Zeitungsanalyse
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
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 Das Verhältnis zwischen Politik und Tageszeitung
 

Die Sichtweise der Politik

"Politiker wollen mit ihren Aussagen in die Öffentlichkeit, weil sie diese Öffentlichkeit brauchen, um Unterstützung für ihre Ziele zu finden."
(Huber, Erwin o.J., S. 35).

Dazu benötigen sie die Medien. Für Politiker einer demokratischen Gesellschaftsordnung ist es überlebenswichtig, etwas über die Akzeptanz ihrer Entscheidungen und die Reaktion der breiten Öffentlichkeit zu erfahren und eine gute Presse zu haben. Die Lektüre von Pressespiegeln gehört daher zur alltäglichen Pflichtübung der Spitzen in Politik und Verwaltung - auf lokaler wie auf überregionaler Ebene. Darüber hinaus greifen Tageszeitungen Themen schneller auf als die Verwaltung sie aufbereitet und ‚nach oben‘ liefert. So dient das Printmedium Tageszeitung auch als Lieferant für Hintergrund- und Detailinformationen, die damit nicht selten auch mögliche Themen für die Politik vorschlagen beziehungsweise direkt auf die Agenda setzen. Nicht zuletzt dient die Tageszeitung dem Politiker als Sprach- und Hörrohr für die politische Diskussion nicht nur mit den Wählern, sondern auch mit anderen Politikern.

Offensichtlich ist die Bedeutung der Lektüre von Tageszeitungen und der Umgang mit der Tageszeitung für Politiker derart wichtig, dass man unterstellen kann: "Politiker sind berufsmäßige Zeitungsleser" (Ebd., S. 31). Doch unterscheidet sich deren professionalisierte Zeitungslektüre auch in einigen Punkten von der des Durchschnittslesers. Politiker lesen mehrere Zeitungen beziehungsweise lassen lesen und diskutieren in Behörden und Ministerien die Resonanz in der Presse und daraus resultierende Aufgaben für die Öffentlichkeitsarbeit.


Auf lokaler Ebene

Das soeben skizzierte Verhältnis des Politikers zur Tageszeitung konkretisiert sich vor allem auf der Lokalebene. Hier steht dem einen Politiker nicht mehr nur das Medium Tageszeitung als abstrakte Größe, sondern konkrete Personen der einen und gegebenenfalls auch anderen Redaktion gegenüber. Noch immer ist die Berichterstattung ein Barometer für die Stimmung in der Stadt, "der Lokalteil der Tageszeitung quasi ein Spiegel (...), in den der Kommunalpolitiker täglich blickt" (Deimer, Josef o. J. , S. 72) . Dabei ist dem Politiker bewusst, dass gerade auf der Gemeindeebene "die Lokalzeitung und die Kommunalpolitik in einer Art Symbiose verbunden"sind (Vgl. ebd., S. 73) : Sowohl Rathaus als auch Redaktion möchten die Bürger in ihrem Sinne informiert wissen.

Und auch der Bürger möchte informiert werden – gerade über das Geschehen vor Ort. Eine Trendanalyse des Institutes für Demoskopie Allensbach bestätigt, dass zwischen 1972 und 1991 etwa 80 % der befragten Bundesbürger über 16 Jahre angaben, sie würden im allgemeinen lokale Berichte aus ihrem Ort und der Umgebung immer lesen (Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth 1994, S. 289). Politische Meldungen und Berichte aus Deutschland wurden danach von nicht einmal 2/3 der Befragten immer gelesen. (Selbst Anzeigen wurden im langjährigen Mittel häufiger immer gelesen als politische Meldungen aus dem Ausland.) Die Trendanalyse von Rüdiger Schulz bestätigt dieses Bild bis ins Jahr 1997. Zwischen März 1991 und August 1997 war sogar ein ansteigendes Leserinteresse an lokalen Berichten zu konstatieren, während es seit 1991 einen Rückgang des Leserinteresses an der Innen- und Außenpolitik gegeben hat.(Vgl. Rüdiger Schulz in Jürgen Wilke (Hg.): Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Weimar/Wien 1999.)

So ist es nicht verwunderlich, dass der Lokalteil einer Tageszeitung gemeinhin als "das ureigenste Feld der Tageszeitung" gilt, das lokalem Rundfunk und Fernsehen trotz deren aktuellerer Berichterstattung noch immer gewachsen ist, weil die elektronischen Medien nicht über einen derartig großes kommunales Informationsangebot verfügen wie die Tageszeitung (Dovifat, Emil: 1976, S. 59). Genau besehen ist deren lokaler Teil eine Zeitung im Kleinen, weil alle Rubriken in ihm vertreten sind. Und gerade hier scheint die Erörterung politischer Fragen sinnvoll, "wo die Zahl der mittelbar Beteiligten, der urteilsfähigen Interessenten im allgemeinen fast mit der der Leserschaft übereinstimmt." (Dovifat, Emil: 1976, S. 69)

Schon immer hatten die Tageszeitungen in Deutschland auch diese lokalpolitische Bedeutung. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich die Tageszeitung etabliert; die sogenannte moderne Presse mit Zeitungen hohen Niveaus und eigenen Korrespondenten war entstanden. Die Anzahl der Tageszeitungen stieg kontinuierlich an. Trotz zweier Einbrüche in der zahlenmäßigen Entwicklung der Titel, bedingt durch den Ersten Weltkrieg und danach durch die Wirtschaftskrise, wurde gegen Ende der Weimarer Republik ein Maximum von knapp 4.300 Tageszeitungen erreicht. Derzeit (1993) erscheinen in Deutschland bei knapp 400 Zeitungsverlagen 1.600 Tageszeitungen, von denen aber nicht einmal mehr zehn Prozent einen eigenen Mantel produzieren. Die Gesamtauflage beträgt mehr als 25 Millionen Exemplare (Vgl. Wilke, Jürgen 1994, S. 382 u. 386). Fast ausnahmslos handelt es sich bei den deutschen Tageszeitungen um Morgenzeitungen mit Lokalbezug. Die lokale oder regionale Bindung der meisten Tageszeitungen erklärt die Titelvielfalt, die sich trotz auffälliger Konzentration beziehungsweise Kooperation im redaktionellen Bereich halten konnte. Nicht selten haben die Regional- und Lokalzeitungen eine Monopolstellung in ihrem Verbreitungsgebiet, so dass man von Ein-Zeitungs-Städten oder –Kreisen spricht. Gerade in solchen Gebieten ist die Zusammenarbeit zwischen Presse und Politik nicht unbedingt problemlos.

Das gilt besonders dann, wenn die Tageszeitung offenkundig in Distanz zum Politikbereich insgesamt oder zu bestimmten Parteien (Politikern) steht. Die Parteien wissen um dieses Problem der unterschiedlichen Behandlung in der Presse. So rät der SPD-Bundesvorstand seiner Basis in einer Schrift für den Wahlkampf 1990: "Die eigene Pressearbeit optimieren. Besonders spannende Aufhänger suchen. Publikumswirksame Ereignisse schaffen – dann werden die Bürger (...) fragen, warum diese Ereignisse in der lokalen Presse niemals stattfinden.(...) Das persönliche Gespräch mit Redakteuren und dem Redaktionsleiter (...) und eine Diskussion über die generelle Informationspflicht der Presse (...) möglicherweise ein sachlicher (!) Brief an die entsprechende Chefredaktion" könnten einen Boykott beenden helfen Andererseits wird empfohlen, Flugblätter oder eine eigene Zeitung einzusetzen. (Wahlkampf `90. Hrsg. vom SPD-Parteivorstand. Bonn, o. J., S. 78 )

Wie wichtig lokale Printmedien für die Politik sind, wird u.a. daraus ersichtlich, dass es derzeit (1993) immer noch rund 3.500 sozialdemokratische Stadtteil-, Orts- und Betriebszeitungen mit Auflagen zwischen 500 bis 50.000 Exemplaren gibt, die eine Möglichkeit darstellen, Bürger vor Ort direkt zu erreichen. (Vgl. Zeitung machen. Anstoss. Handbuch für die Arbeit vor Ort. Hrsg. vom Vorstand der SPD, Referat Öffentlichkeitsarbeit. Bonn, o. J., S. 5) Daneben bemüht sich die Bundes-SPD, ihre Basis mit Handbüchern für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu versorgen. (Vgl. Öffentlichkeitsarbeit. Anstoss. Handbuch für die Arbeit vor Ort. Hrsg. vom Vorstand der SPD, Referat Öffentlichkeitsarbeit. Bonn, o. J.; Zeitung machen. Anstoss. Handbuch für die Arbeit vor Ort. Hrsg. vom Vorstand der SPD, Referat Öffentlichkeitsarbeit. Bonn, o. J.)

Darin wird erläutert, welche Medien angesprochen werden können – hauptsächlich wird von Lokalzeitungen ausgegangen - wie die Pressearbeit auszusehen hat und organisiert werden kann und dass die Saure-Gurken-Zeit gute Chancen für Veröffentlichungen bietet. Darüber hinaus erfährt das für Pressearbeit vor Ort zuständige Mitglied wie wichtig der persönliche Kontakt zu den Lokaljournalisten ist, welche Grundregeln des Schreibens zu beachten sind und welche Formen der Pressearbeit es gibt. Dem Wahlkampf ist nur ein einziger kurzer Absatz gewidmet, er sei aus dieser Sicht nichts anderes als intensivierte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.


Lokalzeitungen: Spielregeln in Wahlkampfzeiten

Man kann sich vorstellen, dass die Lokalzeitungen gerade in Wahlkampfzeiten viel mit den Parteienvertretern zu tun haben, weil sie wissen, dass dieses Printmedium die Wähler hervorragend erreicht. Man kann sich denken, dass die Nachrichtenselektion der Redaktionen zu diesem Zeitpunkt besonders kritisch beäugt wird. Grund genug für einige Tageszeitungen, sich eigene Verhaltensrichtlinien für die Veröffentlichung von Informationen über Parteien zu geben, diese Spielregeln der Öffentlichkeit vorzustellen und den Politikern als Kontingentierung (Einschränkung) zu erklären. (Vgl. Bauer, Michael 1989). Dies geschieht teilweise in kurzen Handlungsanweisungen, in denen Politikern die Möglichkeiten zu eigener Selbstdarstellung erläutert werden, wobei auf weitere redaktionelle Einschränkungen aber nicht eingegangen wird, die Rede ist, bis hin zu mehrseitigen detaillierten Richtlinien, die genau zwischen den verschiedenen Veranstaltungen der Parteien differenzieren und individuelle Regelungen treffen, nach denen beispielsweise pro Kandidat über eine Pressekonferenz berichtet wird, Podiumsdiskussionen aber aus der Berichterstattung herausfallen.

Im Grunde geht es den Redaktionen trotz aller politischer Einfärbungen darum, den Eindruck zu unterstreichen, in ihrer Zeitung werde eine ausgewogene und transparente Wahlkampfberichterstattung gewährleistet. Häufig ist damit eine Kontingentierung durch Platzzuweisung verbunden. So werden in manchen Zeitungen den Parteien beziehungsweise ihren Vertretern bestimmte Räume für die Selbstdarstellung angeboten. Teilweise reduziert sich dieser Rahmen, wenn die Lokalredaktion aufgefordert wird, über bestimmte Wahlveranstaltungen selbst zu berichten. Daneben werden beispielsweise Regeln für die Nachrichtenauswahl aufgestellt. So werden kleine und mittlere Wahlveranstaltungen außerhalb des Verbreitungsgebietes der Zeitung von der Berichterstattung ausgeschlossen, wenn nicht lokale Interessen dies doch gebieten würden.

Außerdem wird häufig eine Sperrzeit installiert. Diese gilt in der Regel entweder in der heißen Phase des Wahlkampfes oder auch nur für die Wochenendausgabe am Wahlsonntag. Mal werden in dieser Zeit Stellungnahmen der Parteien nicht abgedruckt, mal auch Leserbriefe. Leserbriefe werden teilweise auch der Kontingentierung unterzogen. So dürfen Politiker dort teilweise keine Statements plazieren, oder es wird die Anzahl der abgedruckten Leserbriefe für alle Bürger auf maximal drei pro Person beschränkt.

Diese recht unterschiedlichen Anweisungen für die Redaktion sind den Parteien häufig bekannt, so können sie sich darauf einstellen. Auch der Inhalt der Absprachen unterscheidet sich, er verläuft teilweise sogar konträr. So will die eine Tageszeitung Redaktionsbesuche durch Politiker verhindern, während die andere diese begrüßt beziehungsweise sogar Räume für die Pressekonferenz der Kandidaten zur Verfügung stellt.

Hierbei wird deutlich, wie sehr Presse und Politik eine Symbiose eingegangen sind. Weitere kleine Details verdeutlichen diese Beobachtung: So legt eine Redaktion allen Wahl-Kandidaten die gleichen Fragen vor und bittet um deren Beantwortung, wobei eine Frage von den Bewerbern selbst formuliert werden darf. Daneben erwarten einige Redaktionen, dass die Kandidaten zur Vorstellung ihrer Ideen nicht nur den Text selbst verfassen, sondern auch noch eigene Portraits mitbringen. Die Redaktion lässt sich dort genauso entlasten wie bei der Koordination der Berichterstattung, wenn sie den Parteien empfiehlt, eigene Berichte und Termine nur nach vorheriger interner Abstimmung an die Redaktion weiterzuleiten, damit die eigenen Kontingente nicht ungewollt falsch oder zu früh ausgeschöpft werden.

So unterschiedlich die Praktiken der einzelnen Redaktionen auch sind, so gemeinsam scheint dieses Vorgehen während der kommunikationsintensiven Zeit des Wahlkampfes zu sein: Es kann "anhand der Ergebnisse einer schriftlichen Befragung baden-württembergischer Lokalredaktionen gezeigt werden, dass es sich bei diesem Verhalten um kein außergewöhnliches, sondern um ein in Wahlkämpfen gewöhnliches und von annähernd allen Lokalredaktionen so praktiziertes Verhalten handelt", nach dem während eines Wahlkampfes besondere Absprachen bezüglich der Berichterstattung getroffen werden (Bauer, Michael 1989, S. 12.).

Man kann also zusammenfassend feststellen, dass die örtliche Tagespresse durchgängig darum bemüht ist, dem Anspruch ihrer Titelköpfe gerecht zu werden, unabhängig und überparteilich zu sein. Eine gezielte oder absichtliche Begünstigung einer Partei wird in der heutigen Zeit vermutlich die Ausnahme sein. Trotzdem lässt sich vermuten, dass die eine oder andere Zeitung - ohne dies planmäßig zu betreiben - die eine oder andere Partei indirekt begünstigt, z.B. durch den ihr zur Verfügung gestellten Platz, durch die Plazierung der Berichte über die Partei oder durch die Kombination von Text und Bild. Diese Orientierung an eher formalen Analysegesichtspunkten hat den Vorteil, dass die Erörterung schwieriger inhaltlicher Fragen in deren parteipolitischer Einfärbung nicht zum Gegenstand der Inhaltsanalyse gemacht werden müssen. Mit Hilfe der quantitativen Inhaltsanalyse lassen sich Vermutungen dieser Art systematisch und empirisch überprüfen.

 

 

 

 
 

www.projekt-wahlen2002.de und www.forschen-mit-grafstat.de sind Projekte
der Bundeszentrale für politische Bildung
www.bpb.de Koordinierungsstelle Medienpädagogik/Fachbereich Multimedia
Projektkoordination: Tilman Ernst und des Teams von
www.pbnetz.de an der Universität Münster
unter der Leitung von Dr. Wolfgang Sander, Andrea Meschede und Ansgar Heskamp.

Bundeszentrale für politische Bildung

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