Wahlanalyse
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
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 Die Massenmedien im Wahlkampf (II)
 

Wahlwerbespots in den USA

Wahlwerbespots im Fernsehen sind für die Parteien eines der wichtigsten Wahlkampfmittel. Welche überragende Bedeutung diese Spots im Wahlkampf der 90er Jahre einnehmen können, hat Dick Morris, der 'Chefstratege' von Bill Clintons Kampagne zur Wiederwahl als US-Präsident 1996, in seinem Buch 'Behind the Oval Office. Winning the Presidency in the Nineties' (MORRIS 1997) dargestellt. Morris, laut TIME 'the most influential private citizen in America', entwickelte die Technik einer Kombination von wöchentlichen, teilweise täglichen Meinungsumfragen und 'maßgeschneiderten' Fernsehspots zu einer bis dahin nicht gekannten Perfektion.

Als Clinton im Oktober 1994 seine Wahlkampagne auf den beiden Säulen aufbauen wollte, die er als seine Haupterrungenschaften in der ersten Amtszeit sah (Schaffung von Arbeitsplätzen, Verringerung des Budgetdefizits), konfrontierte ihn Morris auf der Grundlage seiner Meinungsumfragen mit der Tatsache, dass die Wähler nicht bereit waren, ihm für diese beiden Punkte 'credit' zu geben - was Morris aber eben nicht auf die Idee brachte, jetzt etwa dem Publikum die Errungenschaften Clintons in der Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik via TV erklären zu wollen. Vielmehr erklärte Morris einem ziemlich konsterniertem Präsidenten 'Stop trying to get elected for the right reasons. Just try to get elected' (MORRIS 1997, S. 12) und präsentierte ihm statt dessen eine Liste von sog. 'bite-size achievements', für die die Wähler Clinton laut Umfrage hohe Verdienste anrechneten (z. B. das Verbot von automatischen Waffen, das Clinton nur für eine Kleinigkeit in seiner Erfolgsbilanz hielt).

Gegen einen ziemlich zweifelnden Clinton setzte Morris den Start der Wahlkampagne im Juli 1995 (16 Monate vor der Wahl!) mit einem Werbespot über einen Polizisten durch, der erzählt, wie sein Partner und Freund während einer Verkehrskontrolle mit einer automatischen Waffe niedergeschossen wurde. Der Effekt dieses Spots laut Meinungsumfrage war überwältigend, und Morris organisierte die gesamte Wahlkampfstrategie der demokratischen Partei. Von einem 'Clinton-Personenkult' hielt Morris überhaupt nichts: 'The key was to advertise on legislative issues only, not to promote Clinton’s candidacy.' (MORRIS 1997, S. 140) Über 16 Monate bis zum Wahltermin produzierte Morris’ Team Spots, in denen einerseits Clintons 'bite-size achievements' dem Wahlpublikum nachhaltig ins Bewusstsein eingebrannt, andererseits aber auch die Vorschläge und politischen Ideen der Republikaner unmöglich gemacht wurden.

Als die Republikaner größere Einsparungen im staatlichen Gesundheitsdienst Medicare vorschlugen und die Meinungsumfragen die Sorge der Bevölkerung um eine angemessene Krankenversorgung offenbarten, kam Morris mit einem Spot über einen Todkranken heraus, bei dem die Zuschauer die Herztöne hören und die EKG-Linie auf dem Monitor verfolgen konnten. In dem Moment, in dem ein Sprecher die Sparvorschläge der Republikaner verlas, stoppte der Herzschlag und der Monitor zeigte die bekannte Nulllinie ('Our ads were factual, emotional, and highly effective. We formulated each ad according to our polling.' (MORRIS 1997, S. 146.)

Konzentriert wurde die Wahlwerbung auf die wahlentscheidenden Bundesstaaten der USA, wobei Morris darauf achtete, die großen Zentren der liberalen Presse (New York, Washington D.C., Los Angeles) außen vor zu lassen, um eine ganz unerwünschte kritische Berichterstattung über den Fernsehwahlkampf zu vermeiden. Bis Ende 1995 waren entscheidende Bundesstaaten wie Wisconsin und Michigan den Demokraten zugefallen, die hier ihre Fernsehwahlwerbung konzentriert hatten - ohne auf nur eine Gegenmaßnahme der Republikaner zu stoßen. Die von Morris so gefürchtete 'freie Presse' (im Gegensatz zu den privaten TV-Sendern, auf denen die Anzeigen liefen) bekam von all dem fast nichts mit.

 

MORRIS 1997: D. Morris: Behind the Oval Office. Winning the Presidency in the Nineties, New York 1997.

"Parteien zur Wahl" - Wahlwerbespots in Deutschland

In der Bundesrepublik heißen die kurzen Wahlwerbespots 'Parteien zur Wahl'. Der Vorteil für die Parteien besteht darin, dass sie diese Spots selbst produzieren und daher die Themen bestimmen und somit das Image ihrer Kandidaten so gestalten können, wie sie es möchten. Diese Sendungen erreichen beträchtliche Einschaltquoten: Im Laufe eines Wahlkampfes können bis zu 80% der Wahlberechtigten erreicht werden. (vgl. HOLTZ-BACHA/KAID 1993a, S. 46) Die Höhe der Einschaltquoten wird dadurch bestimmt, welche Sendung vor bzw. nach dem Wahlwerbespot gesendet wird. Auch kleine und unbekannte Parteien erreichen so ein Millionenpublikum. Die Wirkung auf die Wähler ist beachtlich. Bei einer Befragung nannte ein Großteil der Befragten auf die Frage, wo sie etwas vom Wahlkampf gehört hätten, an erster Stelle den Wahlwerbespot.

In der deutschen Forschung haben, im Gegensatz zur amerikanischen Forschung, die Wahlspots der Parteien bisher wenig Beachtung gefunden. Amerikanische Forscher kamen, so C. Holtz-Bacha/L. Lee Kaid, zu dem Ergebnis, dass den Spots im Präsidentschaftswahlkampf eine dominierende Rolle zukomme und dass in Dreiviertel aller Fälle auf die Haltung derKandidaten zu Sachfragen eingegangen werde, 'wenngleich deren politische Position selten detailliert, sondern eher vage dargestellt werde. Beinahe jeder zweite Spot betone die persönlichen Eigenschaften der Kandidaten, vorrangig Führungsqualität, Ehrlichkeit, Anteilnahme, Zugänglichkeit, Stärke, Entschlossenheit, Ausdauer, Kraft und Zielstrebigkeit.' (HOLTZ-BACHA/KAID 1993a, S. 49) Eine Analyse des Präsidentschaftswahlkampfes 1996 dürfte hier deutlich abweichende Ergebnisse zeigen, vgl. dazu die Überlegungen von MORRIS.) C. Holtz-Bacha und L. Lee Kaid haben zu den Bundestagswahlen 1990 eine Untersuchung über Wahlwerbespots im deutschen Fernsehen durchgeführt. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass 'die Wahlwerbespots der Parteien zu - wenigstens kurzfristigen - Veränderungen in der Bewertung von Kandidaten und in der Wahrnehmung ihres Images führen können.' (vgl. HOLTZ-BACHA/KAID 1993b, S. 204) 1996 haben die Autorinnen diese Auffassung - im Rückblick auf die Wahl 1994 - allerdings noch einmal dahingehend präzisiert, dass keinerlei konkrete Aussagen darüber möglich sind, 'ob und wie sich [...] Spots dann wohlmöglich auf die Wahlentscheidung auswirken', mit anderen Worten: Auch ein durch Wahlspots verbessertes Image von Kandidaten führt nicht automatisch zu einer Wahl derselben. (vgl. HOLTZ-BACHA/KAID 1996, S. 205)

HOLTZ-BACHA/KAID 1993a: C. Holtz-Bacha/L. Lee Kaid: Wahlspots im Fernsehen. Eine Analyse der Parteienwerbung zur Bundestagswahl 1990, in: C. Holtz-Bacha/L. Lee Kaid (Hrsg.): Massenmedien im Wahlkampf, Opladen 1993, S. 46-71.
HOLTZ-BACHA/KAID 1993b: C. Holtz-Bacha/L. Lee Kaid: Die Beurteilung von Wahlspots im Fernsehen. Ein Experiment mit Teilnehmern in den alten und neuen Bundesländern, in: C. Holtz-Bacha/L. Lee Kaid (Hrsg.): Massenmedien im Wahlkampf, Opladen 1993, S. 185-207.
HOLTZ-BACHA/KAID 1996: C. Holtz-Bacha/L. Lee Kaid: 'Simply the best' - Parteienspots im Bundestagswahlkampf 1994. Inhalte und Rezeption, in: dies. (Hrsg.): Wahlen und Wahlkampf in den Medien, Opladen 1996, S. 177-207.
MORRIS 1997: D. Morris: Behind the Oval Office. Winning the Presidency in the Nineties, New York 1997.

Wahlkampf 1994 - eine Analyse

Wolfgang Donsbach zieht für seine Analyse der Bedeutung von Massenmedien im Wahlkampf 1994 den seit Ende 1994 verfügbaren 'Medien-Monitor' heran, der die Ergebnisse von quantitativen Inhaltsanalysen der wichtigsten und national bedeutenden Nachrichtenmedien veröffentlicht. (vgl. DORNSBACH 1996) Die Inhaltsanalyse ist ein Verfahren zur systematischen und quantitativen Erfassung der Medienberichterstattung, bei dem Texte nicht subjektiv interpretiert, sondern nach vorher entwickelten Kategorien auf manifeste Merkmale hin empirisch untersucht werden. Folgende Ergebnisse lassen sich festhalten:

  • Die redaktionellen Tendenzen der deutschen Medien, insbesondere der überregionalen Tageszeitungen, waren auch im Wahlkampf 1994 deutlich erkennbar. Im Gegensatz zur Berichterstattung der anglo-amerikanischen Presse neigen deutsche Journalisten dazu, nicht nur in Kommentaren, sondern auch im Nachrichtenteil ihre eigene Problemsicht (oder die des Herausgebers) zu betonen. Die meisten positiven Aussagen über Kohl veröffentlichte die WELT und das Nachrichtenmagazin von SAT1, eng gefolgt von der FAZ und der FOCUS-Berichterstattung, während FR und SZ die meisten positiven Aussagen über Scharping enthielten.
  • Trotz des höheren Anteils an positiver Berichterstattung in einzelnen Medien des eher linken oder linksliberalen Spektrums wurde Scharping von den 'eigenen' Medien insgesamt nur mangelhaft unterstützt, während die Medien des gegnerischen Lagers Kohl deutlich prononcierter mit ihrer positiven Wertung bedachten (vgl. etwa die SZ: 55% positive Aussagen zu Scharping, 44% zu Kohl, dagegen die WELT: 68% positive Aussagen zu Kohl, 30% zu Scharping). Donsbach formuliert die These vorsichtig: '[...] dass die SPD die Wahl auch wegen mangelnder Unterstützung ihres Spitzenkandidaten durch die ihr politisch nahestehenden Medien verloren hat. Hätten diese Medien in ähnlich deutlicher Weise wie die konservativen Organe mehr positive Aussagen über Scharping als über Kohl veröffentlicht, wäre die Wahl vielleicht anders ausgegangen.' (DORNSBACH 1996, S. 126) Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch H. M. Kepplinger/M. Rettich. (KEPPLINGER/RETTICH 1996, S. 97)

Der Fernsehwahlkampf 1994 war durch und durch von der Person Helmut Kohls bestimmt. Das Wahlkampf-Regiebuch der CDU-Bundesgeschäftsstelle vom Oktober 1993 vermerkte: 'Vor allem aber muss im Wahlkampf die Person des Kanzlers entsprechend herausgestellt werden. Der Staatsmann Helmut Kohl, dessen Führungskompetenz und Regierungserfahrung gerade in einer Zeit des Wandels unverzichtbar sind, muss im Mittelpunkt der Wahlkampagne stehen.' (zitiert nach: MÜLLER 1996, S. 175) Mit Unterstützung der Kirch-Springer-Gruppe präsentierte Ex-BILD-Chef und CDU-Medienberater Peter Boenisch den Bundeskanzler als führenden europäischen Staatsmann und Landesvater des unter seiner Regie wiedervereinigten Deutschlands auch noch im letzten Wohnzimmer der Republik. Interessant ist dabei die deutliche Bevorzugung der privaten Fernsehsender für die Plazierung von Wahlwerbespots: Waren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nur acht Spots zu sehen, so waren es auf SAT1 und RTL insgesamt 254. (vgl. MÜLLER 1996, S. 177f.) SAT1 kreierte die Sendung 'Zur Sache, Kanzler', bei der Kohl - unter Ausschaltung störender Journalisten - in direkten Kontakt mit dem Wahlvolk treten konnte.

So ausschließlich und eindeutig machte SAT1 Kanzlerwahlkampf, dass sich sogar der SAT1-Mitgesellschafter Alfred Neven DuMont dagegen wehrte: Dass sich der Sender 'mit einer Ausschließlichkeit zu einer Partei, nämlich der CDU und besonders dem Bundeskanzler bekenne, wie sonst bislang bei keinem deutschen Sender der Fall war', sei mit der Absicht der Zeitungsverleger, 'sich pluralistisch im Fernsehen zu engagieren', unvereinbar, schrieb DuMont an den Vorstandschef des Springer-Verlags Jürgen Richter, der bei SAT1 die Fäden zog. (vgl. hierzu HÜLSHÖRSTER 1994)

Kohl zog eine Medienaufmerksamkeit auf sich, mit der sein Herausforderer Scharping in keiner Weise mithalten konnte. Dabei musste das Konrad-Adenauer-Haus für einen guten Teil der Fernsehpräsenz des Kanzlers keine finanziellen Mittel aufwenden, berichteten doch die Nachrichtensendungen über jeden Auftritt Kohls als Staatsmann, sei es mit dem französischen Staatspräsidenten Mitterrand bei der Parade zum Nationalfeiertag in Paris oder auch bei der Gedenkveranstaltung zum fünfzigsten Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler, bei der Kohl persönlich die Gedenkrede hielt (sog. 'Regierungsbonus' in der Wahlkampfberichterstattung). Kepplinger/Rettich bezweifeln allerdings aufgrund ihrer Untersuchungen, dass die wertende Fernsehberichterstattung einen entscheidenden Einfluss auf die Präferenz der Bevölkerung für Kohl hatte, weil die potentiellen Kohl-Wähler ihre Entscheidung in der 'heißen' Phase des Fernsehwahlkampfes bereits getroffen hatten. (KEPPLINGER/RETTICH 1996, S. 93) Untersucht wurden dabei erkennbare Zusammenhänge zwischen der Quantität der wertenden Berichterstattung und geäußerter Parteienpräferenz. Denkbar bleibt trotzdem ein Mobilisierungseffekt der Fernsehberichterstattung auf zweifelnde Wähler bzw. auf Wahlberechtigte, die sonst evtl. der Wahl ferngeblieben wären.

 

DORNSBACH 1996: W. Dornsbach: Wie Massenmedien Wahlen beeinflussen. Der Medientenor im Bundestagswahlkampf 1994, in: H. Oberreuter (Hrsg.): Parteiensystem am Wendepunkt? Wahlen in der Fernsehdemokratie, München 1996, S. 121-136.
HÜLSHÖRSTER 1994: C. Hülshörster: Wahlkampf 1994 - oder: Helmut Kohl auf allen Kanälen, in: C. Jansen u. a. (Hrsg.): Wahlen ‘94 - Wer wählt wen warum? Dokumentation des Kooperationsprojektes 'Demokratie lernen vor Ort', Münster 1994, S. 66-68.
KEPPLINGER/RETTICH 1996: : Publizistische Schlagseite. Kohl und Scharping in Presse und Fernsehen, in: C. Holtz-Bacha/L. Lee Kaid (Anm. 82), S. 80-100.
MÜLLER 1996: H. Müller: Stimmungsumschwung. Die Strategie der Union im Wahlkampfjahr 1994, in: H. Oberreuter (Hrsg.): Parteiensystem am Wendepunkt? Wahlen in der Fernsehdemokratie, München 1996, S. 165-180.

Wahlkampf 1998 - "Amerikanisierung" und Internet


Personalisierung

Politik wird in den Medien allgemein, nicht nur in Wahlwerbespots, personalisiert. Das Handeln der Regierung und der Opposition manifestiert sich, für die Bevölkerung sichtbar und für die Medien handhabbar, in erster Linie im Handeln des Führungspersonals, insbesondere der Kanzlerkandidaten. Regierungs- und Oppositionshandeln werden weitgehend mit dem Handeln der jeweiligen Spitzenpolitiker identifiziert. Das reduziert die Komplexität politischer Ereignisse in den Augen der Bevölkerung und in der Darstellung der Medien. Das wahrgenommene Handeln der Spitzenpolitiker, deren Eigenschaften und Motive spielen bei der Durchsetzung der Wahlkampfsstrategie eine zentrale Rolle. 'Diese Wahrnehmung und Deutung von Personen durch Bevölkerung und Massenmedien werden meist als 'Image' bezeichnet. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Massenmedien Politiker gemäß ihrer jeweiligen redaktionellen Linie beurteilen und damit deren Wahrnehmung durch die Bevölkerung beeinflussen können.' (BORTZ/BRAUNE 1980, S. 248; zur Rolle des Images im Wahlkampf vgl. auch NIMME/SAVAGE 1976, S. 9)

Der Bedeutungszuwachs der Kandidatenorientierung für die Wahlentscheidung wurde auch bei der Bundestagswahl 1998 bestätigt. Die Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder und Helmut Kohl spielten für den Wahlausgang eine vergleichsweise große Rolle. Die Abnahme der Parteiidentifikation und 'die personenorientierte Eigendynamik des Fernsehens, über das für einen Großteil der Bevölkerung die Vermittlung von Politik erfolgt' sprechen für die Fortsetzung dieses Trends. Dabei wurde die Personalisierung durch die Berichterstattung der Medien noch verstärkt: 'Während sich 81% der Pressemitteilungen der Parteien überwiegend mit sachpolitischen Themen beschäftigten, machten diese in den tonangebenden Medien lediglich 41% aller Aussagen über die Parteien aus.' (vgl. BRETTSCHNEIDER 2000, S. 132ff.; S. 113)


'Amerikanisierung'

Seit einiger Zeit wird in deutschen Wahlkämpfen ein Trend zur 'Amerikanisierung' ausgemacht, oft ohne zu klären, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Neuere Untersuchungen stellen fest, dass es sich hierbei nicht um eine einfache Übernahme US-amerikanischer Wahlkampfstrategien handelt, sondern dass die charakteristischen Elemente der politischen Kommunikation in Deutschland bei der Übernahme einzelner Elemente erhalten bleibt. (vgl. PLASSER 2000, S. 51) Christoph Bieber beschreibt einen ''Basis-Baukasten' mit den Elementen Personalisierung, Medialisierung, Professionalisierung und Inszenierung' und aktuell auch 'Digitalisierung' als wesentliche Triebkräfte einer 'Amerikanisierung' von Wahlkämpfen. (BIEBER 2000, S. 3, S. 10 ff.)


Wahlkampf im Internet

'Spektakulärste technische Neuerung' des Bundestagswahlkampfes 1998 ist der Wahlkampf im Internet (mit 'Internet' wird hier der Dienst des World Wide Web bezeichnet). Wenn auch noch keine Ergebnisse über die Auswirkungen der Internetpräsenz auf den Wahlausgang vorliegen, so nimmt die Bedeutung der 'Netzkampagnen' immer weiter zu. Von den 40 zur Bundestagswahl 1998 zugelassenen Parteien hatten bereits 30 eine eigene Web-Seite, der Landtagswahlkampf 2000 in NRW mit dem starken Online-Auftritt der FDP ist das aktuellste Beispiel. (vgl. CLEMENS 1999b, S. 153; BIEBER 2000, S. 10)

Dabei wird das Internet nicht nur für den Kontakt zum Wähler genutzt, sondern auch für die Vernetzung der Mitglieder und den effizienten Einsatz von freiwilligen Wahlhelfern. Zudem verspricht man sich einen Imagegewinn in Bezug auf die Fortschrittsorientierung und Technikkompetenz der Parteien. (CLEMENS 2000, S. 53) Der missglückte Internet-Chat von Helmut Kohl im September 1998 bewirkte folglich das Gegenteil, da es seine 'gänzliche Unvertrautheit mit dem Medium' verriet, die Kommentare gipfelten in der Beschreibung Kohls als 'Neandertaler im Cyberspace'. (CLEMENS 1999b, S. 156; siehe Karikatur)

Die Vorteile des Online-Wahlkampfs liegen auf der Hand: hochaktuell, schnell, billig und vor allem selbstproduziert (ohne den sonstigen Filter der Massenmedien) kommen die Informationen zu den Wähler/innen, die diese zeit- und ortsunabhängig abrufen und selbst selektieren können. (CLEMENS 1999a, S. 56ff.) Probleme gibt es hinsichtlich des ungleichen Zugangs der Wahlbevölkerung zum Internet Etwa ein Drittel (ca. 18 Millionen) der Deutschen nutzen laut einer GfK-Studie im August 2000 das Internet.). Kritisch wird auch die 'Inflationierung' der Informationen gesehen, verstärkt etablieren sich sogenannte 'Informationslotsen', die die Datenmenge bündeln und die Internet-Suche für die Nutzer durch kommentierte Linklisten vereinfachen. Ausbaufähig sind auch die vielgepriesenen 'interaktiven Möglichkeiten' des Internet, mit dem die Wähler/innen sich per Politiker-Chat, Diskussion über Inhalte oder per E-Mail an die Politker/innen direkt einbringen können. Viele der derzeitigen Angebote sind eher symbolischer Natur. (vgl. CLEMENS 1999a, S. 60; CLEMENS 1999b, S. 157)

'Das Internet ist als politische Arena immer nur so gut und demokratisch, wie es die vernetzten Stimmbürger machen', stellte Claus Leggewie fest und setzt damit übertriebenen Erwartungen im Hinblick eine 'elektronische Demokratie' Grenzen, 'die wiederum eine Herausforderung an die politische Bildung der Online-Nutzer darstellen'. (LEGGEWIE 1998; vgl. auch CLEMENS 1999a, S. 52)

 

BORTZ/BRAUNE 1980: J. Bortz/P. Braune: Imagewandel von Politikern aus der Sicht zweier Tageszeitungen. Ergebnisse einer Langzeitstudie, in: Publizistik, 25 (1980), S. 230-254.
BRETTSCHNEIDER 2000: F. Brettschneider: Kohls Niederlage? Schröders Sieg! Die Bedeutung der Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl 1998, in: G. Pickel/D. Walz/W. Brunner: Deutschland nach den Wahlen. Befunde zur Bundestagswahl 1998 und zur Zukunft des deutschen Parteiensystems, Opladen 2000, S. 109-140.
BIEBER 2000: Chr. Bieber: Millenium-Campaigning. Der US-Präsidentschaftswahlkampf 2000 im Internet. URL: Erscheint in: K. Kamps (Hrsg.): Trans-Atlantik - Trans-Portabel? Die Amerikanisierungsthese in der politischen Kommunikation, Wiesbaden 2000, S. 93-110.
CLEMENS 1999a: D. Clemens: Das Potential des Internets in Wahlkämpfen. Bestandsaufnahme und Perspektiven anhand aktueller Wahlkämpfe in den USA und Deutschland 1996-1999, in: W. Woyke (Hrsg.): Internet und Demokratie. Schwalbach/Ts. 1999, S. 52-63.
CLEMENS 1999b: D. Clemens: Netz-Kampagnen. Parteien und politische Informationslotsen in den Internet-Wahlkämpfen 1998 in Deutschland und den USA, in: K. Kamps (Hrsg.): Elektronische Demokratie? Perspektven politischer Partizipation, Opladen 1999, S. 153-174.
LEGGEWIE 1998: C. Leggewie: Das Internet als Wahlkampfarena (Im Internet unter http://www.politik-digital.de/text/netzpolitik/weboffensive/wahlkampfarena.shtml )
NIMME/SAVAGE 1976: D. Nimmo/R. Savage: Candidates and their Images. Concepts. Methods and Findings, Pacific Palisades 1976.
PLASSER 2000: F. Plasser: 'Amerikanisierung' der Wahlkommunikation in Westeuropa: Diskussions- und Forschungsstand, in: H. Bohrmann u.a. (Hrsg.): Wahlen und Politikvermittlung durch Massenmedien, Opladen 2000, S. 49-67.

(Bilder)-Sprache und Politik

Die in unserer Synopse 'Personen, Parolen, Plakate' vorgelegte Auswahl an Wahlplakaten dokumentiert eindrucksvoll die Tatsache, dass (Bilder-)Sprache und Politik in einem engen Zusammenhang stehen. (Als Materialbasis für weitere Untersuchungen können auch die Plakatsammlungen von F. Arnold: Anschläge. Politische Plakate in Deutschland 1900-1970, Ebenhausen bei München 1972; R. Diederich (Hrsg.) u.a.: Die rote Gefahr. Antisozialistische Bildagitation 1918-1976, West-Berlin 1976, dienen.) Zwar ist die Frage, wie bedeutungsvoll die politische Einflussnahme über die Sprache ist, in der Forschung umstritten. Sicherlich kann man mit guten Gründen darauf hinweisen, dass der Kampf um Worte Politik nicht ersetzen kann, und die These vertreten: 'Worte machen keine Politik.' (FETSCHER/RICHTER 1976)

Allerdings wissen nicht nur Parteistrategen und Praktiker der Politik, dass man mit Worten Politikfelder planmäßig besetzen und den politischen Gegner ins Abseits stellen kann.In der Rede von K. Biedenkopf, damals CDU-Generalsekretär, auf dem Parteitag in Hamburg 1973 wird diese Auffassung von Sprache besonders deutlich. Für eine erfolgreiche Politik sei es wichtig - so K. Biedenkopf -, mit Hilfe der Sprache die richtigen Bilder der politischen Wirklichkeit in den Köpfen der Menschen zu erzeugen: 'Die gewaltsame Besetzung der Zitadellen staatlicher Macht ist nicht länger Voraussetzung für eine revolutionäre Umwälzung der staatlichen Ordnung. Revolution findet heute auf eine andere Weise statt. Statt der Gebäude der Regierung werden die Begriffe besetzt, mit denen sie regiert, die Begriffe, mit denen wir unsere staatliche Ordnung, unsere Rechte und Pflichten und unsere Institutionen beschreiben.' (zit. nach EPPLER 1992, S.116f.; vgl. auch LÜBBE 1982, S. 67ff; BIEDENKOPF, S. 192ff.) In diesem Sinne stellt der Sprachwissenschaftler U. Gaier fest: 'Die Sprache wird also durch ein politisch-gesellschaftliches System in Dienst genommen; die Struktur des Systems prägt sich in der Sprachverwendung aus: die verwendete Sprache kann als Subsystem des gesellschaftlich-politischen Systems verstanden und beurteilt werden.' (GAIER 1971, S. 12)

Historisch betrachtet, zeigt sich die Sprache als bevorzugtes Tätigkeitsfeld von Politikerinnen und Politikern, die auf diese Art und Weise Einfluss auf das gesellschaftliche Geschehen zu erlangen suchen. So schrieb etwa H. Sündermann, der ehemalige stellvertretende Pressechef der NS-Reichsregierung: 'Wir kennen nur wenige Geschehnisse geschichtlichen Formates, denen nicht deutlich sichtbar ein Gefecht des Wortes vorangegangen ist, jeder echte Kampf macht sich in seinem Verlaufe auch auf diesem Feld der Auseinandersetzung geltend. Oft ist ein Wechselspiel im Gange - die Worte begleiten die Taten nicht nur, sie ergänzen sie auch, ja - ganz planvoll angewandt - ersetzen sie sie gar.' (SÜNDERMANN 1973, S. 9)

In der Propaganda der Nationalsozialisten erreichte die skrupellose Instrumentalisierung der Sprache für die politische Werbung einen Höhepunkt. Allerdings sollte der offensichtliche Missbrauch nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade angesichts der Unübersichtlichkeit der gesellschaftlichen Entwicklungen in der Gegenwart der politischen Propaganda eine wichtige Selektions- und Kommunikationsfunktion zukommt, indem sie gezielt zentrale Aspekte des politischen Lebens auswählt und sie in das allgemeine Bewusstsein rückt. Entscheidend für die politische Bildung ist daher, dass der Rezipient als mündiger Staatsbürger mit den Einwirkungen von politischer Propaganda umzugehen versteht.

Einen Exkurs in den Planungshinweisen behandelt die exemplarische Analyse aktueller Wahlplakate als Ergänzung zum Baustein 'Wahlkampf - Information oder Manipulation?'.

 

BIEDENKOPF: K. Biedenkopf: Politik und Sprache, in: H. J. Heringer (Hrsg.): Holzfeuer im hölzernen Ofen, S. 189-197.
EPPLER 1992: E. Eppler: Kavalleriepferde beim Hornsignal. Die Krise der Politik im Spiegel der Sprache, Frankfurt a. M. 1992.
FETSCHER/RICHTER 1976: I. Fetscher, H. E. Richter (Hrsg.): Worte machen keine Politik. Beiträge zu einem Kampf um politische Begriffe, Reinbek 1976.
GAIER 1971: U. Gaier: Bemerkungen zum Verhältnis von Sprache und Politik, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Sprache und Politik, Bonn 1971.
LÜBBE 1982: H. Lübbe: Streit um Worte. Sprache und Politik, in: H. J. Heringer (Hrsg.): Holzfeuer im hölzernen Ofen, Tübingen 1982, S. 48-69.
SÜNDERMANN 1973: H. Sündermann: Tagesparolen. Deutsche Presseweisungen 1939-45. Hitlers Propaganda und Kriegsführung. Aus dem Nachlass herausgegeben von Gert Sudholt, Leoni 1973.
 

 

 

 
 

www.projekt-wahlen2002.de und www.forschen-mit-grafstat.de
sind Projekte der
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Koordinierungsstelle Medienpädagogik/Fachbereich Multimedia
Projektkoordination: Tilman Ernst und des Teams von
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unter der Leitung von
Dr. Wolfgang Sander, Andrea Meschede und Ansgar Heskamp.

Bundeszentrale für politische Bildung

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kombiniertes Print- und CD-ROM Produkt mit dem Titel
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