigentlich haben will - der Begriff als solcher unterliegt dem politischen Gestaltungswillen.

Leitziel einer multikulturellen Gesellschaft

sollte einerseits die Achtung des kulturellen Selbstbestimmungsrechts einer jeden Bevölkerungsgruppe sein, das heißt auch vor dem Hintergrund der Mehrheitskultur im Lande muss es für Einwanderer möglich sein, an der Lebensweise, den Sitten und Gebräuchen der einheimischen Kultur festzuhalten, ohne dass daraus Nachteile erwachsen. Andererseits braucht aber auch die multikulturelle Gesellschaft eine Identität, die nun aber nicht mehr aus einer ethnischen Homogenität oder der Mehrheitskultur heraus definiert werden kann. Der Frankfurter Philosoph Jürgen Habermas fordert als Minimum von den Zuwanderern die "Zustimmung zu den Prinzipien der Verfassung" des Landes, das heißt "eine Assimilation an die Art und Weise, wie in der aufnehmenden Gesellschaft die Autonomie der Bürger institutionalisiert ist und wie hier der 'öffentliche Gebrauch der Vernunft' (Rawls) praktiziert wird"; Dolf Sternberger hat von "Verfassungspatriotismus" gesprochen. Unmissverständlich stellt Habermas klar, dass der aufnehmende Staat beide Ebenen von Assimilation (politisch - kulturell) strikt zu trennen habe: "Der demokratische Rechtsstaat, der mit der Entkoppelung der beiden Integrationsebenen ernst macht, darf von Einwanderern nur die politische Sozialisation [...] verlangen (und pragmatischerweise von der zweiten Generation erwarten)." (Jürgen Habermas, "Anerkennungskämpfe im demokratischen Rechtsstaat", in: Ch. Taylor, Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung. Mit Kommentaren von A. Gutmann (Hrsg.), S. Rockefeller, M. Walzer, S. Wolf, J. Habermas, Frankfurt a.M. 1993, S. 147-196, hier: S. 183f.)

Notwendig sind politische Initiativen, die diese von Habermas geforderte politische Sozialisation unterstützen, Maßnahmen wie die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für EU-Ausländer und die Erleichterung der Einbürgerung (die auch die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft zumindest für Angehörige der ersten Zuwanderergeneration einschließt) sind Schritte in diese Richtung, weil Integration definitiv auch das Erlernen der Übernahme politischer Rechte und Pflichten beinhaltet, das heißt die kritische Teilnahme an politischen Prozessen.

Als unverzichtbar für ein Zusammenleben wird in allen diskutierten Modellen das Erlernen der deutschen Sprache durch die Ausländer und Migranten gesehen. Nur wenn man in einer gemeinsamen Sprache kommunizieren kann, ist ein Austausch möglich, kann einer Ausgrenzung und Ghettoisierung entgegengewirkt werden. Hier sind insbesondere Schulen, aber auch Erwachsenenbildungseinrichtungen gefordert, diese müssen jedoch in ihrer Arbeit sowohl finanzielle, personelle als auch konzeptionelle Unterstützung finden, um dieser Aufgabe gerecht werden zu können.


 


Pädagogische Ebene: Schulpädagogische/sozialpädagogische Konzepte

"Am wichtigsten sind Kindergärten, Schulen und Hochschulen. Das sind die Orte an denen sich entscheidet ob Integration in unserem Land gelingt. (...) Im Alltag kann man sich abkapseln, in den eigenen Vierteln und unter sich bleiben. In der Schule kommt man unvermeidlich zusammen. (...) die Schule der Nation ist die Schule. Hier zeigen sich alle Schwierigkeiten, dies das Zusammenleben mit sich bringen kann, oft am deutlichsten." Mit diesen Worten stellte Bundespräsident Johannes Rau in seiner "Berliner Rede" vom 12. Mai 2001 die wichtige Rolle heraus, die Schulen und Lehrpersonal bei einer gelungenen Integration von Migrant/innen in Deutschland haben. Er fordert "Bildungskonzepte, die stärker zur Kenntnis nehmen, dass der Schüler aus einer deutschen Familie mit abendländisch-christlichem Hintergrund nicht mehr überall der Normalfall ist" und die stärker in die pädagogische und dikaktische Aus- und Weiterbildung eingebunden werden müssten. (Die gesamte Rede siehe: M 12.01)

Neben diesen grundsätzlichen Überlegungen zum Beitrag von Schulen für die Integration unterscheidet man in der pädagogischen Arbeit gegen Fremdenfeindlichkeit schulpädagogische und sozialpädagogische Konzepte: Im Hinblick auf die in der Schule dominante Form der Einflussnahme auf fremdenfeindliche Einstellungen unter den Schülern könnte man von einem "aufklärerischen Ansatz mit vorwiegend kognitiver Wissensvermittlung" sprechen (Vgl. F. Marz, "Zum Umgang mit rechtsextremen Orientierungen von Jugendlichen in der Schule. Strategien für die pädagogische Praxis", in: Gegenwartskunde 4/1992, S. 497-508.); vermittelt werden Sachinformationen über die Rolle von Ausländern im Wirtschaftsleben der BRD, ihren Beitrag zum Sozialprodukt und zur Rentenversicherung, die deutsche Migrationsgeschichte etc..

Unbestritten haben solche Konzepte ihren Sinn, allerdings müsste hier auch Platz sein für eine stärkere Reflexion der Normen und Werte (seien sie nun humanistisch-aufklärerisch oder auch eher christlich), die letztlich die Einstellung zu ausländischen Mitbürgern nachhaltig bestimmen. Reine "Sachinformation" auf der Ebene der Faktizität dürfte nur in den seltensten Fällen eine Verhaltensänderung mit sich bringen; sie ist allerdings notwendige Voraussetzung für die eigene Erarbeitung einer differenzierten Meinung zum Thema "Ausländer in Deutschland", die sich auch gegen die Vorurteile der Mehrheit behaupten kann. Notwendig ist also die schulische Einübung der "Kunst" der politischen Urteilsbildung; ein im gegenwärtigen Schulunterricht wohl oft sträflich vernachlässigter Aspekt.

Die Fähigkeit der politischen Urteilsbildung ist auch im Hinblick auf die Bedeutung der medialen Berichterstattung über Fremde kaum zu unterschätzen: In der Regel verstärkt die Lokalpresse Vorurteile über Ausländer eher als sie abzubauen. In der normalen Berichterstattung über lokale Anlässe (Schützenvereine, Gemeinderatssitzungen etc.) kommen Ausländer nicht vor - dafür stehen sie in Artikeln über Kriminalität im Vordergrund, wo oft völlig unnötig die Nationalität des Täters miterwähnt wird. Hier gilt es, die Schüler auch gegen die Medienmacht zu eigener Urteilsbildung mit Hilfe der zugänglichen Quellen anzuregen.

Auseinandersetzung mit konkreten Fällen

Eine besondere, zwischen "Faktizität" und "Normativität" vermittelnde Funktion kommt sicherlich dem schulischen Literaturunterricht zu: An konkreten und anschaulichen Fällen kann der Schüler Urteilsbildung einüben; dass es dabei über die rein kognitiven Lernprozesse hinaus, noch zu einer emotionalen Auseinandersetzung mit den beschriebenen Schicksalen kommt, ist sicherlich kein Schaden, sondern verstärkt den Lerneffekt. Bücher wie etwa "Wolfslämmer" von Heinz Knappe, in dem die problematische Liebesgeschichte eines Deutschen zu einer Türkin erzählt wird (oder der Film "Yasemin" von Hark Bohm mit einem ähnlichen Thema) sind in dieser Weise produktiv im Unterricht einsetzbar. Besondere Bedeutung im schulischen Unterricht haben auch "erlebnisorientierte Ansätze mit affektiver Akzentuierung": Was in den informatorisch-aufklärerischen Unterrichtseinheiten vorwiegend kognitiv vermittelt wurde, wird affektiv-emotional untermauert.

Idealerweise folgt beispielsweise einer Unterrichtsreihe über den Holocaust ein Besuch in einer KZ-Gedenkstätte. Gerade im Bereich der politischen Bildung ist es entscheidend, die Schüler über die rein kognitive Rezeption von staats- und institutionenkundlichem Wissen hinaus zu einer aktiv-kritischen Auseinandersetzung mit ihrer alltäglichen Lebenswelt zu führen. Ein Politikunterricht, der mit abstrakten Ordnungen und der Kenntnis von politischen Systemen beginnt, verfälscht die politische Welt, die er erklären will. Notwendig ist vielmehr der Ausgang von den Aporien oder Verlegenheiten, der Jugendlichen, die immer schon "politisch" sind: Berufswahl, eigener und fremder Reichtum, Gemeinschaft, Autorität - aber beispielsweise auch das alltägliche Zusammenleben mit ausländischen Mitbürgern. Unüberschaubare anonyme gesellschaftliche Institutionen und Prozesse werden auf diese Art jedenfalls zu einem gewissen Teil für den Schüler begreifbar - Distanz wird beseitigt oder zumindest verringert. Als dritter Aspekt einer schulischen Strategie gegen Fremdenfeindlichkeit ist die "interkulturelle Erziehung" zu benennen, die angesichts der fremdenfeindlichen Gewalt in der Gesellschaft einen stärkeren Platz in den Lehrplänen der Schulen erhalten müßte.

Als grundsätzliche Ziele einer solchen interkulturellen Erziehung können die Erziehung zur Empathie, zur Solidarität, zum kulturellen Respekt, gegen Rasssimus und Nationalismus gelten, aber auch das konkrete "Kennenlernen" ausländischer Mitbürger in ihrem Alltagsleben. Hier liegt eine besondere Chance; nach der Studie von Silbermann/Hüsers sinkt die Affinität zu fremdenfeindlichen Einstellungen mit der Intensität des Kontaktes zu Ausländern.

Wirksamkeit pädagogischer Strategien

Einige Anmerkungen zur Frage der generellen Wirksamkeit der hier erörterten pädagogischen Strategien scheinen angebracht. Heitmeyer hat wiederholt angemerkt, dass "Belehrung" gegen "Erfahrung" letztlich nicht ankomme:

"In der Rangliste der beliebtesten "Überzeugungsargumente" sollen die Fremdenfeinde dann mit rationaler Argumentation, vorzugsweise mit der "Nutzen"-Kalkulation traktiert werden. Abgesehen davon, dass es leicht zu einer "Verrechnung" und Vernutzung von Fremden kommen kann, hat der Mechanismus an der entscheidenden Stelle ein Problem, denn es sollen emotionale Problemlagen wie Unbehagen an der eigenen Lebenssituation, Angst, auch Hass einfach in rationale Problemlagen umdefiniert werden." (Wilhelm Heitmeyer, "Wenn Belehrung gegen Erfahrung nicht ankommt", in: Frankfurter Rundschau, 22.10.92.)

Dem ist kaum zu widersprechen, und deshalb kann letztlich nur die Vorgehensweise des Lehrers sinnvoll und wirksam sein, die zielgruppenspezifisch vorgeht. Der Wirkungsraum pädagogischer "Aufklärungsarbeit" ist definitiv eher im "Vorfeld" zu sehen, d.h. bevor fremdenfeindliche Orientierungsmuster sich verfestigen und der Jugendliche gesellschaftlich "aussteigt" und bestehende Bindungen, wie Arbeit, Wohnung, Kontakt zum Elternhaus etc. aufgibt. (In seinem Aufsatz "Erziehung nach Auschwitz" hält Thedor W. Adorno fest: "Wenn rationale Aufklärung auch - wie die Psychologie genau weiß - nicht geradeswegs die unbewussten Mechanismen auflöst, so kräftigt sie wenigstens im Vorbewusstsein gewisse Gegeninstanzen und hilft ein Klima bereiten, das dem Äußersten ungünstig ist." (in: Erziehung zur Mündigkeit, hrsg. von G. Kadelbach, Frankfurt a.M. 1970, S. 92ff.))

Aber auch hier wird die schulpädagische Arbeit auf der kognitiven Ebene Hand in Hand gehen müssen mit dem Angebot sozialer Beratung an den entscheidenden "Weichenstellungen" des Lebens (z.B. Berufswahl) und mit einer Unterrichtsorganisation, die dem Schüler hilft, sich seine unmittelbare, immer schon höchst komplexe Lebenswelt zu erschließen. Auch für die schulische Arbeit gegen Fremdenfeindlichkeit sind sozialpädagogische Aspekte von Bedeutung; individuelle, schülerorientierte Beratungsarbeit ist unverzichtbar. Anregungen hierzu können die Forschungen Krafelds liefern: Auf der Grundlage von Wilhelm Heitmeyers sozialisationstheoretischem Erklärungsansatz hat der Sozialpädagoge Franz-Josef Krafeld ein Modell der "akzeptierenden Jugendarbeit mit rechten Cliquen" entwickelt, in deren "Weltbild" die Ausländerfeindlichkeit einen festen Stellenwert hat. (Vgl. Franz Josef Krafeld, Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen, Bremen 1992.) Krafeld fordert nicht etwa, wie der Titel des Projekts vielleicht nahelegt, die vorbehaltlose Akzeptierung der rechtsextremen Orientierungen des Jugendlichen durch den Sozialarbeiter als vielmehr den Ausgang jeder pädagogischen Strategie von dem Jugendlichen mit seinen (gesellschaftlich verursachten) Problemen. Kern der Überlegungen, so Krafeld provokativ, dürfe nicht das Problem sein, das der Jugendliche "macht", sondern das, welches er "hat". Nötig sei deshalb vor allem eine lebensweltorientierte, infrastrukturelle Arbeit des Sozialpädagogen, die darauf zielt, den Jugendlichen Perspektiven zu eröffnen (Arbeit, Wohnung etc.) Bestehende Cliquen (auch Skin-Gruppen etc.) müssten zunächst akzeptiert, ja durch das Angebot "sozialer Räume" noch unterstützt werden, damit "Beziehungsarbeit" möglich werde, die den Jugendlichen aus der sozialisationstheoretisch bedingten "Fallgrube" hinausführen könne. Obwohl Krafelds Ansatz in erster Linie auf rechte Jugendgruppen zielt, die über die gesellschaftlichen Instanzen kaum oder gar nicht mehr zu erreichen sind, können die Grundgedanken der "akzeptierenden Jugendarbeit" auch sinnvoll in die schulische Arbeit des Lehrers integriert werden, wenn der Lehrer bereit ist, die notwendigen sozialpädagogischen Fähigkeiten zu entwickeln.

Notwendig ist daher die Entwicklung einer gesellschaftlichen "Gesamtstrategie", deren Richtung Klaus Hurrelmann angedeutet hat. Hurrelmann plädiert für die Einrichtung eines "Unterstützungsnetzwerks", das sich aus formellen (Staat, Verbände, Kirche - also Beratungsdienste von Arbeitsämtern, Schulpsychologische Beratungsstellen, Bildungsberatung, Sorgentelefone etc.) und informellen Unterstützungssystemen (selbstorganisierte Jugendgruppen, Peer-Groups, Freundeskreis, Elternhaus) zusammensetzt. (Vgl. K. Hurrelmann/U. Engel, Psychosoziale Belastung im Jugendalter, Berlin, New York 1989, S. 201-220.)

Grundsätzliches Ziel des "social support system", ist die Eröffnung von Entwicklungsmöglichkeiten für den einzelnen Jugendlichen. Nur derjenige, der seine Ohnmacht etwa gegenüber dem Moloch Arbeitsmarkt als total empfindet und über keinerlei Perspektiven verfügt, wird u.U. die Gewalt gegen Fremde als "Ausweg" aus seinem persönlichen Dilemma ansehen. Im Rahmen des Netzwerkes kommt der Schule als dem Teil des Systems, in dem der Jugendliche zwangsläufig einen großen Teil seiner Zeit verbringt, eine besondere Bedeutung zu. Dieser Umstand muss als Chance für die kreative pädagogische Arbeit verstanden werden - eine Chance, die sich nach der Schulentlassung in dieser Form nicht mehr bietet. Gefragt ist hier eine Verbindung von fachpädagogischer mit sozialpädagogischer Kompetenz, die in der Schule der Gegenwart noch eher zur Ausnahme gehört.


 

 

 

 

 
 

www.projekt-wahlen2002.de und www.forschen-mit-grafstat.de sind Projekte
der Bundeszentrale für politische Bildung
www.bpb.de Koordinierungsstelle Medienpädagogik/Fachbereich Multimedia
Projektkoordination: Tilman Ernst und des Teams von
www.pbnetz.de an der Universität Münster
unter der Leitung von Dr. Wolfgang Sander, Andrea Meschede und Ansgar Heskamp.

Bundeszentrale für politische Bildung

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kombiniertes Print- und CD-ROM Produkt mit dem Titel
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ist auch als CD-ROM verfügbar. Best.Nr.: 1.580, EUR1,50
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