Ein gelungener Einstieg ist für die Problemstellung, die Schwerpunktsetzung,
den Verlauf der Unterrichtsreihe, die Motivation und das (Lern-) Ergebnis bei
den Akteuren von großer Bedeutung. Hier werden die Weichen gestellt. Wenn der
Einstieg gut gelingt, werden die Probleme, die es im Laufe der Unterrichtsreihe
zu bearbeiten gilt, adressatenorientiert erarbeitet. Je schwieriger und je anspruchsvoller
das Thema ist, desto mehr lohnt es sich, in die Gestaltung der Einstiegsphase
zu investieren. Am Beispiel dieser Unterrichtsreihe lässt sich dieser Zusammenhang
gut zeigen, indem auf die unterschiedlichen Möglichkeiten eines indirekten und
eines gezielten Einstiegs hingewiesen wird.
Die für die Unterrichtsreihe zentralen Aspekte werden durch einen gut vorbereiteten
Impuls gezielt angesprochen. Der Aufforderungscharakter an die Schüler tritt
deutlich zutage, sie werden zu selbständigem, entdeckendem Lernen und Handeln
motiviert. Hier sollte anschaulich und exemplarisch herausgearbeitet werden,
dass es sich beim Thema „Fremdenfeindlichkeit' um ein wichtiges Problem handelt,
das es zu bearbeiten lohnt.
In der politischen Bildung geschieht dies häufig dadurch, dass anhand eines
provozierenden Vorganges eine bestehende Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit
aufgezeigt wird. Die Fragen der Jugendlichen gehen dann über Oberflächenphänomene
hinaus und tangieren auch die Hintergründe. Insbesondere kann so der Wunsch
geweckt werden, sich selber in ähnlichen Situationen aktiv und verantwortlich
zu verhalten (Was würdest du tun?), kontroverse Positionen sachgerecht zu diskutieren
sowie Entscheidungen und Urteile zu konkreten Fragen und Problemen zu entwickeln.
Die Lehrperson stellt das Thema 'Fremdenfeindlichkeit - bei uns nicht?!' z.B.
durch den Bezug auf ein aktuelles Ereignis, eine humorvolle Kurzgeschichte (vgl.
M 00.02) oder durch eine Karikatur (vgl. M
00.03) vor und erfragt, welche Einstellungen gegenüber Ausländern hinter
dem Verhalten der Figuren vermutet werden. Da diese Figuren in M 00.02 und M
00.03 zwar deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie Vorurteile gegenüber Ausländern
hegen, aber nicht unbedingt verbalisieren, um welche genau es sich handelt,
wird hier scheinbar an die Phantasie der SchülerInnen appelliert. Unter den
zu erwartenden Schülerantworten bezüglich der Frage, welche Vorurteile gegenüber
Ausländern 'in der Gesellschaft' existieren, werden ganz sicher auch Einstellungen
sein, die der jeweilige Schüler bzw. die jeweilige Schülerin selbst vertritt,
in der Lerngruppe aber nicht als eigene Meinung äußern würde, da ihm bzw. ihr
bewusst ist, damit auf Widerstand stoßen zu können. Insofern bietet diese offene
Frage den SchülerInnen die Möglichkeit, ihre eigenen Einstellungen gegenüber
Ausländern indirekt zu äußern und sich somit in die Diskussion und auch in die
Planung der Unterrichtsreihe einzubringen.
Nachdem die Lehrperson die 'Vorurteile gegenüber Ausländern in der Gesellschaft'
an der Tafel gesammelt hat, sollten die SchülerInnen ihre Meinungen dazu äußern.
Je kontroverser die Jugendlichen selbst diese 'typischen' Einstellungen beurteilen,
desto stärker tritt die Aufgabe in den Vordergrund, ein sachlich haltbares und
verantwortliches Urteil zu erarbeiten. Wenn sich jedoch zu früh eine einheitliche
Meinung breit macht, wird es zwar schwieriger sein, den Aufgabencharakter herauszustellen,
da jedoch leider auf eine häufig unbewusste, 'versteckte Fremdenfeindlichkeit'
in den SchülerInnen vertraut werden kann, dürfte es dennoch gelingen, das Interesse
der Jugendlichen an einer Überprüfung der Vorurteile zu gewinnen. Die Diskussion
über eine provokante These kann dabei hilfreich sein.
Im Verlauf des Unterrichtsgespräches über die Auffassungen über Ausländer in
der Gesellschaft und über die Haltbarkeit dieser Auffassungen kristallisiert
sich die Leitfrage zur Unterrichtsreihe heraus: „Inwieweit werden die Vorurteile
gegenüber Ausländer auch bei 'uns' (also im Wohn- bzw. Schulort oder der Schule
selbst) geteilt?'
Der Vorteil dieses Einstiegs liegt in der leichten Handhabbarkeit: Die Lehrperson
kann an die diffusen Vermutungen und Vorstellungen anknüpfen, das Vorwissen
der Jugendlichen zu diesem Thema aktivieren und ohne großen technischen Aufwand
ein breites Spektrum an möglichen Themen abstecken.
Der Nachteil dieses Standardeinstieges liegt in dem eher diffusen Impuls und
in den eher geringen Verknüpfungsmöglichkeiten. Diese Variante legt eine sehr
große Palette von Problemen offen und führt daher zu vielen Fragen, die in der
vorliegenden Unterrichtsreihe und in der vorhandenen Zeit nicht bearbeitet werden
können. Es benötigt einen verhältnismäßig größeren Einsatz der Lehrperson um
von diesem Einstieg her im Planungsgespräch zwei zentrale Fragen herausarbeiten
lassen:
- In welchem Maße treffen die vermuteten Einstellungen/Vorurteile gegenüber
Ausländern zu?
- Wie verbreitet sind die hier genannten Einstellungen/Vorurteile gegenüber
Ausländern?
Schwierig wird es von diesem Einstieg her sein, auch auf Erklärungsansätze
von Fremdenfeindlichkeit einzugehen, eine fundierte eigene Stellungnahme zu
erarbeiten oder gar Möglichkeiten zu eruieren, wie man gegen Ausländerfeindlichkeit
vorgehen kann/soll.
Der Videofilm 'Schwarzfahrer' (12 Minuten)
ist als Einstieg in diese Unterrichtsreihe für Jugendliche besonders geeignet.
- Der Film ist kurz und zeigt eine überschaubare Interaktion zwischen zwei
Personen in einer öffentlichen Situation (Straßenbahn).
- Ein dunkelhäutiger Afrikaner steigt in die Straßenbahn und setzt sich auf den freien Sitzplatz neben eine alte Dame. Diese rückt demonstrativ von ihm und beginnt,
in geradezu beleidigender Weise Vorurteile gegen Ausländer laut vor sich
hin zu sprechen. Der betroffene Sitznachbar übt sich in Geduld, die anderen
Mitfahrer sind mit sich selbst beschäftigt. Eine überraschende Fahrkartenkontrolle
veranlasst den Farbigen, sich in einer Blitzaktion an der Dame zu 'rächen',
indem er ihr die Fahrkarte aus der Hand nimmt und diese aufisst. Die wahrheitsgemäße
Entschuldigung der Dame gegenüber dem Kontrolleur, der Farbige habe die
Fahrkarte aufgefressen, klingt so absurd, dass der Kontrolleur die hellhäutige
Dame wegen Schwarzfahrens mitnimmt.
Diese Geschichte wird mit viel Witz präsentiert; sie regt zum Nachdenken an,
z.B. über die Dame, den Farbigen und die Mitfahrer. Die Diskussionsbeiträge
der Schüler, die den preisgekrönten Film ausgesprochen anregend fanden, gehen
zu Beginn - so die ersten Erfahrungen - nicht nur auf die Interaktionsbeziehunge
und insbesondere auf die Verhaltensweise des Farbigen ein, sondern wandten sich
mit geringem Impuls des Lehrers auch systematischen Fragen zu, die für die Fortführung
der Unterrichtsreihe von Bedeutung sind:
- Welche Vorurteile werden gegenüber den Ausländern hier artikuliert? Stimmen
diese Vorurteile, stimmen sie nicht?
Hier sollte eine kontrovers einsetzende Diskussion unter den Schülern nicht
unterdrückt, sondern eher gefördert werden, weil dadurch die Notwendigkeit,
die Einstellung empirisch zu überprüfen, deutlich wird. Auch eine andere Frage
wird direkt angesprochen:
- Wie weit sind die hier erkennbaren Einstellungen in der Bevölkerung verbreitet?
Ist dies nicht nur ein Einzelfall oder sind diese Einstellungen häufig anzutreffen?
Wenn diese beiden Schwerpunkte hinreichend klar geworden sind, lässt sich die
Methodenfrage anschließen, wie diese Probleme untersucht werden können. In diesem
Kontext können auch die beiden anderen Schwerpunkte angesprochen werden:
- Wie sind diese Einstellungen zu erklären?
- Wie sieht die aktuelle Diskussion über Fremdenfeindlichkeit in Deutschland
aus?
- Was lässt sich tun, um diese Einstellungen und Verhaltensweisen zu überwinden?
Auch wenn in der nachfolgenden Unterrichtsreihe vermutlich nicht jede der fünf
Fragen mit gleicher Intensität bearbeitet und beantwortet werden kann (z.B.
aus Zeitmangel), so bietet jedoch diese Einstiegsgeschichte die ideale Möglichkeit,
die im Unterricht erzielten Ergebnisse immer wieder auf den allen präsenten
vorliegenden Fall und die sich daran anschließende Diskussion im Unterricht
zu beziehen.
Das Charakteristikum sozialer Wirklichkeit (im Gegensatz zur naturwissenschaftlichen
Wirklichkeitsvorstellung) wird am Beispiel von Einstellungen und Vorurteilen
der Menschen besonders deutlich. Auch wenn der empirisch überprüfbare Teil von
Einstellungen falsch ist, können Menschen an ihnen festhalten. Soziale Wirklichkeit
wird gemacht, definiert - eine Erkenntnis, auf die innerhalb der Soziologie
besonders der symbolische Interaktionismus hingewiesen hat. Ein entsprechendes
Theorem, das Thomas - Theorem, lautet:
'Wenn die Menschen Situationen als real definieren, sind sie in ihren
Konsequenzen real!'
(Vgl. Merton, Robert K.: Die Eigendynamik gesellschaftlicher Voraussagen. In:
E. Topitsch (Hrsg.): Logik der Sozialwissenschaft. 3. Auflage. Köln 1966. S.
145f. Ausführlich hierzu: Ost, P. , W. Sander und J. Sayer: Der Aufbau unserer
Alltagswelt. Stuttgart 1977.)
Auch im Verlauf dieses Unterrichtsgespräches über die Auffassungen über Ausländer
in der Gesellschaft und über die Haltbarkeit dieser Auffassungen führt die Diskussion
zur Leitfrage der Unterrichtsreihe: „Inwieweit werden die Vorurteile gegenüber
Ausländer auch bei 'uns' (also im Wohn- bzw. Schulort oder der Schule selbst)
geteilt?'
An dieser Stelle im Planungsgespräch lässt sich den Jugendlichen am besten die
Notwendigkeit einer eigenen Befragung plausibel machen, die die soeben erarbeitete
Leitfrage mit einer eigenen Erhebung zuverlässiger Daten beantworten kann.
Zur Durchführung einer eigenen Untersuchung siehe
Baustein 3: Eigene Befragung zu Fremdenfeindlichkeit
Es empfiehlt sich, am Ende der Planungsphase ein Planungspapier vorzustellen,
das die in der einführenden Diskussion aufgeworfenen Fragen der SchülerInnen
festhält und darlegt, wann und in welchem Kontext sie in der Unterrichtsreihe
zur Beantwortung geführt werden sollen.