Weil jüngere medienwissenschaftliche Publikationen sich hauptsächlich mit den
elektronischen beziehungsweise den sogenannten Neuen Medien beschäftigen und
damit weniger über Printmedien berichten, könnte der Eindruck erweckt werden,
die Tageszeitung habe an Bedeutung verloren. Tatsächlich muss die Medienwissenschaft
angesichts des technischen Fortschritts und der Entwicklung immer neuer Medien
- wie Lokalfernsehen, Internet und Video on demand - ihre Aufmerksamkeit auf
nunmehr neue Bereiche lenken. Sie gleicht damit einer Mutter, die sich nicht
mehr ‚nur‘ um das älteste Kind zu kümmern hat, sondern vielleicht auch um drei
oder vier nachgeborene.
Und so scheint es sich auch mit der Tageszeitung zu verhalten. Sie steht als
ältestes Massenmedium zwar nicht mehr im Mittelpunkt aktueller Medienforschung,
besitzt wohl aber noch eine herausragende Stellung in der Medienlandschaft.
So stellte sich beispielsweise heraus, dass das Interesse der Zeitungsleser am
Leitartikel mit der Ausbreitung des Fernsehens zunahm. Das Fernsehen führte
also nicht zu einer nachlässigeren Zeitungsrezeption. Vielmehr stärkte es das
allgemeine Interesse an Politik und damit auch das Interesse am Politikteil
der Tageszeitung. (Vgl. Noelle-Neumann 1994, S. 290).
Erhebungen des Institutes für Demoskopie Allensbach sehen die Tageszeitung
noch immer im Mittelpunkt des Mediengeschehens: So gaben 1996 gut 60 % (70 %)
der west-(ost-)deutschen Bevölkerung am Tag vor der Erhebung an, eine regionale
Abonnementzeitung gelesen zu haben. Für die Gruppe der 14- bis 29jährigen liegen
die Werte bei 45 % West und 50 % Ost. Dabei ist eine stetige, aber leichte Abnahme
der Werte in den letzten 20 Jahren nicht zu übersehen. (Quelle: Korrespondenz
mit Allensbacher Archiv, Bezug: AWA 1977 – 1996). Gleichwohl hat sich das Zeitungslesen
als Freizeitbeschäftigung in der Bundesrepublik seit jeher fest etabliert. So
deklarierten 90 % aller über 16jährigen Bundesbürger im Jahre 1987 das Zeitungslesen
als Freizeitbeschäftigung (1967: 81 %), der sie wenigstens einmal pro Woche
nachgehen. Mit diesem Wert liegt die Tageszeitung zwar hinter dem Fernsehen
(94 %) aber noch vor den Angaben für Radio hören (82 %), Illustrierte oder Zeitschrift
(72 %) beziehungsweise ein Buch zur Unterhaltung (47 %) oder zur Weiterbildung
(30 %) zu lesen. Darüber hinaus ist bekannt, dass von den 20- bis 29jährigen
Bundesbürgern in den alten Bundesländern 1993 noch mehr als die Hälfte täglich
eine regionale Abonnementzeitung lasen. (Vgl. Noelle-Neumann 1994, S. 288 ff.;
aktuellere Daten stellte das Allensbacher Archiv trotz zweimaliger Nachfrage
nicht zur Verfügung.).
Einer Umfrage von Media Perspektiven zufolge gaben im Jahr 2000 79% der befragten
Jugendlichen zwischen 18 und 19 Jahren an, mehrmals pro Woche Zeitung zu lesen.
Damit ist Zeitung lesen hinter Musikkassetten hören (92%) , fernsehen (89%)
und Radio hören (86%) die vierthäufigste Art der Mediennutzung. Im Jahr 2000
gaben von allen Befragten Personen zwischen 14 und 60 Jahren 84%, mehrmals pro
Woche Zeitung zu lesen. Damit rangiert Zeitung lesen nach fernsehen (90%) an
Platz zwei der Mediennutzung und Freizeitbeschäftigung im Jahr 2000.(Vgl. Media
Perspektiven 11/2000).
Natürlich dürfen diese Werte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die einzelnen
Medien doch unterschiedlich intensiv genutzt wurden. So wurden über weite Jahre
für den Fernsehkonsum wöchentlich ca. 12 Stunden verwandt, für das Zeitungslesen
hingegen nur ca. 3x Stunden. Damit rangiert die Zeitung zwar hinter den elektronischen
Medien, deutlich jedoch vor dem Konsum von Illustrierten oder Zeitschriften
oder Büchern zur Unterhaltung beziehungsweise zur Weiterbildung. Diese Verteilung
ist alles andere als neu. Die Relation zwischen Fernsehkonsum und Zeitungslektüre
ist fast stabil: Generell verwendet der Deutsche dreimal mehr Zeit aufs Fernsehen
als aufs Zeitungslesen. (Vgl. ebd., S. 288. Über die Wirkung der einzelnen Medien
auf die Rezipienten lässt sich wenig sagen. Die Medienwirkungsforschung steckt
noch in den Anfängen).