Wahlanalyse
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 Sachinformationen
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 


 Entwicklung des deutschen Parteiensystems
 

Entstehung

Das deutsche Parteiensystem entstand in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. (vgl. RITTER 1985, S. 11ff.; LÖSCHE 1993) Seine Anfänge lassen sich aber schon auf die Revolution von 1848/49 zurückführen. Erscheinungsbild und Charakter der entstehenden Parteien wurden geprägt durch die gesellschaftlichen Umbrüche des Industrialisierungsprozesses und durch die politische Gestalt des Reiches.

Die Einführung des allgemeinen (Männer-)Wahlrechts bei gleichzeitiger Beschränkung der parlamentarischen Kontrolle der Regierung und die Vorherrschaft des protestantischen Preußen waren hierbei entscheidend. Weltanschauliche Polarisierung und soziale Interessengegensätze bestimmten die Struktur des Parteiensystems. Dieses gliederte sich (abgesehen von nationalen bzw. regionalen Minderheiten wie den Polen und Welfen) in die sozialistische Arbeiterbewegung, den Linksliberalismus, den Nationalliberalismus, den politische Katholizismus (Zentrumspartei) und den in sich gespaltenen Konservatismus. Den Übergang vom wilhelmischen Obrigkeitsstaat zur parlamentarischen Weimarer Republik hat das so strukturierte Parteiensystem mit erstaunlicher Kontinuität überstanden.

 

LÖSCHE 1993: P. Lösche: Kleine Geschichte der deutschen Parteien, Stuttgart 1993.
RITTER 1985: G. A. Ritter: Die deutschen Parteien 1830-1914, Göttingen 1985.

Besonderheiten

Erst die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg und die Etablierung einer parlamentarischen Demokratie nach westlichem Muster haben in der Bundesrepublik zu einer grundlegenden Neuformierung geführt. Die Besonderheiten, die das westdeutsche Parteiensystem nach 1945 prägten, resultierten u.a. aus der Abtrennung des protestantischen Ostens und ermöglichten einen Parlamentarismus, der auf einer relativ homogenen Sozialstruktur (Reduzierung der Bedeutung des protestantischen, nationalkonservativ gesinnten Bürgertums, Beseitigung der politischen Rolle des 'Junkertums', Verlust historischer Wurzeln und Auflösung des Milieus der sozialistischen Arbeiterbewegung, soziale Befriedung und Abbau von Klassengegensätzen im Zuge des 'Wirtschaftswunders') und überwiegend katholischer Konfessionsbindung basierte. Dies war eine günstige Voraussetzung für die Überwindung der Zersplitterung des bürgerlichen Lagers - und damit für die Stabilisierung des westdeutschen Parteiensystems - und begründete zugleich die Vorherrschaft der CDU. (vgl. POGUNTKE 1999, S. 431f.; SCHULTZE 1983, S. 33)

Veränderungen in der Sozialstruktur der Bevölkerung, vor allem die Entschärfung der 'sozialen Frage', veranlassten die Sozialdemokratie zu einer Umorientierung: Mit dem Godesberger Programm von 1959 vollzog sie den politisch-programmatischen Wandel zur Volkspartei. Damit wurde sie auch für bürgerliche Schichten wählbar.


Konzentration zum Drei-Parteien-System

Unmittelbar nach Kriegsende tummelte sich in der Bundesrepublik noch eine Vielzahl von Parteien auf dem politischen Parkett. Im Verlauf der 50er bis Anfang der 60er Jahre fand aber ein Prozess der Konzentration des Wählerverhaltens statt, der in die Etablierung eines Drei-Parteien-Systems einmündete (bzw. eines zweipoligen Parteiensystems mit der FDP als Mehrheitsbeschafferin). Die Parteien und ihre Wählerschaften glichen sich ideologisch und sozialstrukturell an, so dass für einen wachsenden Teil der Wähler prinzipiell jede der drei Parteien wählbar wurde. Erklärt wird diese Konzentration auch dadurch, dass durch die nationalsozialistische Vergangenheit und den Ost-West-Konflikt die beiden Extreme des ideologischen Spektrums nicht wählbar schienen und einen zur Mitte orientierten Parteienwettbewerb zur Folge hatten. (POGUNTKE 1999, S. 433)


Dekonzentration seit den 80er Jahren

Seit dem Ende der 70er Jahre ist eine Dekonzentration im Wählerverhalten zu beobachten. In der Bundesrepublik etablierte sich ein Vier-Parteien-Systems mit dem dauerhaften Erfolg der Grünen, auch die rechtsextremen Parteien wurden wieder stärker. Dies wird als Indiz dafür angesehen, dass der breite gesellschaftliche Grundkonsens und die Integrationskraft der 'Alt'-Parteien ins Wanken geraten ist durch konkurrierende Wertorientierungen, eine sozialstrukturelle Fragmentierung (Stichwort: 'Zweidrittel-Gesellschaft') und eine richtungspolitische Rückbesinnung oder Neuorientierung mancher Wählerschichten. (vgl. SCHULTZE 1983, S. 19)


Parteien im vereinten Deutschland

Die Vereinigung Deutschlands nach dem Fall der Mauer hatte eine Zweiteilung der Parteienlandschaft zur Folge: im Westen besteht weiterhin vorrangig ein Vier-Parteien-System mit zwei dominanten Volksparteien und den Kleinparteien Bündnis 90/Die Grünen und FDP, während sich im Osten vor allem ein Drei-Parteien-System mit SPD, CDU und PDS etabliert hat. Seit 1994 (in Sachsen-Anhalt seit 1998) haben weder die FDP noch Bündnis 90/Die Grünen in den ostdeutschen Landesparlamenten die Fünf-Prozent-Hürde überspringen können. Auf Bundesebene sind seit der Wahl 1998 fünf Parteien im Bundestag vertreten. (Vgl. VEEN 2000, S. 27; POGUNTKE 1999, S. 436) Die Integration der Wählerschaft der PDS (rund 20 % im Osten Deutschlands), ob durch Koalitionen oder durch die Lösung der ostdeutschen Probleme, die die PDS für sich reklamiert, ist eine noch ungelöste Zukunftsaufgabe im gesamtdeutschen Parteiensystem. (POGUNTKE 1999, S. 437f.)

Nähere Informationen zu Parteien der Bundesrepublik Deutschland finden sie in den den Materialien von -> M 07.23 bis M 07.30.

 

POGUNTKE 1999: Th. Poguntke: Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland: Von Krise zu Krise?, in: Th. Ellwein, E. Holtmann (Hrsg.): 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Rahmenbedingungen - Entwicklungen - Perspektiven. Opladen 1999, S. 429-439.
SCHULTZE 1983: R.-O. Schultze: Wählerverhalten und Parteiensystem in der Bundesrepublik Deutschland, in: H.-G. Wehling (Hrsg.): Westeuropas Parteiensysteme im Wandel, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1983, S. 9-44.
VEEN 2000: H.-J. Veen: Die Bundestagswahl 1998 und ihre Bedeutng für die Zukunft des Parteiensystems in Deutschland, in: G. Pickel, D. Walz, W. Brunner (Hrsg.): Deutschland nach den Wahlen. Befunde zur Bundestagswahl 1998 und zur Zukunft des deutschen Parteiensystems. Opladen 2000, S. 17-30. 

Trends

 Medien
 
 
 

Betrachtet man die sozialstrukturellen Unterschiede in den Wahlentscheidungen seit 1953, so lassen sich fünf Trends ausmachen:

  • Umorientierung im Wählerverhalten von Beamten und Angestellten, die ab 1969 in erheblich stärkerem Maße als zuvor für die Sozialdemokraten votierten (1953 waren es 27%, 1980 41%). Im Zuge des berufsstrukturellen Wandels und einer weiteren Abnahme der Kirchenbindung (Säkularisierung) verzeichnete die SPD Stimmengewinne im neuen Mittelstand.

  • Abnehmender Einfluss der Konfession auf die Wahlentscheidung, was aber keineswegs zur völligen Egalisierung konfessioneller Unterschiede führte. Gleiches gilt auch für den Einfluss der Gewerkschaftszugehörigkeit.

  • Die Positionsveränderung der FDP im Parteiengefüge nach 1966, die nachhaltige Veränderungen in der FDP-Wählerschaft auslöste. Die FDP verlor durch ihren Koalitionswechsel eine erhebliche Zahl an Wählern des alten Mittelstandes; an ihre Stelle traten ab etwa 1972 Wähler aus der Gruppe der Beamten und Angestellten. Sie wählten die FDP insbesondere als wirtschaftspolitisches Korrektiv zunächst zur SPD, ab 1982 zur CDU. Heute hat die FDP ihre Rolle als alleinige Mehrheitsbeschafferin verloren.

  • Abkehr großer Teile der Jungwähler von den etablierten Parteien: Sie kennzeichnet nicht etwa - wie anfangs vereinzelt vermutet - das generelle Protestverhalten einer jungen Generation gegenüber den Älteren, sondern ist eher symptomatisch für einen spezifischen gesellschaftlichen Wertewandel. (Zum Thema 'Wohlstandshypothese' versus 'Defizithypothese' siehe BÜRKLIN 1981, S.359ff.; INGLEHART 1979; RASCHKE 1980, S. 23 ff.; SCHULTZE 1983, S. 34 ff.) Dabei hat die einstige 'Jugendpartei' - Die Grünen - bei den vergangenen Wahlen in der Jungwählerschaft an Sympathie verloren, ihr Stimmenanteil ging bei den Jung- und Erstwähler/innen bei den Bundestagswahlen 1998 gegenüber 1994 von 14 % auf 10 % zurück. (vgl. HOFFMANN 2000, S. 261)

  • Die Parteienbindung der Wählerschaft nimmt immer mehr ab, die Zahl der Wechselwähler/innen immer mehr zu. Auch die Zahl der Nichtwähler/innen steigt - mit Ausnahme der Bundestagswahlen - tendenziell an. Diese Entwicklung begünstigte - neben anderen Gründen wie dem Wunsch nach einem Politik(er)-Wechsel - bei der Bundestagswahl 1998 erstmals in der bundesdeutschen Geschichte einen Regierungswechsel durch Wahlentscheid und nicht durch einen Koalitionswechsel. (vgl. VEEN 2000, S. 25) Die geringere Parteibindung, die (besonders in Ostdeutschland) niedrigen Mitgliederzahlen der Parteien und die zunehmende Auflösung von gesellschaftlichen Milieus hat auch den Kampf um die 'freien' Wähler schärfer werden lassen, der zunehmend in den und über die Medien ausgetragen wird.


Rechtsextreme Parteien: besorgniserregende Trends

Zu den weiterhin besorgniserregenden Tendenzen in der deutschen Parteienlandschaft gehört das Wiedererstarken der rechtsextremen politischen Kräfte. Nach den Wahlerfolgen der NPD in den 70er Jahren und dem Einzug der Republikaner in einige Länderparlamente vor allem Ende der 80er Jahre erreichte die Deutsche Volksunion des Verlegers Gerhard Frey bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 1997 immerhin 4,97% der Stimmen und verfehlte damit den Einzug in das Parlament nur knapp. Da allerdings der Stimmenanteil der Republikaner bei dieser Wahl etwa in dem Maß zurückging wie die DVU Zuwächse verbuchen konnte, bedienen sich beide Parteien offensichtlich aus dem gleichen Wählerpotential. In Sachsen-Anhalt ist der DVU bei der Wahl 1998 nach einem Stimmengewinn von 12,9 % (!) mit 16 Abgeordneten der Sprung in den Landtag gelungen, in Brandenburg zog die DVU nach der Wahl 1999 mit 5,3 % der Stimmen in das Landesparlament ein.

Bei der Bundestagswahl 1998 gewannen die rechtsradikalen Parteien (Republikaner, DVU und NPD) insgesamt 3,3 % der Stimmen, dies war seit 1969 das beste Ergebnis für rechtsradikale Parteien bei einer Bundestagswahl. Besonders hohe Stimmanteile erzielten sie bei den jungen Wähler/innen (7,3 % bei den 18-24jährigen), vor allem in Ostdeutschland (12,7 % bei den 18-24jährigen). (vgl. MINKENBERG 2000)

 

BÜRKLIN 1981: W.-P. Bürklin: Die Grünen und die 'Neue Politik', in: PVS 22 (1981), S. 359-382.
HOFFMANN 2000: J. Hoffmann: Von der Jungwählerpartei zur alternden Generationenpartei? Das Bündnis 90/Die Grünen nach der Bundestagswahl 1998, in: G. Pickel, D. Walz, W. Brunner (Hrsg.): Deutschland nach den Wahlen. Befunde zur Bundestagswahl 1998 und zur Zukunft des deutschen Parteiensystems. Opladen 2000, S. 253-276.
INGLEHART 1979: R. Inglehart: Wertewandel in den westlichen Gesellschaften, in: H. Klages/P. Kmieciak (Hrsg.): Wertewandel und politischer Wandel, Frankfurt a. M. 1979, S. 279-316.
MINKENBERG 2000: M. Minkenberg: Im Osten was Neues: Die radikale Rechte im Wahljahr 1998, in: G. Pickel, D. Walz, W. Brunner (Hrsg.): Deutschland nach den Wahlen. Befunde zur Bundestagswahl 1998 und zur Zukunft des deutschen Parteiensystems. Opladen 2000, S 313-332.
SCHULTZE 1983: R.-O. Schultze: Wählerverhalten und Parteiensystem in der Bundesrepublik Deutschland, in: H.-G. Wehling (Hrsg.): Westeuropas Parteiensysteme im Wandel, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1983, S. 9-44.
VEEN 2000: H.-J. Veen: Die Bundestagswahl 1998 und ihre Bedeutng für die Zukunft des Parteiensystems in Deutschland, in: G. Pickel, D. Walz, W. Brunner (Hrsg.): Deutschland nach den Wahlen. Befunde zur Bundestagswahl 1998 und zur Zukunft des deutschen Parteiensystems. Opladen 2000, S. 17-30.
 

 

 

 
 

www.projekt-wahlen2002.de und www.forschen-mit-grafstat.de
sind Projekte der
Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de
Koordinierungsstelle Medienpädagogik/Fachbereich Multimedia
Projektkoordination: Tilman Ernst und des Teams von
www.pbnetz.de an der Universität Münster
unter der Leitung von
Dr. Wolfgang Sander, Andrea Meschede und Ansgar Heskamp.

Bundeszentrale für politische Bildung

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