Bevor Überlegungen angestellt werden, wie sich fremdenfeindliches Verhalten
erklären lässt, sollte zunächst klargestellt werden, was überhaupt Fremdenfeindlichkeit
ist. Als Einstieg kann das Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Richard v.
Weizsäcker über 'das Fremde und das Vertraute' (M 06.01)
herangezogen werden, das beim Leser die Fragehaltung entstehen lässt, was überhaupt
'fremd' ist und ob Ausländer zwangsläufig als 'fremd' empfunden werden.
Aus der Erkenntnis, dass nicht alle Ausländer gleichermaßen als fremd empfunden
werden, ergibt sich die Differenzierung der Begriffe 'Fremdenfeindlichkeit'
und 'Ausländerfeindlichkeit', die wiederum nicht gleichbedeutend mit 'Rassismus'
und 'Rechtsextremismus' sind, was durch M 06.02 verdeutlicht
werden soll.
Die moderne Wandersage 'Die geteilte Suppe' (M 06.03)
eröffnet eine andere Perspektive auf den Begriff 'Fremdenfeindlichkeit', indem
sie die Erkenntnis ermöglicht, dass sich Vorurteile Fremden gegenüber nicht
nur in einem 'feindlichen' Verhalten äußern müssen. Außerdem verdeutlicht diese
'Sage der Gegenwart' durch ihre weite Verbreitung, wie realistisch dieses Missverständnis
ist und sie gibt einen Eindruck über die Verbreitung der Vorurteile gegenüber
als fremd empfundenen Ausländern.
Einen lockeren Einstieg in das Thema bietet die satirische Darbietung 'Briefträger'
(M 06.04), die gewissermaßen die 'Sündenbocktheorie'
vorstellt und humorvoll verdeutlicht, wie schnell sich für jede Menschengruppe
- in diesem Falle eine Berufsgruppe - negative (wenngleich haltlose) Zuschreibungen
finden lassen.
In M 06.05 ('Briefträger' als Feindbild)
und M 06.06 (Der Hass auf fremde Götter) werden
Thesen vorgestellt, die versuchen, Ängste und Aggressionen gegenüber Menschen
anderen Glaubens und anderer Kulturen zu erklären. Im Gegensatz zu diesen Erklärungen
individuellen Verhaltens geht W. Heitmeyer in dem Interview (M
06.07) auf soziologische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit ein: Die Industriegellschaften
befinden sich - insbesondere nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Verschwinden
des Ost-West-Konfliktes - in einer Phase nicht zu übersehenden rascher und grundlegender
Wandlungsprozesse, die durch Stichworte wie Globalisierung, Flexibilisierung,
Individiualisierung und die Zunahme von bestehenden Diskrepanzen wie arm - reich,
schnell - langsam, groß - klein, jung - alt, weiß - farbig gekennzeichnet sind.
Neben dem Konzept des symbolischen Interaktionismus, das sich vor allem für
die Analyse und Gestaltung direkter Interaktionsbeziehungen eignet, sollte daher
auch ein gesellschaftstheoretisches Konzept hinzugezogen werden, das die 'Frosch-Perspektive'
überwinden hilft und den Horizont öffnet für weltweite Entwicklungen. Diese
sind ihrerseits wiederum relevant für das eigene Land. Das Individualisierungstheorem,
wie es von W. Heitmeyer im Anschluss an Beck für die theoretische Durchdringung
von Ausländerfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft bei (deutschen und ausländischen)
Jugendlichen fruchtbar gemacht worden ist, bietet sich an.
Zwei Hinweise:
Vielfach wird dieser Ansatz als sozialspychologisches Konzept zur Erklärung
individuellen Verhaltens missverstanden. Es ist aber ein soziologisches Konzept,
das Einstellungen und Verhaltensweisen von Individuen in einen Zusammenhang
von gesellschaftlichen Veränderungen stellt.
Nicht zu übersehen ist allerdings auch, dass dieser Ansatz für Jugendliche
nicht leicht zu verstehen ist, u.a. auch wegen einiger Mängel in der theoretischen
Stringenz, der Abstraktheit der Begrifflichkeit und geringen Anschaulichkeit.
Manche weisen kritisch darauf hin, dieses Konzept könne alles und nichts erklären,
es könne nicht falsch sein. Die weitere Entwicklung wird zeigen, inwieweit es
für Unterrichtszwecke brauchbar ist. Zur Zeit sind kaum theoretische Alternativen
sichtbar, die diesen Anspruch besser einlösen könnten.