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Baustein 5.1: Wahlverhalten in verschiedenen Bevölkerungsgruppen
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Wer wählt wahrscheinlich wen?
Die Thematik dieser Unterrichtseinheit knüpft an jene wahlanalytischen Auswertungen an, die bereits im Laufe der Reihe durchgeführt worden sind. Dabei wird jedoch das Untersuchungsfeld mit Blick auf die empirische Wahlforschung erweitert: Unter der Fragestellung "Wer wählt wahrscheinlich wen?" steht nun das Wahlverhalten der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Abhängigkeit von ihren soziodemographischen Merkmalen im Mittelpunkt. Dabei werden, um die Anbindung des Themas an die unmittelbare Lebens- und Erfahrungswelt der Schüler/innen zu verstärken, die bundesweit geltenden Forschungsergebnisse immer wieder auf den lokalen Bereich zurückbezogen. Dies gilt namentlich für die genaue Betrachtung der Wahlbeteiligung und Parteipräferenzen von Jungwählern.
Die Analyse des statistischen Materials hat für die Lerngruppe einen zentralen Stellwert für ihre methodische Schulung und Vorbereitung der eigenen Wählerbefragung sowie für die Auswertung der dabei zu erhebenden Daten. Außerdem kommt der Unterrichtseinheit eine große Bedeutung hinsichtlich der späteren Untersuchung von Wahlkampfstrategien zu, die bekanntlich je nach Partei auf spezifische Wählersegmente ausgerichtet sind.
Die Intentionen der Unterrichtseinheit erstrecken sich somit zum einen darauf, dass die Schüler/innen das typische Wahlverhalten verschiedener Bevölkerungsgruppen differenziert nach Geschlecht, Alter, Schichtzugehörigkeit und Konfession kennen und unter Einbeziehung der Unterschiede zwischen Ost und West ins gesamtdeutsche Parteiengefüge einordnen können. Zum anderen werden die instrumentellen Zielsetzungen verfolgt, den Schüler/innen Grundbegriffe und Kategorien der empirischen Wahlforschung verfügbar zu machen, die sie für die spätere computergestützte Wählerbefragung benötigen werden. Schließlich sollen die Schüler/innen das spezifische Jungwählerverhalten erarbeiten und sich dabei durchaus mit Bezug auf ihre (zukünftige) Rolle als Jungwähler engagiert und kritisch mit den Problemstellungen auseinandersetzen, inwieweit Jungwähler bereit sind, sich an Wahlen zu beteiligen, welche Präferenzen erkennbar sind und ob diese verstärkt rechtsextremen Parteien zuneigen.
Als Einstieg in die Unterrichtseinheit wird die Lerngruppe mit der Karikatur -> M 05.01 "Wer wählt wen?" konfrontiert, wodurch sie angeregt werden soll, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob das Wahlverhalten verschiedener Bevölkerungsgruppen eher zufälligen Gegebenheiten unterliegt oder differenziert nach sozio-demographischen Merkmalen typisiert werden kann. Um die kognitive Dissonanz aufzubauen, erscheint es zweckmäßig, zunächst den unteren Teil abgedeckt zu lassen und erst nach der Interpretation der Karikatur die Schüler/innen Vermutungen über Zusammenhänge zwischen Alter, Geschlecht, Beruf, Konfession oder auch Wohnort der drei ausgewählten Wahlbürger und ihrer spezifischen Parteipräferenz anstellen zu lassen. Zweckmäßigerweise notiert der Lehrer die Annahmen der Schüler/innen stichwortartig auf der Eingangsfolie, damit diese nach der Auswertung entsprechender Statistiken für alle sichtbar auf ihre Stimmigkeit hin überprüft werden können.
In der nachfolgenden Erarbeitungsphase geht es daher zunächst darum, die Vermutungen der Jugendlichen anhand empirischen Untersuchungsmaterials zur Bundestagswahl 1998 (-> M 05.02) zu überprüfen. Zur Analyse des typischen Wahlverhaltens bestimmter sozialer Gruppen bieten sich hier zwei Schwerpunkte an: Zum einen sind die Unterschiede in der Parteipräferenz differenziert nach den Merkmalen Geschlecht, Alter, Wohnortgröße, Konfession und Beruf zu ermitteln. Zum anderen müssen die spezifischen Besonderheiten der Wahlgebiete Ost und West bei diesem zweiten gesamtdeutschen Urnengang herausgearbeitet werden.
Als Sozialform ist deshalb ein Vorgehen in arbeitsteiliger Gruppenarbeit vorgesehen. Eine wesentliche Hilfestellung bei der Erledigung der Schüleraufgaben dürften jeweils das Arbeitsblatt -> M 05.04 sein. Gleichwohl stellt die Auswertung der Statistiken der soziologischen Wahlforschung nicht unerhebliche Ansprüche an die methodischen Fähigkeiten der Schüler/innen. Vor allem wird die Lehrperson darauf zu achten haben, dass sich die Schüler/innen die jeweiligen Bezugsgrößen eindeutig klar machen und einsehen, dass die formale Beschreibung des Aufbaus einer Tabelle nicht aus reiner Pedanterie erfolgt, sondern eine notwendige Hilfsfunktion für den Erkenntnisprozess besitzt.
Die Integration der Gruppenergebnisse in der anschließenden Auswertung erfolgt in einer Gegenüberstellung der ausgefüllten Arbeitsblätter mit der erneut aufgelegten Eingangsfolie (-> M 05.01). Auf diese Art und Weise kann nun im Plenum die Überprüfung der von den Schülern angestellten Vermutungen hinsichtlich des typischen Wahlverhaltens bestimmter Gruppen stattfinden. Angesichts des möglichen Aufeinandertreffens gegensätzlicher Schülermeinungen wird der Lerngruppe zudem die grundlegende Einsicht vermittelt, dass innerhalb der Sozialwissenschaften eine Urteilsbildung über strittige Sachfragen in bestimmten Fällen sinnvollerweise durch Bezug auf Empirie erfolgt. Empfehlenswert erscheint an dieser Stelle, die vorgetragenen Arbeitsergebnisse auf einer Folie festzuhalten, um sie zum Zweck einer etwaigen Wiederholung und für vertiefende Besprechungen im weiteren Verlauf der Unterrichtseinheit leichter verfügbar zu machen, z.B. wenn die von den Schüler/innen erhobenen lokalen Daten mit bundesweiten Ergebnissen verglichen werden sollen.
Im Mittelpunkt der zweiten Erarbeitungsphase steht die Betrachtung des Jungwählerverhaltens, wobei neben den Parteipräferenzen auch die Unterschiede zu älteren Wählern bestimmt werden sollen. Zugleich muss der wichtigen und aktuellen Frage nachgegangen werden, inwieweit die jugendlichen Wähler verstärkt den rechtsextremen Parteien zuneigen. Dies geschieht auf der Grundlage des Datenmaterials -> M 05.05 und -> M 05.06, das die Zweitstimmenabgabe bei den Bundestagswahlen von 1972-1990 nach Alter aufschlüsselt: zum einen bezogen auf das gesamte Wahlgebiet, zum anderen auf den heimischen Wahlkreis. Damit wird eine Vergleichsperspektive mit Bezug zur unmittelbaren Lebens- und Erfahrungswelt der Schüler/innen geschaffen, die diese zusätzlich motiviert. Methodisch ist ein arbeitsteiliges Vorgehen vorgesehen, indem die Schüler die Parteipräferenzen der Jungwähler für jede Partei einzeln in Schaubilder übertragen, so dass die Entwicklungslinien von 1972-1998 (bzw. 1990) deutlich werden. Eine weitere Möglichkeit besteht sodann darin, diese Kurven jeweils farbig auf Folien aufzutragen, um in einem schrittweisen Overlay-Verfahren schließlich die Gesamtsituation des Jungwählerverhaltens graphisch aufbereitet zu erörtern.
Ein wichtiger Hinweis: Aus verständlichen Gründen kann der Materialteil nicht für jeden einzelnen Wahlkreis der Bundesrepublik eine Aufschlüsselung des heimischen Wahlverhaltens nach allen relevanten sozio-demographischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Beruf, usw.) enthalten. Daher sollte der Lehrer sich im Vorfeld der Unterrichtsreihe rechtzeitig das lokale statistische Datenmaterial besorgen, um es dann ggf. entsprechend für diese Unterrichtseinheit aufbereiten zu können.
Die wichtigsten Arbeitsergebnisse werden schließlich zur Sicherung auf einer Folie oder an der Tafel zusammengefasst, so dass der Lerngruppe die Trends typischen jugendlichen Wahlverhaltens noch einmal visualisiert zum Mitschreiben dargeboten werden.
Das Abschlussgespräch dient der Festigung des erworbenen Wissens, indem noch einmal die Arbeitsergebnisse der gesamten Unterrichtseinheit in Form einer typisierenden und überspitzten Beschreibung der Wählerstruktur der einzelnen Parteien bzw. der Parteipräferenzen bestimmter Bevölkerungsgruppen unter der allgemeinen Fragestellung "Wer wählt wahrscheinlich wen?" kurz und prägnant erörtert werden. Sinnvolle Einzelfragen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise, welche Parteien werden bevorzugt von älteren katholischen Frauen, von gewerkschaftlich orientierten Arbeitern, von selbständigen Kaufleuten oder umweltbewussten Studenten usw. gewählt? (-> Methode: Rollenspiel)
Baustein 5.2: Welche Faktoren beeinflussen das Wählerverhalten?
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Die vorliegende Unterrichtseinheit sieht vor, die Schüler/innen ein Erklärungsmodell (-> M 05.07) der Einflussfaktoren des Wahlverhaltens erarbeiten zu lassen, das auf die später ohnehin benötigte Differenzierung nach Stamm-, Wechsel- und Nichtwählern aufbaut. Ähnlich wie die vorangegangene Unterrichtseinheit verfolgt auch diese - jetzt allerdings auf einem etwas anspruchsvollerem Niveau - die Intentionen, den Schülern/innen Kenntnisse über Merkmale und Determinanten des Wahlverhaltens zu vermitteln und gleichzeitig wichtige Kategorien der Wahlforschung verfügbar zu machen, die im weiteren Verlauf der Unterrichtsreihe für das eigene Forschungsvorhaben, beispielsweise für die Analyse von Wählerwanderungen, benötigt werden. Überdies zielt die Unterrichtsplanung darauf ab, am Ende der Stunde einen Perspektivenwechsel vorzubereiten, indem sie die Frage aufwirft, welche Konsequenzen sich aus den Erkenntnissen der empirischen Wahlforschung für die strategische Wahlkampfplanung der Parteien ergeben.
Zur Problemfindung werden zu Beginn der Unterrichtseinheit die Schüler/innen mit der Karikatur "Wandel der Parteibindungen" (-> M 05.17) konfrontiert, deren Erschließung ein mehrschrittiges Vorgehen erfordert: Zunächst erfolgt eine Beschreibung der Details (Berufskleidung, Aufmachung der Lokale etc.) durch die Lerngruppe, wobei der Kommentar vorerst noch abgedeckt bleibt. Anschließend wird dieser ebenfalls sichtbar gemacht, so dass nun eine Gesamtinterpretation der Karikatur erfolgen kann. Aus der Verallgemeinerung des hier angesprochenen Falls wird gemeinsam die Problemfrage entwickelt, welche Faktoren das Wählerverhalten entscheidend beeinflussen, die so vom Lehrer für alle sichtbar an der Tafel notiert wird. Die Abfolge der zur Beantwortung der Leitfrage notwendigen Erarbeitungsblöcke innerhalb dieser Unterrichtseinheit richtet sich zweckmäßigerweise nach den einzelnen Elementen des Erklärungsmodells der die Wahlentscheidung beeinflussenden Faktoren (-> M 05.07).
Sozialer Wandel: In diesem thematischen Bereich sollen die Schüler/innen zunächst anhand eines Arbeitstextes (-> M 05.07) die langfristig-strukturellen Bestimmungsfaktoren des Wahlverhaltens, insbesondere Alter und Geschlecht, kennenlernen und deren Einfluss auf die Wahlentscheidung exemplarisch am Beispiel der Bundestagswahl von 1990 erörtern. Daran schließt die Erarbeitung der wesentlichen sozialstrukturellen Konfliktlinien (Arbeit vs. Kapital, starke Kirchenbindung vs. keine Kirchenbindung, Wachstum vs. Umweltschutz) an, die die Parteipräferenz der Wähler in der Bundesrepublik Deutschland in hohem Maße mitbestimmen. Dies geschieht mit Hilfe von Text -> M 05.08, der zur Veranschaulichung eine graphische Darstellung dieser cleavages enthält. Als sinnvolle Ergänzung hat sich nach unseren Erfahrungen eine Graphik zur Entwicklung der Berufsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland von 1950-1999 (-> M 05.18) erwiesen, die die Problematik des Sozialen Wandels anschaulich illustriert.
Parteibindung: Dieser thematische Schwerpunkt stellt einen konstitutiven Bestandteil der empirischen Wahlforschung dar, in dem es darum geht, eine Differenzierung innerhalb der Wählerschaft nach den Kategorien "Stammwähler", "Wechselwähler" und "Nichtwähler" vorzunehmen, was insbesondere für die Analyse von Wählerbewegungen und für die Planung von Wahlkämpfen wichtig ist. Vor diesem Hintergrund können die Schüler/innen nun die grundlegenden Merkmale und Voraussetzungen der einzelnen Wählertypen herausarbeiten sowie die Ursachen der unterschiedlich stark ausgeprägten Parteibindungen erklären. Zur Vervollständigung des Schaubildes (-> M 05.07) sollte dabei nicht nur die Entwicklung des quantitativen Verhältnisses dieser drei Wählertypen deutlich gemacht werden, sondern auch bereits auf mögliche Konsequenzen dieser Trends für die Parteien im Wahlkampf hingewiesen werden, was insbesondere die Mobilisierung und Überzeugung der zunehmenden Zahl von Wechsel- und Nichtwählern betrifft. Dabei dürfte es - je nach Vorwissen der Schüler/innen - wiederum notwendig sein, von Lehrerseite einige Begriffe (Sozialisation, Werthaltung, Wertewandel) in den dafür vorgesehenen Arbeitsmaterialien (-> M 05.12 bis M 05.15) näher zu erläutern und die nur knapp angerissenen Einflussfaktoren der individuellen Wahlentscheidung exemplarisch zu konkretisieren.
In der Sicherungsphase sollen die Schüler/innen zur Festigung der neu erworbenen Kenntnisse noch einmal das Schaubildmodell (-> M 05.07) erläutern und die Größenordnung der jeweiligen Wählergruppen wiederholen. (-> Methode: Kurzvortrag halten)
Zum Abschluss der Unterrichtseinheit wird dann vertiefend diskutiert, welche Konsequenzen sich angesichts des Wandels der Parteibindung für den Wahlkampf der Parteien ergeben. So stehen die Parteien vor der - mitunter widersprüchlichen - Aufgabe, ihre Stammwähler zu mobilisieren, potentielle Abwanderer an sich zu binden sowie Wechselwähler aus dem Lager anderer Parteien und bisherige Nichtwähler bzw. Erstwähler neu für sich zu gewinnen, denn oftmals entscheiden Verschiebungen um wenige Prozentpunkte über Sieg oder Niederlage einer Partei bzw. Koalition. Um ihren Wahlkampf auf diese Erfordernisse abstimmen zu können, müssen die Wahlkampfmanager darüber informiert sein, welche Sozialgruppen den genannten Wählerkategorien angehören und welche dieser Wählergruppen gezielt angesprochen werden müssen, um die noch fehlenden Prozentpunkte zu erringen. Dieser Perspektivenwechsel vom Wähler zu den Parteien "zwingt" die Schüler/innen, sich in die Rolle der Parteien hineinzuversetzen, um die Wahlentscheidung schließlich als komplexes Wechselspiel der Einflussgröße "Wahlkampf" mit den sozialstrukturellen Determinanten der Wählerschaft und der nachlassenden Festigkeit ihrer Parteibindung zu begreifen.
Baustein 5.3: Sinkende Wahlbeteiligung - (k)ein Alarmzeichen für die Demokratie?
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Die sinkende Wahlbeteiligung dürfte eine der auffälligsten Befunde im Wählerverhalten der letzten Jahre sein. Sie selbst und die mit ihr verbundenen Probleme für das politische System haben die öffentliche Diskussion neben den politischen Auseinandersetzungen während der Zeit des Wahlkampfes 1998 sehr stark bestimmt. Schon von daher dürfte es nicht uninteressant sein, die Schüler/innen mit diesem wichtigen Thema vertraut zu machen. Auf der anderen Seite ist den Schülern dieses Thema nicht "fremd", denn sie selbst bzw. die einige Jahre älteren Jungwähler sind besonders betroffen. Ohne den Sachverhalt zu Beginn der Stunde gleich zu thematisieren, sollte die Lehrperson sich jedoch bewusst sein, dass gerade bei den Jugendlichen die Parteiverdrossenheit am größten und die Wahlbeteiligung am geringsten ist. In der wissenschaftlichen Diskussion ist umstritten, ob eine sinkende Wahlbeteiligung eher als Krisenphänomen der Demokratie anzusehen ist oder als Zeichen der Normalisierung. Von daher ist das Thema der Unterrichtseinheit keine Scheinfrage, sondern auch ein echtes wissenschaftliches Problem. Inhaltlich geht es zunächst darum, mit Hilfe empirischer Daten näher zu beschreiben, worin dieses Phänomen besteht. Dabei werden vorhandene methodische Kenntnisse im Umgang mit Zahlen und Tabellen vertieft (Interpretation von Kreuztabellen, um Zusammenhänge zu erkennen) und erweitert (Längsschnitt- und Querschnittuntersuchung). Die Schüler werden erstaunt sein, wie leicht es ihnen gelingt, auf der Basis einiger methodischer Fertigkeiten eine Fülle von Daten zu interpretieren und zu relativ klaren Ergebnissen zu kommen, da die hier zu erörternde Frage eng begrenzt ist. Den Schülern wird es gelingen, einige typische Merkmale der Nichtwähler ausfindig zu machen, insbesondere, dass bei der Gruppe der Jungwähler die Wahlbeteiligung generell am geringsten ist.
Bei der Herausarbeitung der Problemstellung zu Beginn der UE mit Hilfe der Materialien -> M 05.09 und -> M 03.13 ist nicht ohne weiteres damit zu rechnen, dass die Jugendlichen hinter sinkender Wahlbeteiligung ein Krisenphänomen der Demokratie vermuten. Denn geringe Wahlbeteiligung ist für sie nichts Besonderes, sondern eher verständlich. Sie nehmen gleichsam den Befund zu Kenntnis, aber es stört sie nicht. Durch gezieltes Fragen nach den Gründen für diese Entwicklung könnte es jedoch gelingen, unterschiedliche und durchaus gegensätzliche Beurteilungen bei den Schülern hervorzulocken. Die Frage nach den Ursachen könnte allerdings auch zu Antworten führen, die auf den Rückgang der Parteienbindung, den Wertewandel und die Auflösung sozialer Milieus verweisen. Auch die Frage nach den Folgen geringer Wahlbeteiligung für die Demokratie wird nur von gut informierten Schülern in der Weise beantwortet werden, dass eine Kontroverse aufgebaut werden kann. Günstiger ist es daher, auf den Grundgedanken zurückzugreifen, mit dem die Unterrichtsreihe in der Variante 1 begonnen hat, und danach zu fragen, ob geringe Wahlbeteiligung mit den Gedanken der Volkssouveränität vereinbar ist. Zur visuellen Unterstützung kann hier noch einmal die Karikatur "Seine Majestät, der Wähler" (-> M 02.01) als Folie aufgelegt werden. Die Lehrperson sollte - je nachdem welche Äußerungen genannt werden -, die schwächere Position unterstützen, um einen Spannungsbogen für die weitere Erörterung zu erzeugen.
Bei der Einzelanalyse der Zahlenreihen in -> M 05.11 gelangen die Schüler, wenn sie sich genau an die Fragestellung halten, schnell zu Ergebnissen, da die Tendenzen klar zutage treten. Es dürfte für die Schüler mit deutlichen Erfolgserlebnissen verbunden sein, dass sie nun innerhalb kürzester Zeit in der Lage sind, eine Fülle von Daten hinsichtlich einer bestimmten Fragestellung auszuwerten und zu klaren Aussagen darüber zu gelangen, was typisch ist für Nichtwähler. Bei der Gruppe der jugendlichen Wähler, die den Schüler/innen noch am nächsten steht, ist die Wahlbeteiligung im Vergleich mit anderen Bevölkerungsgruppen am geringsten. Auch hier wird noch einmal deutlich, dass das hier entdeckte und näher analysierte Problem keine zu vernachlässigende Randerscheinung darstellt, sondern auch für die Schüler selbst von Bedeutung ist, wenn sie (demnächst) wahlberechtigt sind.
Wenn nach der Sicherung wenig Zeit zur Verfügung steht, kann mit Hilfe von -> M 05.12 (Das neue Phänomen - der Nichtwähler) eine abschließende Interpretation der Befunde eingeleitet werden. Die Pointe dieser Sichtweise besteht darin, dass nicht die Wahlenthaltung an sich das Problematische ist, sondern die dahinter liegende Unberechenbarkeit und eine sich möglicherweise zunächst ergebende Systemopposition.
Im hier aufgezeichneten Verlaufsschema wird schrittweise eine Aufarbeitung der gegensätzlichen Position von D. Roth und U. Feist (-> M 05.13) in Gruppenarbeit vorgeschlagen sowie danach die Präsentation der Ergebnisse im Plenum. Erst anschließend erfolgt die eigene Beurteilung des Phänomens. Durch Rückbezug auf die Erfahrungswelt der Schüler und deren Meinungen zu politischen Ereignissen kann die Sichtweise der Jugend gut zur Geltung gebracht werden. Auf dieser Basis können dann Überlegungen angestellt werden, unter welchen Bedingungen sich die Wahlbeteiligung der Jugendlichen möglicherweise erhöhen, bzw. verringern wird. Die Spezialfrage nach dem Verhältnis der Frauen zur Politik (-> M 06.01) kann vorher an einzelne Schülerinnen bzw. Schüler vergeben werden und an dieser Stelle in Form eines Referates eingebracht werden.
Erfolgreich ist diese Unterrichtseinheit verlaufen, wenn die Schüler am Ende das Phänomen der zurückgehenden Wahlbeteiligung unter Rückgriff auf relevante empirische Daten beschreiben, das Typische am Nichtwähler benennen und ansatzweise Erklärungsversuche unterschiedlicher Art vornehmen können. Wenn dabei der Bezug zur Demokratietheorie gelingt, ist dies besonders erfreulich.
(Methoden: -> Artikel für die Schülerzeitung schreiben; -> Begründungstraining)
Baustein 5.4: Jugend und Politik - zwei getrennte Welten?
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Ausgehend von der geringen Wahlbeteiligung, die in der Unterrichtseinheit 5.3 näher untersucht worden ist, soll in dieser Unterrichtseinheit am Beispiel der Gruppe der Jungwähler das Verhältnis zur Politik näher untersucht und in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Dabei werden vertiefend wiederum empirische Daten und Erklärungsansätze miteinander in Verbindung gebracht.
Die Karikatur "Ob's wohl am Köder liegt?" (-> M 06.03) wird von den Schüler/innen auf Grund des bisher vorhandenen Wissens relativ einfach gedeutet werden können. Zustimmend werden sie die durchaus selbstkritisch zu kennzeichnende Reaktion der Politiker zur Kenntnis nehmen. Im Kontrast dazu steht die Karikatur "Der Jugend fehlt ..." (-> M 06.02). Hier werden bestimmte Maßnahmen zur "Erziehung" der Jugend vorgeschlagen, um ihr abweichendes Verhalten (die rechtsradikalen Gesten sind unübersehbar) zu überwinden. Diese Karikatur wird Ablehnung bis Protest bei den Jugendlichen hervorrufen. Auf dieser Basis lässt sich nun der unübersehbare Gegensatz zwischen Jugend und Politik herausarbeiten: Jugendliche versagen sich der Politik - Politiker versagen sich der Jugend.
An dieser Stelle kann nun die Erarbeitung des Themas einsetzen, mit dem Schwerpunkt, nicht so sehr gegenseitige Schuldzuweisungen vorzunehmen, sondern zunächst einmal die Unterschiede und die Gegensätzlichkeiten deutlich zu machen. Denn es ist sowohl den Jugendlichen wie auch den erwachsenen Politikern nicht immer klar, worin diese Gegensätze bestehen, und wie sie zustande kommen. Die beiden Positionen A und B sollen arbeitsteilig erarbeitet werden, um der jeweils anderen Seite zu verdeutlichen, dass die Jugend sich der Politik (Position A) und umgekehrt die Politik sich der Jugend (Position B) versagt. Die angebotenen Materialien (-> M 06.04 - 06.08, M 06.11) können dabei exemplarisch ausgewertet werden. (-> Methode: Internetseiten beurteilen) Darüber hinaus können die Jugendlichen selbstverständlich auch ihre eigenen Erfahrungen miteinbringen, die sie selbst mit Politik gemacht haben, und ergänzend auf vermutete Zusammenhänge hinweisen, die hier in exakten Zahlen noch nicht belegt werden können (z.B. Altersaufbau der verschiedenen Parteien, Behandlung jugendpolitischer Themen im Bundestag und in den Programmen der politischen Parteien etc.). Für jede Gruppe besteht die Kunst darin, mit den vorhandenen Materialien eine in sich schlüssige und überzeugende Argumentation aufzubauen, um der jeweils anderen Seite die eigene Position deutlich zu machen, ohne dabei in eine anklagende oder schuldzuweisende Haltung zu verfallen. Denn es geht darum, wechselseitig Verständnis zu wecken.
Nachdem die Ergebnisse der beiden Arbeitsschwerpunkte im Plenum vorgetragen worden sind, werden einige Rückfragen erfolgen und Auffassungen zu klären sein. Insgesamt wird den Schüler/innen bei diesem Argumentationsstil sehr schnell deutlich werden, dass beide Positionen nicht nur "irgendwie" zusammenhängen, sondern sich möglicherweise sogar verstärken. Dieser Vermutung kann anschließend vertiefend nachgegangen werden, inwieweit möglicherweise ein unheilvolles Zusammenspiel von Position A und Position B dazu führt, dass sich gleichsam wie in einem Teufelskreis die Distanz beider Bereiche verstärkt, ohne dass die eine oder andere Seite dies explizit wünscht. Politiker haben keine Verbindung zur Lebenswelt der Jugendlichen - Jugendlichen fehlt der direkte Bezugspunkt zur Politik. Jugend und Politik entwickeln sich auseinander.
Im Anschluss an diese Überlegungen stellt sich nun für beide Seiten die vertiefende Frage, wie dieser Teufelskreis der Distanzierung überwunden werden kann: Im Plenum können Vorschläge gesammelt werden, was Politiker tun können/sollten, und was Jugendliche selbst tun können/sollten, um die Distanz zu überwinden. Dabei geht es nicht so sehr darum, "Großentwürfe" zu entwickeln, sondern konkret kleine Schritte und Schrittfolgen zu benennen, wie eine Annäherung der beiden Bereiche Jugend und Politik denkbar ist. (-> Methode: Expertenbefragung) Eine Möglichkeit besteht darin, die hier erörterten Zusammenhänge zu notieren, einigen interessierten Politikern vor Ort zuzusenden und sie zu bitten, ihrerseits Vorschläge zu machen. Angesichts der Wahlkampfsituation wäre es sicherlich angebracht, mit Hilfe eines Schemas die konkreten Erwartungen der Jugendlichen an Politiker, Programme und bestimmte Wahlkampfthemen näher zu spezifizieren. Dies wäre eine gute Grundlage, um z.B. im Zusammenhang mit Wahlkampfführung und Wahlkampfthemen Politiker in die Klasse einzuladen.
An dieser Stelle kann auch der "rote Faden" der Unterrichtsreihe wieder aufgenommen und der Bezug zur Wählerbefragung wiederhergestellt werden, indem geklärt wird, welche Items in den Fragebogen aufgenommen werden könnten, die das politische Interesse der Wähler näher untersuchen. Dann ließe sich vor Ort an Hand eigener empirischer Daten konkret analysieren, wie das Interesse an der Politik bei Jugendlichen, bei Jungwählern und bei Erwachsenen aussieht. Ergänzend könnten noch Items über das Vertrauen in die politischen Institutionen oder auch zum Wertewandel und natürlich zur Parteipräferenz aufgenommen werden.
Baustein 5.5: Wahlprognosen: Schwarze Magie oder wissenschaftliche Kunst?
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Wie unabhängig und wissenschaftlich arbeitet die Demoskopie?
Im politisch-gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik hat die Meinungsforschung längst einen festen Platz in der Medienlandschaft gefunden. Wie in jedem Wahljahr wird der Wahlbürger permanent mit Wahlprognosen sowie einer großen Anzahl demoskopischer Daten zur jeweiligen politischen Stimmungslage in der Bevölkerung konfrontiert. Die Resultate der Demoskopie suggerieren dabei jedoch einen Grad an Exaktheit, der so keinesfalls unbesehen unterstellt werden kann; eine Problematik, die in dieser Unterrichtseinheit unter der Fragestellung "Wahlprognosen: Schwarze Magie oder wissenschaftliche Kunst - wie unabhängig und wissenschaftlich arbeitet die Demoskopie?" thematisiert wird.
Da die Bezugnahme auf Wahlprognosen, z.B. in den Wahlsendungen des Fernsehens auch für die Schüler/innen eine vertraute Erscheinung sein dürfte, werden einerseits die Intentionen verfolgt, dass die Jugendlichen grundlegende Begriffe und Instrumente der Demoskopie kennenlernen, die möglichen Fehlerquellen von Umfragen erkennen sowie vor diesem Hintergrund kritisch Stellung nehmen zu deren Zuverlässigkeit und Genauigkeit. Andererseits geht es zugleich um die anwendungsorientierte Zielsetzung, dass die Schüler/innen im Hinblick auf ihre eigene Wählerbefragung lernen, sowohl die Aussagekraft dieser lokalen Erhebung kritisch einzuschätzen als auch der erfahrungsgemäß immer wieder auftretenden Pauschalkritik hinsichtlich der Geltungskraft einer solchen Schülerprognose argumentativ selbstbewusst entgegenzutreten.
Die einleitende Interpretation der Karikatur "Madame Demoscopia" (->M 08.01) problematisiert zunächst anschaulich die Vertrauenswürdigkeit demoskopischer Daten in Anbetracht interessenbedingter Einflüsse der Parteien, denen die Meinungsforschung mitunter ausgesetzt ist. Zusätzlich kommt die Karikatur "Wissenschaftliche Assistentin" (-> M 08.02) zum Einsatz, wodurch die Aufmerksamkeit der Schüler/innen auch auf die häufig geäußerte Kritik an der mangelnden Wissenschaftlichkeit der Demoskopie gelenkt wird. Damit soll ein breites Problembewusstsein im Blick auf die Leitfrage der Unterrichtseinheit geweckt werden, das in der anschließenden Arbeitsphase zu erweitern und zu begründen ist, indem die Schüler/innen sich einen Überblick über die methodischen Schwierigkeiten und Grenzen einer "Wahlprojektion" verschaffen.
Im Rahmen einer induktiven Vorgehensweise sollen die Schüler/innen in einem ersten Schritt daher einen Vergleich verschiedener Wahlprognosen mit den tatsächlichen Ergebnissen der Bundestagswahl 1998 anhand entsprechender Tabellen (-> M 03.05, -> M 08.07) vornehmen, um so die jeweiligen Abweichungen feststellen und die Zuverlässigkeit dieser Vorhersagen beurteilen zu können. (-> Methode: Datenbankrecherche)
Ein Tip: Wenn die Schüler Interesse an der Frage bekunden, wie es mit der Genauigkeit von Schülerumfragen zur zweiten gesamtdeutschen Wahl 1994 bestellt sei, kann der Lehrer exemplarisch die auf beiliegender Diskette gespeicherte Vorhersage für Münster (s. Datei MS94ALL) ausdrucken und diese mit dem tatsächlichen Ergebnis (-> M 03.01) vergleichen lassen - ein Vorgang, den die Schüler/innen demnächst selbst durchführen können.
In einem zweiten Schritt wird dann den Ursachen dieser Differenzen nachgegangen, indem die Schüler/innen mit Hilfe eines Arbeitstextes (-> M 08.06) die möglichen Fehlerquellen von Wahlprognosen herausarbeiten und demoskopische Fachbegriffe mit Hilfe des Glossars klären, so dass eine methodische Verständigung über Wahlvorhersagen nun möglich wird.
Im Mittelpunkt der zweiten Erarbeitungsphase steht in Anbindung an die eingangs formulierte Problemfrage der Unterrichtseinheit nunmehr die Auseinandersetzung mit der zuweilen geäußerten Kritik am wissenschaftlichen Charakter der Demoskopie. Der zu erörternde Zeitungsartikel (-> M 08.03) dient dabei zugleich der Wiederholung, indem die potentiell auftretenden Fehlerquellen einer Befragung für die Schüler/innen an praktischen Beispielen aus dem Politikalltag veranschaulicht werden. In der Vertiefungsphase sollen die Schüler ihre eigene Position zu den Kritikpunkten an Wahlprognosen begründet darstellen. Gleichsam zur Schließung des didaktischen Zirkels kann so der Lehrer noch einmal den Schülern die Folienkarikatur "Madame Demoscopia" (-> M 08.01) als Diskussionsimpuls präsentieren, die den Schwerpunkt auf die vermeintliche Parteiabhängigkeit und Interessengebundenheit demoskopischer Ergebnisse lenkt. Als weitere Anregung für die Kontroverse ist die Karikatur -> M 08.02 gedacht, die vornehmlich den wissenschaftlichen Anspruch der Demoskopie hinterfragt. Damit dürften die Schüler/innen für eine engagierte Debatte ausreichend motiviert sein. Als fakultative Ergänzung zu dieser Unterrichtseinheit dienen die Materialien -> M 08.04 und -> M 08.05, wobei insbesondere die aus letzterem abgeleitete Frage, ob Umfrageergebnisse in der Bundesrepublik - ähnlich wie in Frankreich - nur bis eine Woche vor den Wahlen veröffentlicht werden sollten, für eine weiterführende Pro-und Contra-Diskussion gut geeignet erscheint.
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